Schlecker in Arbeiterhand?

Michael Schlecht

Über Chancen einer Genossenschaftsbildung und die Ideen der Schlecker-Belegschaft: Ein Gespräch mit Michael Schlecht, dem Chefvolkswirten der Linksfraktion im Bundestag und Gewerkschafts-Sprecher im Vorstand seiner Partei. Denn auch in unserer Region wurden Schlecker-Läden dicht gemacht – Meersburg und Markdorf, Singen und Sipplingen, Konstanz und Radolfzell. Und weitere Geschäfte stehen auf der Kippe. Grund genug, über Alternativen zu reden.

In der Gewerkschaft ver.di und der Linkspartei wird seit kurzem intensiv über ein Genossenschaftsmodell für die insolvente Drogeriekette Schlecker debattiert. Was stellen Sie sich genau darunter vor?

Die Initiative zur Debatte kommt vor allen von den Schlecker-Frauen. Die haben gesagt, sie hätten für das Unternehmen in den letzten zehn bis 20 Jahren drei Milliarden Euro erarbeitet. Und jetzt sei die Geschäftsführung nicht mal in der Lage, den Laden am Laufen zu halten und die Arbeitsplätze zu sichern. Eigentlich, meinten sie, müsste man den Schlecker rausschmeissen und den Laden alleine übernehmen. Der Hintergrund ist, dass momentan vieles nach derselben Entwicklung aussieht, die solche Insolvenzen in den vergangenen 20 Jahren genommen haben. Da kommt irgendein privater Investor, oder Schlecker schafft es sogar, die Läden zu behalten, dann fließen Staatsgelder hinein, und am Ende müssen doch erhebliche Teile der Belegschaft gehen.

Das Unternehmen hat in den letzten Jahren viele Kunden an die Konkurrenz verloren. Was macht sie so sicher, dass ein Schlecker in Belegschaftshand erfolgreicher funktioniert?

Weil die Schlecker-Frauen nach meinem Eindruck viel bessere Ideen haben als die Geschäftsführung, die nur an Profiten interessiert ist. Sie kennen ihre Kunden besser. Die Stärke von Schlecker ist die enorme dezentrale Verbreitung in kleinen und kleinsten Orten. Die Idee ist, diese Läden viel stärker auszubauen und das Sortiment deutlich zu erweitern. Das würde sich lohnen, weil es häufig die einzigen Geschäfte in diesen Ortschaften sind. Und für Leute, die kein Auto haben oder Ältere ist das die einzige Möglichkeit, überhaupt einkaufen zu können.

Also ein Tante-Emma-Laden auf dem Land anstatt XXL-Geschäften in den Großstädten?

XXL-Läden mögen in den Großstädten auch sinnvoll sein als dritte große Kette neben Rossmann und DM. Die Großmärkte laufen ganz gut, die sind nicht das große Problem.

Das Unternehmen ist hochverschuldet, eine Sanierung wird Millionen kosten, wo soll das Geld dafür herkommen?

Die zentrale Frage ist erst einmal nicht die Finanzierung, sondern die Bereitschaft der Kolleginnen, eine Genossenschaft zu gründen. Gibt es unter den 35000 Schlecker-Frauen genügend, die aus ihrer Angst und ihrer Wut heraus einen Impuls in sich spüren, sich für ein solches Modell stark zu machen? Die Betroffenen müssen selbst in Bewegung kommen, erst dann können verschiedene Konzepte diskutiert werden. Sie müssen massenhaft sagen, wir wollen jetzt unser eigenes Schicksal in die Hand nehmen.

Wie ist die Stimmung unter den Kolleginnen?

Das ist sehr schwierig zu sagen. Deshalb gebe ich solche Interviews, um das Modell bekannter zu machen. Im übrigen gab es schon vor zwei Jahren, als die XXL-Läden hoch kamen und massenhaft Filialen geschlossen wurden, in Nordrhein-Westfalen Initiativen der Beschäftigten, die zugemachten Läden in Eigenregie zu übernehmen. Dieser Impuls schlummert also schon in den Menschen.

Aber brauchen die Beschäftigten nicht zumindest die Aussicht auf eine Finanzierung?

Wenn 20000 Schlecker-Frauen auf die Barrikaden gehen, dann sehe ich auch Chancen, dass wir zum Beispiel einen Wulff-Kredit bekommen.

Einen was?

Die Formulierung stammt von den Schlecker-Frauen. Die sagen, wenn sogar dieser Typ in Berlin einen günstigen Kredit bei einer Tochter der Landesbank von Baden-Württemberg bekommt, dann wir doch erst recht. Wir wollen die gleichen Konditionen wie Wulff haben. Nur brauchen wir vielleicht 200, 300 oder 400 Millionen.

Genossenschaftsgründungen vor allem bei größeren Unternehmen waren in Deutschland in den letzten Jahren eher die Ausnahme. Auch in den Gewerkschaften stieß das Thema auf wenig Gegenliebe.

Viele haben die Erfahrung, dass die nötige gesellschaftliche Unterstützung für eine Genossenschaftsgründung nicht zu haben ist. Daher sind die Gewerkschaften ein bisschen vorsichtiger oder sagen, Genossenschaften seien utopisch. Eins ist jedoch klar. So wie es jetzt läuft, kann es auf Dauer nicht weitergehen. Seit 20 Jahren unterschreiben wir einen Notlagentarifvertrag nach dem anderen. Wir müssen versuchen, auch weitergehende Modelle zu entwickeln.

Autor: Johannes Schulten (junge Welt)