Scala-Trauerzug über den Weihnachtsmarkt
Filmreife Szenen auf dem Konstanzer Weihnachtsmarkt: Von Musikantinnen begleitet, von Fotografen und Filmemachern umringt, schieben 25 Trauernde einen Sarg durch den Stadtgarten, vorbei an festlich erleuchteten Buden, und beklagen den Tod des Scala-Kinos. Auftakt zur Schluss-Aktion der Initiative „Rettet das Scala“ am letzten Tag des Kultkinos.
Der Sarg diente Ursula Weschendorf bislang als Bücherregal. Doch der bekennende Scala-Fan, nebenbei eine der Hauptdarstellerinnen in Douglas Wolfspergers Dokumentarfilm über das Ableben des Konstanzer Kultkinos, engagiert sich auch noch am letzten Tag ihres geliebten Scala-Kinos: Im Trauerzug schlägt sie die Trommel.
Auch die anderen Trauergäste haben lange für den Erhalt des Filmpalastes gekämpft – jetzt unterstützen sie den bundesweit geschätzten Filmemacher Wolfsberger, dessen Scala-Film eine Dokumentation über den Abgesang der Kinokultur in Deutschland werden soll. „Ihm werden bei den Dreharbeiten so viele Steine in den Weg gelegt“, klagt eine Demonstrantin, „da will ich ihm wenigstens jetzt und hier ein wenig helfen“. Und tatsächlich: Dreh-Verbote, Interview-Absagen und eine verweigerte, finanzielle Förderung durch den Konstanzer Gemeinderat haben dem Filmprojekt böse zugesetzt. Doch der Film wird kommen – die Arbeit daran, wie jetzt auf dem Weihnachtsmarkt, läuft auf Hochtouren.
Unverständlich ist Douglas Wolfsperger die Absage der letzten Kino-Vorstellungen durch Scala-Betreiber Detlef Rabe: „Vorgestern war das Scala fast ausverkauft, auch für den letzten Tag waren kaum noch Karten zu bekommen – warum nicht den Abgesang würdig begehen?“ Stattdessen die vorgeschobene Begründung von Sicherheits-Bedenken. Wer den Trauerzug der letzten Scala-Getreuen über den Konstanzer Weihnachtsmarkt miterlebt hat, kann solche Bedenken nur lächerlich finden.
Am Abend dann zogen etwa 70 Scala-FreundInnen mit dem Sarg von der Marktstätte zum Münster. Dort, an der Nordseite, fand die offizielle Beerdigung statt. Blumen und Kerzen schmückten einen aufgeworfenen Erdhügel und mehrere Trauergäste äußerten in kurzen Ansprachen ihr Bedauern über die Schließung des Kinos. Doch das soll es nicht gewesen sein mit dem Aufstand vieler BürgerInnen gegen die Kommerzialisierung der Innenstadt. „Von uns“, so eine fast schon trotzige Aussage, „wird die Stadt noch hören“.
hpk
Wenn sich Alles, auch der Kommerz, bald nur noch auf der „grünen Wiese“ tummelt, weil die innerstädtischen Mieten irgendwann zu hoch sind, um den maximalen Gewinn einzufahren, werden die Innenstädte noch weiter veröden… !
„Kultur“ ist dann vielleicht nur noch über you tube und TV möglich. Ein Aspekt der sehr hässlichen Seiten des weiterhin ungebremsten Kapitalismus: Vereinzelung, Verdummung, unterhaltsame Berieselung ….!
Die grausam betroffenen „Randlagen Europas“, die Krieg und Terror erleiden, weil der „Westen“ seit Jahrhunderten, mit immer perfideren Methoden im Kolonialstil, alles ausbeutet, was auszubeuten ist, sind maximale Opfer dieser Gewinnmaximierung.
Wir sollten uns nicht daüber streiten, was alles Existenzgrundlagen vernichtet. Sondern uns zu fragen, wie es möglich ist, sich im „Kleinen“ hier in unserer Stadt zu widersetzen und auch im „Großen“ Veränderungen einzufordern.
Bislang sind wir noch in der „glücklichen Lage“ den III. Weltkrieg an den Rändern Europas zu haben, das kann sich sehr schnell ändern.
Sie meinen also, Herr Neidhart, der ganze Vorgang sei ›alternativlos‹, bloss weil Andere es auch so handhaben? Warum muss ich denn als Hausbesitzer Mietvorstellungen durchsetzten, die sich am Maximum orientieren und so zwangsweise nur für dm & Co zahlbar sind – weil mein Nachbar das auch so macht? Und warum kann ein cinestar-Betreiber seine Gewinnen aus den Blockbuster-Streifen nicht auch als Quersubvention eines Programmkinos verwenden? Was ist denn das für eine Haltung, die die eigene Interessenlage derart in den Fokus stellt und alle übergeordneten Aspekte nicht wahrzunehmen vermag?
Wenn sich ein Kino, Lutz E. Krause, in einer Immobilie nicht mehr lohnt, da die Hausbesitzer andere Mietvorstellungen haben, kommt halt ziemlich rasch das aus. Sie könnten ja selbst den Versuch wagen, ein Kino in der Innenstadt zu etablieren. Der Vorgang würde sich vielleicht ebenso in die Stadt-Chronik einschreiben. Übrigens existierten linksrheinisch einige selbständige Kinos, die längst eingegangen sind. Scala ist nur das letzte. Auch in Kreuzlingen waren es drei, d.h.: Alle sind verschwunden. Im Cinestar bietet Herr Rabe immerhin an, einen Saal nicht für „gängige Ramschware“ einzurichten.
Den Versuch von einem Herrn Rabe, den letzten Akt ebenso zu verhindern wie die zugesagten Dreharbeiten im Kino, kann man nur als erbärmlich bezeichnen.
Wer nun hofft, mit dem Entfernen des Scala-Schriftzuges auf der Fassade wird das Thema erledigt sein, der irrt gar sehr. Dieser Vorgang wird sich auf Dauer in die Konstanzer Stadt-Chronik einschreiben. Neben der Filmdokumentation von Wolfsperger, der man viel Aufmerksamkeit wünschen darf, wird das künftige dm-Logo eine für alle sichtbare Signatur sein und die Geschichte erzählen, wie ein unseliges Dreigestirn aus Hausbesitzer, Kinobetreiber und Investor eine Kultur-Institution exekutiert haben, um diesen Ort meistbietend zu verscherbeln – dies von der Stadtverwaltung zu spät erkannt und nicht verhindert.
Getriebene medialer Aufmerksamkeitssucht, die Inszenierung als Empörung tarnen. Angesichts des Stillschweigens hinsichtlich der schrecklichen humanitären Lage am unmittelbaren Rand Europas wirkt das Treiben endgültig lächerlich.
Wir werden uns ein Zitat von Bertolt Brecht zu Herzen nehmen: „Zorn und Unzufriedenheit allein genügen nicht, so etwas muss praktische Folgen haben.“ Und zu diesem Herrn Rabe ist schon Seneca weiland etwas eingefallen: „Den Charakter kann man aus der kleinsten Handlung erkennen.“