Schafe, Wolle und die Maut – eine Kreistagskomödie
In der Schweiz gibt es die Vignette, in Österreich das Pickerl, und in Frankreich beißt man sich in den allerwertesten cul, dass man seine Autobahnen an Firmen verhökert hat, die mit der Straßenmaut in Wegelagerer-Manier rund 25% Kapitalrendite machen. Auch in Deutschland soll jetzt eine Auto-Maut eingeführt werden. Wirklich in ganz Deutschland? Nein, ein kleiner alemannischer Landkreis leistet trutzig Teilwiderstand: Der Landkreis Konstanz
Landrat Frank Hämmerle hatte ein mulmiges Gefühl dabei, über eine Resolution des Landkreises zur vom Bund geplanten Auto-Maut abstimmen zu lassen, auch wenn er sie auf die Tagesordnung der Kreistagssitzung am Montag gesetzt hatte. Denn immerhin weiß noch niemand so recht, was Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in Sachen Maut überhaupt vorhat, da ist’s ein bisschen schwierig, jetzt schon dafür oder dagegen zu sein.
Aber Vorlage ist Vorlage, und abgestimmt werden muss sie allemal. Also einigte man sich auf folgende drei Punkte zur Beschlussfassung:
1) Der Landkreis Konstanz begrüßt, dass durch eine Maut zusätzliche Finanzmittel für den Bundesstraßenbau generiert werden sollen.
2) Der Landkreis Konstanz erwartet, dass sichergestellt wird, dass diese zusätzlichen Finanzmittel auch tatsächlich in den Straßenbau des Bundes fließen.
3) Der Landkreis Konstanz fordert den Gesetzgeber auf, dafür zu sorgen, dass jegliche Benachteiligung der Grenzregion Landkreis Konstanz ausgeschlossen wird.
Klingt kompliziert – und ist doch ganz einfach …
Die Wolle
Alle wollen Wolle haben, aber keiner möchte sein Schaf geschoren sehen (für Menschen unter 35: Alle wollen am Beach online sein, aber WLAN muss umsonst sein). Das ist ein eherner Grundsatz der föderalen Politik in Deutschland, die Lasten wie Einnahmen zwischen Städten und Gemeinden, Kreisen, Ländern, dem Bund und anderen verteilt.
Da ist es nur ganz natürlich, dass der Landkreis Konstanz sehr dafür ist, dass der Bund auch in Deutschland Straßennutzungsgebühren erhebt, damit er mit diesem Geld auch im Raum Konstanz schönere Bundesstraßen und Autobahnen bauen kann. Deshalb begrüßt der Landkreis ausdrücklich die Maut, fordert aber zugleich, dass „sichergestellt wird, dass diese zusätzlichen Finanzmittel auch tatsächlich in den Bundesstraßenbau fließen“ – und nicht etwa für einen Tarnanstrich fürs Bundeskanzleramt oder ein höheres BAFöG verwendet werden. So weit alles klar?
Die Schafe
Natürlich schätzt der Landkreis Konstanz auch seine Nähe zur Schweiz: In der Schweiz zahlt man Autobahngebühren und in Deutschland (bisher) nicht – so etwas nennt man einen klaren „Standortvorteil“, und den nimmt man natürlich gern in Kauf. Das lockt neben den vergleichsweise niedrigen Preisen und der Mehrwertsteuerrückerstattung die Käufer aus der Eidgenossenschaft zuhauf über die Grenze. Da kümmert’s niemanden, dass dank des Einkaufstourismus nach Deutschland manche schweizerische Stadtviertel in Grenznähe mittlerweile aussehen wie Beirut nach dem Bürgerkrieg. So weit verstanden?
Die Schafschur
Was aber passiert im Landkreis Konstanz, wenn in Deutschland eine Straßenmaut eingeführt wird? Man ahnt es: „Es werden Einbußen u.a. beim Einzelhandel befürchtet, da die Abgabe Fahrten zum Einkauf ins grenznahe Deutschland erschweren bzw. teilweise verhindern könnte.“ Deshalb fordert der zornige Konstanzer Kreistag mit Nachdruck vom Bund, dafür zu sorgen, dass eine Benachteiligung der Grenzregion Landkreis Konstanz ausgeschlossen wird. Was meint, dass die Maut im Landkreis Konstanz für schweizerische Bürger entweder gar nicht gelten oder zumindest nur auf (für den Einkaufsverkehr uninteressanten) Autobahnen, nicht aber auf anderen Straßen wie den Bundesstraßen zu bezahlen sein soll.
Hmmm … Von einer Benachteiligung der Grenzregion kann natürlich keine Rede sein, wenn alle gleichermaßen bezahlen müssen, und die Schweiz verlangt schließlich von deutschen Autofahrern auch eine Maut, da wäre ein wenig Rache an den Eidgenossen eigentlich doch nur süß. Es geht aber darum, dass der geliebte Standortvorteil geringer würde, wenn die schweizerische Kundschaft plötzlich eine Vignette für die Fahrt zum Einkaufen kaufen müsste. Und wenn es um ihren Einzelhandelsumsatz geht, erwacht im Landkreisler plötzlich neben dem Mautfan auch der Mautrebell, der trutzig gleichzeitig für die Maut für alle und gegen die Maut für schweizerische Einkaufstouristen ist. Sind Sie noch mitgekommen?
Einem Normalmenschen würde man an dieser Stelle den Gang zum Psychiater oder gleich ein paar herzhafte Elektroschocks nach Hausmacherart empfehlen, der Landkreis versteht das als durchaus rationale und vorausschauende Standortpolitik: Von den zahlungskräftigen schweizerischen Opferlämmern soll der Bund gefälligst die Finger lassen. Sie sollen gänzlich ungeschoren einen der hiesigen Einkaufstempel anfahren dürfen, wo ein Einheimischer nur darauf wartet, ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen.
Die Debatte
Der Kreistag war durchaus willig, sich diesem Thema mit Hingabe zu widmen. Marco Radojevic (Die Linke) lehnte jede Maut gleich rundheraus ab: Sie sei ein bürokratisches Monster, das angesichts von etwa 50 Milliarden jährlicher Abgaben aus Steuern für KFZs, Benzin usw. mit lächerlichen 600 Millionen finanziell gar nichts bringe. Sie sei unökologisch, weil sie Verkehr von der Autobahn auf die Landstraße und in die Ortsdurchfahrten umlenke. Und die Maut sei unsozial, weil sie vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen belaste. Birgit Homburger (FDP) forderte schließlich, über die Punkte 1, 2 und 3 (siehe Anfang) getrennt abzustimmen. Sie wollte 3 annehmen und 1 und 2 ablehnen, während der Grüne Rainer Luick grüne Zustimmung für 1 und 2, aber Ablehnung von 3 ankündigte. Verstehen Sie das? Das sind allen Ernstes Grüne, die da fordern, dass der Bund eine Auto-Maut erhebt, damit er die Landschaft besser zubetonieren kann?
Kurzum: Am Ende wurden alle drei Einzelpunkte der Resolution mit verschieden großen Mehrheiten angenommen. Und Landrat Frank Hämmerle kommentierte die Resolution durchaus selbstironisch: „In dieser Resolution bitten wir nicht nur, sondern fordern sogar, da werden die in Berlin aber erschrecken!“[modal id=“19250“ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: O. Pugliese