„Scala Adieu – Von Windeln verweht“
Der Streit um die Schließung des Scala-Kinos hat die Stadt Konstanz vor zwei Jahren gespalten. Douglas Wolfsperger hat darüber einen Film gedreht – und dabei gar nicht erst versucht, die alten Gräben zu überwinden. Dennoch, so der von dieser Affäre auch betroffene Michael Lünstroth, vermag der preisgekrönte Film nicht gänzlich zu überzeugen – es gab zu viele Bremsklötze bei der Entstehung der Dokumentation.
Vielleicht war es ganz gut, dass Andreas Osner kein Kinoticket mehr bekommen hat: Der Film, den der Konstanzer Kulturbürgermeister bei den Biberacher Filmfestspielen sehen wollte, war bereits ausverkauft, als er an die Kasse kam. Das, was Osner im Kinosaal „Venus“ des Biberacher Traumpalastes hätte sehen können, hätte ihm ohnehin nicht gefallen. Gezeigt wurde „Scala Adieu – Von Windeln verweht“ von Douglas Wolfsperger. Darin erzählt der aus Konstanz stammende Regisseur, wie ein traditionsreiches und vielfach ausgezeichnetes Programmkino schnöde abgewickelt wird. Andreas Osner spielt in dieser Geschichte eine, nun ja, eher unglückliche Rolle. Aber dazu später mehr.
Die Schließung des Scala-Kinos hatte die Konstanzer Stadtgesellschaft ab Sommer 2015 für etliche Monate in Atem gehalten. Ein Investor hatte das Gebäude erworben, setzte das Kino auf die Straße und plante stattdessen an dieser Stelle einen Drogeriemarkt. Es folgten die Gründung einer Bürger-Initiative gegen diese Pläne, zahlreiche Demonstrationen, hitzige Debatten. Am Ende nützte es nichts: Vor ziemlich genau einem Jahr hat die Drogeriekette „dm“ eine Filiale dort eröffnet. Es ist ihre fünfte in der Konstanzer Innenstadt. Windeln, Shampoo und Zahnpasta sind dank der Schweizer Einkaufstouristen sehr begehrte Waren in der deutschen Grenzstadt. Regisseur Douglas Wolfsperger hat das Ende des Scala – von den ersten Berichten in der Lokalzeitung bis zur Schließung – mit seiner Kamera begleitet. Sein Film erzählt nun davon.
Darin wird Douglas Wolfsperger selbst zum Protagonisten, wenn er vor die Kamera tritt und aus dem Off über seine Kindheit in Konstanz spricht: „Als Kind dachte ich, Konstanz, das ist die Welt. Das Kino wurde für mich später zum Fenster in die Welt jenseits des Bodensees.“ Das macht von Anfang an klar, wie persönlich motiviert dieser Film ist. Kein Wunder: Gegenüber vom Scala hatte seine Mutter, eine Augenärztin, ihre Praxis. Im Scala hat Wolfsperger seine ersten Filme gesehen, seine ersten Super-8-Filme wurden hier gezeigt. Es spricht also jemand, der die Kino-Schließung sehr persönlich nimmt. In den folgenden 80 Minuten des Films tritt Wolfsperger immer wieder auf. Man sieht ihn denkend, lesend, sinnierend, durch die Stadt laufend. Dazwischen lässt er andere reden: Filmliebhaber, Gründer der Bürgerinitiative, den Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt, einen Stadtrat.
Ein kluger Film über die Bedeutung von Kino
Entstanden ist auf diese Weise ein Film, den man auf vielen Ebenen anschauen kann: Als Liebeserklärung an das Kino, als Anklage gegen investorengelenkte Stadtentwicklung, als Plädoyer für eine mutigere Kulturpolitik und als Verarbeitung der spezifischen Konstanzer Ereignisse. Die Protagonisten sind gut ausgewählt, sie sagen kluge und rührende Sätze über ihr Leben mit dem Kino. Wolfsperger selbst kommentiert süffisant, beobachtet scharf und formuliert in seinen Urteilen bewußt provokant: „Was der Zweite Weltkrieg nicht geschafft hat, schafft heute ein Investor, dem die Innenstadt scheißegal ist. Nur der Reibach zählt.“ Zu den besten Szenen des Films gehören jene Sequenzen, in denen er ohne jeden Kommentar aus dem Off Menschen zeigt, die gerade einen Kinofilm sehen. Wie sie lachen, wie sie ein Tränchen vergießen, wie sie gebannt sind von dem, was da auf der Leinwand abläuft. Viel besser kann man die Bedeutung von Kino und Filmkunst nicht darstellen.
Schwieriger wird es, wenn man den Film als Abbildung der konkreten Konstanzer Ereignisse sehen will. Da ist „Scala Adieu“ nicht ganz so überzeugend, weil er nur eine Version der Geschehnisse zeigt: Die der Kinofans. Das Problem an „Scala Adieu“ ist: Douglas Wolfsperger lässt dem Zuschauer keine Möglichkeit, eigene Schlüsse zu ziehen. Es gibt hier nur eine richtige Seite. Alle Protagonisten, die an Wolfsperger Seite stehen, werden akustisch und visuell zu Helden stilisiert, während die wenigen auftauchenden Gegner zu Karikaturen, zu Zerrbildern ihrer Selbst verkommen. Das Interview mit dem Oberbürgermeister Uli Burchardt wird in Kontexte gestellt, die das eigentliche Gespräch vermutlich nicht hergab, ein Auftritt des korpulenten CDU-Stadtrats Marcus Nabholz wird von einem klamaukigen Elefantenmarsch-Klangteppich unterlegt. Mit solch billigen Tricks setzt der Film seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Dabei hätte es solche übertriebenen Schwarz-Weiß-Malereien überhaupt nicht gebraucht. Die Aussagen, mit denen Nabholz und Burchardt vor die Kamera treten, sind entlarvend genug. Zum Beispiel, wenn Burchardt erzählt, dass er sich mehr Demut und Dankbarkeit von der Stadtbevölkerung wünsche, wenn ein tolles Unternehmen wie dm eine weitere Filiale in Konstanz eröffne. Jeder Kommentar aus dem Off dazu ist überflüssig. So wie Wolfsperger den Oberbürgermeister in Szene setzt, verstört es einen neutralen Zuschauer eher, weil man das Gefühl bekommt, es gehe ihm nicht um echte Auseinandersetzung, sondern ausschließlich darum, jemanden vorzuführen.
Vorgeführt statt konfrontiert
Tatsächlich wäre es gar nicht so schwer gewesen, Burchardt inhaltlich zu stellen. In seinem Buch „Ausgegeizt“ schreibt der frühere Unternehmensberater viel über Nachhaltigkeit. Douglas Wolfsperger folgt dem richtigen Impuls, wenn er gegen Ende seines Films genüsslich daraus zitiert: „Es ist an der Zeit zu verstehen, dass unsere Gier und unser Geiz eine Wirtschaft geformt haben, die umzufallen droht wie eine Fichtenmonokultur im Orkan. Zu verstehen, wie unser Billigkonsum, der Kostenfetischismus der Unternehmen und die blinde Profitmaximierung in der Wirtschaft sich gegenseitig verstärken. Wie der Mainstream unserer Gesellschaft in einer langsamen, lethargischen Abwärtsspirale der Mittelmäßigkeit die lebenswichtige Mitte unserer Märkte in armselige Wüsten verwandelt.“ Was der Regisseur jedoch versäumt hat, ist, den Oberbürgermeister damit zu konfrontieren und ihn zu fragen, wie diese Worte mit seinen Taten im Fall Scala zusammenpassen. Das ist schade, weil das Ergebnis sicher spannender gewesen wäre als dem Oberbürgermeister beim Däumchendrehen zuzuschauen.
Bei aller Kritik: Zur Wahrheit gehört auch, dass der Film unter schwierigen Bedingungen entstanden ist. Lange musste Douglas Wolfsperger um die Finanzierung ringen, Stadt und Investor versuchten, das Projekt zu verhindern. Wichtige Gesprächspartner für den Film wie der Investor oder der Betreiber des Scala lehnten von Anfang an eine Zusammenarbeit ab. Douglas Wolfsperger hat sich von all diesen Widrigkeiten nicht aufhalten lassen und auf eigenes finanzielles Risiko weitergedreht. Vielleicht ist so auch der trotzige Unterton des Films entstanden.
Ohne Frage: „Scala Adieu“ spricht wichtige Themen an. Wie geht eine Stadt mit dem Spagat zwischen Kommerz und Kultur um? Welche Bedeutung haben kulturelle Orte in einer Stadt? Und was macht es mit der Seele einer Stadt, wenn „nur noch zählt, was sich rechnet und nicht mehr das, was etwas wert ist“, wie es im Film heißt? Das sind relevante Fragen unserer Zeit. Antworten gibt der Film darauf kaum. Er versteht sich eher als Grundlage zur weiteren Diskussion. Er wolle mit seinem Film, „die ganze Scheiße noch mal aufrühren“, hat Douglas Wolfsperger während der Dreharbeiten mal gesagt. Mit dem vorliegenden Film wird ihm das kaum gelingen, weil er nur die üblichen Sichtweisen bestätigt: Die Kinofans sehen ihre Weltsicht gespiegelt, die Menschen, denen das Kino nicht so wichtig ist, können den Film als Beleg für die Verbohrtheit der selbsternannten Kinoretter sehen. Ein Dialog findet nicht statt. So wird der Film zum Pamphlet.
Trotzdem gibt es wirklich bemerkenswerte Momente in den 80 Filmminuten. Wie jenen, als Theaterintendant Christoph Nix, einer der Mitstreiter bei der Bürgerinitiative für den Erhalt des Kinos, aus einem Brief von dm-Gründer Götz Werner zitiert. Und dabei offensichtlich wird, dass der sich sonst gern so anthroposophisch gebende Firmenchef vor allem nur an einem interessiert ist: dass die Menschen möglichst viele Windeln, Seifen und Zahnpasta in seinen Läden kaufen.
Und natürlich bekommt auch noch Kulturbürgermeister Andreas Osner seinen großen Auftritt: In einer Wutrede schimpft er über all jene, die den Standort Konstanz schlechtreden – und das nur wegen der Schließung eines Kinos. „Da kann ich nur sagen: Es geht euch wohl zu gut“, fährt es unter anderem aus ihm heraus. Ein Interview vor Wolfspergers Kamera hatte Osner abgelehnt, also bediente sich der Regisseur im Archiv der städtischen Video-Podcasts, die regelmäßig zu den öffentlichen Gemeinderats-Sitzungen erstellt werden. Diese dokumentarischen Momente zählen zu den eindrücklichsten des ganzen Films, weil sie auch offenlegen, wie technisch hier über ein Kulturgut diskutiert wurde.
Eine offizielle Reaktion zum Film seitens der Stadt gibt es bislang nicht. Aktuell scheint es auch eher unwahrscheinlich, dass das noch passieren wird. Oberbürgermeister Uli Burchardt hatte bereits vor Wochen gegenüber Douglas Wolfsperger erklärt, er wolle sich den Film auf gar keinen Fall ansehen.
Michael Lünstroth (der Artikel erschien zuerst auf www.thurgaukultur.ch; Foto: hpk)
Gerne. Es war mir eine Freude.
Ganz herzlichen Dank Herr Lünstroth für diese wunderbare u. v. a. vorbildlich ausgewogene Rezension zu Douglas Wolfspergers Film.