Scala Adieu! – Von Windeln verweht
Am 17.3. feiert im Konstanzer Stadttheater der neue Film von Douglas Wolfsperger Premiere. Der bekannte Filmemacher, der selbst aus Konstanz stammt, dokumentiert darin, wie im örtlichen Programmkino „Scala Filmpalast“ nach Jahrzehnten die Lichter ausgeschaltet wurden und wie der Widerstand gegen die Kinoschließung Tausende KonstanzerInnen zusammenbrachte. Hier der erste Teil eines Gesprächs mit dem Regisseur, der während der Dreharbeiten seine Heimatstadt von einer anderen Seite kennenlernte.
Die meisten KonstanzerInnen erinnern sich noch: Anfang 2016 wird bekannt, dass der „Scala Filmpalast“, seit 1938 das Traditionskino mit drei Sälen mitten in der Stadt, zum Jahresende geschlossen wird. Es ist das einzige Programmkino weit und breit. Es ist auch das Kino, in dem Wolfsperger als Kind in die Kinowelt eingetreten ist und in dem viele seiner Filme Premiere feierten. Seit Jahrzehnten betrachtet er es als „sein“ Kino, auch wenn er schon lange in Berlin lebt.
Es folgt die größte Protestbewegung der jüngeren Stadtgeschichte, aber es hilft alles nichts. Das Gebäude geht an einen Immobilieninvestor, und der tut, was sein vermeintlich gutes Recht ist: Ende 2016 wird das von vielen heiß geliebte Kino dichtgemacht. Ende 2017 dann eröffnet in dem renovierten Gebäude der neuste Markt einer großen Drogeriekette, es ist bereits der fünfte (oder sechste oder achte?) in der lauschigen Bodensee-Metropole. Die vor allem aus der angrenzenden Schweiz anreisende Kundschaft lechzt nach preiswerten Windeln, Klosteinen und Zahnbürsten. Der örtliche Kinobetreiber benennt schamvoll einen Saal in seinem seelenlosen Großkino in der örtlichen Shopping Mall in „Scala“ um – und das war’s dann. Eine Epoche ist zu Ende.
Doch die Frage bleibt: Was ist eigentlich wirklich passiert? Wem gehört die Stadt überhaupt? Den Menschen, der Politik, dem großen Geld? Wer klüngelt mit wem? Immer mehr drängt sich auch eine andere Frage auf: Wer verpasst hier wem einen Maulkorb? Und wer legt sich lieber gleich selbst einen solchen an, um einem Investor gefällig zu sein, der selbst keinerlei Beißhemmung kennt? Aus dem geplanten Dokumentarfilm wird schnell ein Heimatkrimi, wie er (leider) überall spielen könnte …
seemoz: Die Idee für diesen Film ist Dir wie wohl alle guten Ideen zugeflogen, weil Du ursprünglich aus Konstanz kommst?
Wolfsperger: Meine persönliche Geschichte ist nur die eine Seite, und darüber hätte ich keinen Film zu machen brauchen. Natürlich wird es einfacher, einen solchen Film zu drehen, wenn man die Stadt und viele der Protagonisten seit Jahrzehnten kennt, mit manchen war ich ja schon zusammen auf der Schule. Als ich mich ein Jahr vor der Schließung mit dem Thema zu beschäftigen begann, habe ich schnell gemerkt, dass es in meinem Film um mehr als nur ein Kino geht.
Wenn ich heute auf der Marktstätte stehe, packt mich die kalte Wut. Hier war das wunderschöne Kino mit seiner klassischen Leuchtschrift, und heute ist hier eine kalte Fassade ohne jede Patina. Da frage ich mich natürlich, und das ist das eigentliche Thema meines Films: Wie funktioniert unsere Gesellschaft, in der so etwas möglich ist? Das hat eine viel größere Dimension als nur ein paar sentimentale Erinnerungen. Das ist vielmehr ein besonders abschreckendes, dreckiges Paradebeispiel dafür, wie sich Immobilienspekulanten in einer Stadt breitmachen. Dafür gibt es ja überall in Deutschland und weit darüber hinaus viele aktuelle Beispiele.
seemoz: Konstanz also als Spiegel einer allgemeinen Entwicklung?
Wolfsperger: In einer Stadt wie Konstanz mit 85.000 Einwohnern sind die Mechanismen gerade für einen Einheimischen wesentlich durchschaubarer als in einer Großstadt. Man erkennt bald, wie so etwas funktioniert und wie das einfach durchgezogen wird. Man lernt schnell, wie „die“ einfach über die Köpfe der Menschen hinweg mit ihrem Scheiß-Geld machen, was sie wollen. Das sind Global Player, die oft kaum persönlichen Bezug zu einer Stadt haben, sondern sich überall Filetstücke suchen und dort dann auf Deubel komm raus ihr Ding durchziehen. Das ärgert mich zutiefst.
seemoz: Es ist überraschend, wie viele Kinos es früher auch in Konstanz noch gab. Sie hießen „Rio“, „Apollo“, „Capitol“ oder „Gloria“, jeder Kiez hatte sein eigenes Kino. Aber die hatten irgendwann alle keine Zukunft mehr.
Wolfsperger: Das Fernsehen, die Streaming-Dienste – das alles ist natürlich eine harte Konkurrenz. Der Publikumsschwund für anspruchsvolle Filme ist natürlich eine Tatsache, aber das ist kein Grund, nur noch den Mist zu zeigen, der da im Einkaufscenter läuft, diesen oftmals hirnlosen Quark, der zumeist aus den USA kommt. Es gibt auch weiterhin etliche Beispiele von anspruchsvollen Programmkinos, die gut funktionieren. Aber dort sind engagierte Macher am Werk, die nicht nur Plakate aufhängen, sondern einen direkten Draht zum Publikum pflegen. Es reicht nicht, hochwertige Filme nur anzubieten, da muss man viel mehr veranstalten, um die Leute für sich zu gewinnen. Mit dem Verlust des „Scalas“ aber wird die Filmvielfalt weiter eingeschränkt, und manche Bundesstarts kommen gar nicht mehr nach Konstanz. Dabei ist das ja eine Universitätsstadt, in der das potenzielle Publikum für gute Filme da ist, wenn man es nur einfallsreich anspricht. Natürlich gibt es noch das „Zebra“-Kino, das verstärkt Filme zum Einsatz bringt, die sonst keine Chance hätten, gesehen zu werden, aber das liegt leider nicht im Herzen der Stadt und hat ein ganz anderes Konzept als das „Scala“ damals.
seemoz: Aber der Kinobesitzer hing an seinem „Scala“.
Wolfsperger: Der örtliche Kinounternehmer, der sowohl das „Scala“ als auch das Großkino im Einkaufszentrum betrieb, – und hier kommen wir zum Krimi, – stellte sich schnell als Teil des Problems heraus. Wohlgemerkt, ich spreche von dem Mann, in dessen Kino jahrzehntelang viele meiner Filme ihre Premiere feierten. Weshalb hat er eine Klausel in den Vertrag mit dem Immobilienspekulanten schreiben lassen, dass an der Stelle, wo das „Scala“ war, die nächsten dreißig Jahre nicht wieder ein Kino eröffnet werden darf? Hatte er wirklich Angst, ein paar Zuschauer in seinem Multiplex, Saal 9, oder was auch immer dort jetzt „Scala“ heißt, zu verlieren, wenn jemand das Kino an alter Stelle weiterbetreibt? Wieso muss ausgerechnet der örtliche Kinounternehmer zum Totengräber der hiesigen Kinoszene werden?
seemoz: Die Besucherzahlen im „Scala“ sollen verheerend gewesen sein.
Wolfsperger: Das „Scala“ war zu 15% ausgelastet, was für ein Programmkino in Deutschland nicht ungewöhnlich ist. Der Betreiber hat übrigens gesagt, dass sich das „Scala“ mit dieser Auslastung selbst trägt. Nur, so sagte er, der eine Euro mehr Pacht pro Quadratmeter, den der Besitzer der Immobilie forderte, war ihm zu viel, auch wenn er natürlich immer noch einen Spottpreis für eine Immobilie in dieser Spitzenlage bezahlt hätte. In dieser Situation stellt sich doch die Frage, ob da nicht die Stadt einspringt oder ob es nicht ein anderes Modell gibt, dieses wertvolle Kulturgut um jeden Preis zu erhalten, statt es einfach wegen eines Euros pro Quadratmeter dichtzumachen.
seemoz: Die Politik hat sich auf ganzer Linie strikt geweigert, irgendetwas für das Kino zu tun?
Wolfsperger: Die Politik hat einfach kein Bewusstsein dafür gezeigt, dass hier eine Kulturinstitution zu Grabe getragen wurde. OB Burchardt redete immer davon, dass das „Scala“ ein Gewerbebetrieb sei wie 4000 andere in der Stadt. Und wenn der sich nicht rechne, könne man auch nichts machen. Bis heute ist er der Ansicht, er habe mit der Schließung des Kinos nichts zu tun. Natürlich hat er insofern recht, als dass die Stadt vermutlich zu diesem Zeitpunkt juristisch nichts mehr bewirken konnte.
Aber die Stadt und die GemeinderätInnen waren sehr wohl moralisch in der Pflicht, sich für dieses Kino einzusetzen. Man kann in meinem Film gut studieren, wie diese Leute wirklich drauf sind, ihnen geht es ums Gewerbe und die Gewerbesteuer – und um sonst gar nichts. Gegen ein solches Bewusstsein ist natürlich für die Filmkultur nichts zu holen, und das gilt für die meisten Städte.
Das Gespräch führte Harald Borges, der zweite Teil findet sich hier.
Foto Douglas Wolfsperger: Joachim Gern, © Douglas Wolfsperger Filmproduktion; Filmszene: © Douglas Wolfsperger Filmproduktion
„Scala Adieu! – Von Windeln verweht“ hat bei den 40. Biberacher Filmfestspielen 2018 den Doku-Biber als bester Dokumentarfilm erhalten.
Websites: www.scala-adieu-film.de | www.douglas-wolfsperger.de
Bundesstart: 21.03.19
Stadttheater Konstanz
*17.03., 16:00 Uhr (Bodensee-Premiere) | *18.03., 20:00 Uhr
Kult-X Kino, Kreuzlingen
*19.03., 20:00 Uhr | 21.03., 20:00 Uhr | 24.03., 17:00 Uhr
K9, Konstanz
*26.03., 19:30 Uhr
Konzil (unterer Saal), Konstanz
*25.03., 19:00 Uhr | *31.03., 18:00 Uhr | *06.04., 19:00 und 22:00 Uhr
(Vorverkauf fürs Konzil: www.eventim.de)
Radolfzell, Kino Universum
*04.04.
Überlingen, Tivoli-Kino
*05.04.
Frauenfeld (CH), Cinema Luna
*08.04., 19:30 Uhr
* Regisseur und Mitwirkende sind anwesend
Ob Rabe jun. als Kinobesitzer an „seinem Kino“ hing, bezweiflte ich, seitdem er im Cinestar mitmischte, hatte seine Leidenschaft merklich nachgelassen. Als Mann, dessen Herz am „Scala“ hängt, hätte verschiedene Möglichkeiten in Betracht ziehen können. An dem einen Euro pro qm² kann es sicherlich nicht gelegen haben, diese Pacht war immer noch ein Schnäppchen. Hätte er die Kommunikation mit seinem Stammpublikum gesucht, bin ich sicher, dass jeder von uns bereit gewesen wäre, erhöhte Eintrittspreise in Kauf zu nehmen. Denn egal, ob das einstige Publikum jetzt andere Kinos besucht oder sich mit den wenigen besonderen Filmen vor Ort in dem verhassten Lago zufrieden geben muss, dort zahlen wir um einiges mehr als in unserem vertrauten „Scala“ – und schon hätte er die Pacht und mehr wieder „drin“ gehabt. Nein, dieses Kino wollte er los werden, es wurde uns nicht einmal ermöglicht, Unterschriftensammlungen vor Ort auszulegen, Herr Rabe ging ziemlich von Anfang an auf Konfrontation. Und wie er das Ende, die letzten Vorstellung, gestaltete, ist uns sicherlich noch allen in Erinnerung. Nein, Liebe sieht anders aus. In diesem Zusammenhang nutze ich die Möglichkeit, das ehemalige Scala-Team zu grüßen, und hoffe, dass es Alexandra und den „Jungs“ gut geht, wo immer sie sind. Im Namen der Dienstagsgruppe…
Das wunderbare „Scala“ gibt es nicht mehr. Der „Ersatz“ im Multiplexkino des größten Konsumtempels in Konstanz ist ein sehr, sehr armseliger. Atmosphäre = Null!
Der Schriftzug des alten Scalas in diesem „Seelenfänger“ ist für mich eine Provokation und gehört da nicht hin.
Mittlerweile ist es dort wenigstens sauberer geworden.
Wenn die Filme mich fesseln, kann ich die Hässlichkeit drumherum etwas vergessen.
Die Akteure, die mit dieser „ProvinzPosse“ den Untergang des alten Kinos an der Marktstätte befördert haben, werde ich in schlechter Erinnerung behalten. Hoffentlich erhalten sie schon bald die Quittung für ihr übles Handeln bzw. Nichthandeln.