Schämt Euch

seemoz-BraunertDer Freundeskreis Asyl aus Radolfzell kümmert sich seit 30 Jahren um Flüchtlinge. Sein letztes Projekt ist der „Roma Balkan Express“. Doch den Bandmitgliedern droht die Abschiebung in ein „sicheres Herkunftsland“. Drei der zuletzt acht Musiker hielten den Druck nicht mehr aus und befinden sich derzeit auf der Rückreise, obwohl eine Petition für ihr Aufenthaltsrecht gestartet wurde (seemoz berichtete). Dazu ein seemoz-Interview mit Jörg Braunert. 

Mit dem Saxofon fing alles an: Cile Selimovic aus Serbien hat es im Gespräch mit Helfern des Freundeskreises Asyl aus Radolfzell zufällig erwähnt. Daraus entstand ein Projekt, das es so im Landkreis Konstanz noch nicht gegeben hat: Sechs Musiker haben eine Band gegründet, den „Roma Balkan Express“ (s. Foto). Das Besondere an der Band: Alle Mitglieder sind Roma aus Serbien und nach Deutschland geflüchtet. Vor knapp zwei Wochen erst traten die fulminanten Musiker beim Flüchtlingsfest im Konstanzer Kulturladen auf – bei der spontanen Spendensammlung unter den Gästen kamen bemerkenswerte 700 Euro zusammen.

Doch nun droht der Band, die in den wenigen Monaten ihres Bestehens bereits Kult-Status erreicht hat, die Zerschlagung: Drei Familienväter hielten den Druck nicht mehr aus und kehrten unfreiwillig auf den Balkan zurück. Was das für die Familien, für die Band und für die Arbeit des Freundeskreises Asyl aus Radolfzell bedeutet, wollten wir von Jörg Braunert (s. Foto) wissen. Braunert zählt zum Koordinierungssteam des Radolfzeller Freundeskreises Asyl:

Bricht der „Roma Balkan Express“ jetzt auseinander, wenn schon drei Bandmitglieder die Rückreise angetreten haben?
Die Band war sehr deprimiert, als zwei Bariton-Spieler und der Flügelhornist (auch der Sänger der Band) wegbrachen. Der eine war zur „freiwilligen“ Ausreise gezwungen. Die beiden anderen hätten noch bleiben können, aber sie und ihre Familien waren dem zunehmendem Druck nicht gewachsen und haben die Nerven verloren. Dabei läuft ja eine Petition für ein Bleiberecht der Musiker beim Landtag. Diese Hoffnung war Ihnen zu vage. Das kann  man verstehen. Stellen Sie sich vor: In Stockach –  dort waren sie untergebracht – hatte ausgerechnet der Helferkreis beschlossen, Roma von den Sachspenden auszuschließen. Sie wären sicher nicht auf die Sachen angewiesen, aber solche Signale gehen nicht spurlos vorüber.

Der Freundeskreis Asyl feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum: Er besteht seit 1985, als die ersten Asylbewerber nach Radolfzell kamen. Er ist kein Verein, sondern eine Zusammenkunft von engagierten Menschen, die den Flüchtlingen zur Seite stehen wollen. Sie kommen aus den evangelischen und katholischen Gemeinden der Stadt, aus Menschenrechtsorganisationen und karitativen Einrichtungen. Man trifft sich nach Absprache in den Räumen der evangelischen Gemeinde in der Brühlstr. 5. E-Mail: kontakt@fk-asyl-radolfzell.org. Website: www.fk-asyl-radolfzell.org.

Die verbliebenen Mitglieder der Band waren und sind natürlich deprimiert, auch wenn mit einer solchen Entwicklung von Anfang an gerechnet werden musste. Wir haben auch ans Aufgeben gedacht. Aber nach unseren ersten Terminabsagen kam die Botschaft von den Veranstaltern: Kommt halt so, wie ihr jetzt seid. Da haben die fünf Verbliebenen wieder Mut geschöpft.

Werden neue Bandmitglieder nachrücken? Mit anderen Worten: Macht der „Roma Balkan Express“ weiter?
Neue Band-Mitglieder aus ihrem Netz – das ist das Ziel. Aber noch ist es nicht so weit. Erst einmal jonglieren sie: Zwei Trompeten, aber kein Bariton, eine Trompete und ein Bariton, das Saxophon und das Schlagzeug sind auch noch da. Kriegen wir den fetzigen Balkan Beat mit dieser dünnen Decke wieder hin? Mal sehen.

Ein ganz persönliche Frage: Sie engagieren sich seit Jahren schon für Flüchtlinge in Radolfzell. Wie verkraften Sie diese Rückschläge?
Neulich habe ich eine Reportage über eine Flüchtlings-Helferin gelesen. Sie sagte: „Arbeit mit Flüchtlingen ist nicht immer gut fürs Gemüt.“ Das stimmt. Die vielen Niederlagen und die häufige Vergeblichkeit sind manchmal zermürbend.

Was möchten Sie nach solchen Erfahrungen unseren Politikern ins Stammbuch schreiben?
Schämt Euch für die Art und Weise, in der ihr gute Kriegsflüchtlinge und lästige Roma gegeneinander ausspielt. Das haben beide nicht verdient.

Und was empfehlen Sie anderen, ehrenamtlich aktiven Flüchtlingshelfern?
Nicht aufgeben, weitermachen.

hpk

seemoz-Wir waren acht

Mehr zum Thema:
23.03.2015 | Café Mondial – ganz global
20.07.2015 | Abschiebung von Musikern des Roma Balkan Express?
19.08.2015 | Fein, dass Flüchtlinge feiern