„Schon wieder wird an neuen Legenden gestrickt“

hannes_heer4_200dpiHannes Heer kommt wieder nach Konstanz. Und wieder mit einem brisanten Thema: „Das Ende der Legende von der ’sauberen Wehrmacht‘ und die neuen Legenden“. Dabei beschäftigt sich der Historiker und Publizist vor allem mit aktuellen Filmen wie „Unsere Mütter, unsere Väter“, die – so sein Urteil – erfolgreich an neuen Legenden stricken: „Aus dem Volk der Täter wird schon wieder ein Volk der Opfer“. seemoz sprach vor seinem Konstanz-Auftritt mit Hannes Heer:

1997 wurde die Wehrmachtsausstellung unter großem Zuspruch in Konstanz gezeigt – zwei Jahre nach ihrer Eröffnung in Hamburg, die nun 20 Jahre zurückliegt. Hat sich die Sicht auf die Wehrmacht und ihre Verbrechen seitdem und dadurch wirklich verändert?
Die Legende von der sauberen Wehrmacht hat sich erledigt. Nicht nur in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit – auch die Wissenschaft, auch die Politik haben sich neu orientiert. So kam es am 30. Juni 2011 zu einer Sitzung des Bundestages zum Überfall auf die damalige Sowjetunion, in der alle Fraktionen sowohl den rassistischen Charakter des Vernichtungskrieges als auch die Rolle der Sowjetunion als des größten Opfers unter allen von Nazideutschland überfallenen Staaten unterstrichen haben – 27 Millionen unschuldiger Opfer, davon 15 Millionen Zivilisten.

Und es gab zahlreiche wissenschaftlicher Studien, die die Thesen der Ausstellung bestätigt haben, so zum „Kommissarbefehl“, zur geplanten „Hungerpolitik“ mit allein ca. einer Million verhungerter Bewohner von Leningrad, zur zweischneidigen Funktion der „Kameradschaft“ an der Front. Dagegen wurden aber auch Bücher veröffentlicht, die nur als revisionistisch zu bezeichnen sind. Dazu gehören die Untersuchungen des „Münchner Instituts für Zeitgeschichte“, die den Krieg der Wehrmacht in Griechenland, Frankreich und ab 1943 auch in Italien zu einem ganz „normalen Krieg“ erklären oder Verbrechen an der „Ostfront“ nur für die rückwärtigen Gebiete zugeben wollen. Das Ergebnis dieser wissenschaftlich unhaltbaren These ist dann die Behauptung von einer Täterquote von 5 Prozent, also von 500 000 Tätern unter den 10 Millionen Wehrmachtssoldaten an der Ostfront.

Dann gab es Streit mit dem Finanzier Reemtsma, der aufgrund von zwei Artikeln eines polnischen bzw. ungarischen Historikers die Ausstellung 1999 zurückzog und mit wenig Erfolg eine Neuauflage der Ausstellung präsentierte – was unterscheidet die Schauen?
Alle Landserfotos waren in der neuen Ausstellung weg, weil die fotografierenden Soldaten plötzlich angeblich nur noch „fragwürdige Augenzeugen“ waren. Stattdessen wurde auf Fotos der Propagandakompagnien aus dem Bundesarchiv zurückgegriffen. Das war der entscheidende Axthieb an unserer Ausstellung. Damit waren die Belege für Millionen Täter und Tatkomplizen weg, der „Holocaust von Wehrmacht und SS auf freiem Feld“, der Alltag des Tötens und Mordens, aber auch die Lust vieler Soldaten am Krieg. Wir hatten von Beginn an Wert darauf gelegt, nicht nur die Taten, sondern auch die Täter zu dokumentieren. Und danach zu fragen, was in ihnen vorgegangen ist beim Töten und danach. Auch das wurde gekippt. Reemtsma wollte mit allen Aussagen zur Mentalität „eher vorsichtig“ sein, und zu Zahlen und Größenordnung der Täter überhaupt nichts mehr sagen

Reemtsma hat also Taten ohne Täter gezeigt…
Richtig. Es gab ja bezeichnenderweise keine Proteste gegen diese zweite Ausstellung, während wir uns in der ersten Ausstellung Spray-Aktionen, Bombenattentaten, Diffamierungen unter der Gürtellinie, Fälschungsvorwürfen, Prozessen bis zum Bundesverfassungsgericht und massiven Neonazi-Ausmärschen ausgesetzt sahen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung urteilte denn auch nach der Eröffnung der „kastrierten“ zweiten Ausstellung befriedigt: „Die Wehrmacht war keine Mörderbande“ und „Das war’s dann wohl mit der deutschen Vergangenheit.“ Die Gegner unserer Ausstellung von Altkanzler Helmut Schmidt, über Rüdiger Proske, Kanzler Gerhard Schröder, dem Nolte-Freund Horst Möller bis zu Peter Gauweiler waren denn auch höchst zufrieden.

Der Titel des Vortrags kündigt ja auch die „neuen Legenden“ an, die Du vor allem in den populären deutschen Geschichtsfilmen ausmachst. Verraten die nicht ein Rollback?
Nicht nur die Kinostreifen. Es sind in den letzten Jahren etliche Bücher erschienen, die die Deutschen nicht mehr als Volk der Täter, sondern als Volk der Opfer darzustellen versuchen. In der wissenschaftlichen Literatur lässt sich das am Beispiel des Buches „Soldaten“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer demonstrieren, in dem der Charakter von Hitlers „Weltanschauungskrieg“ im Osten geleugnet und dessen Soldaten zu „ganz normalen Kriegern“ umgedeutet werden.

Angefangen hat diese geschichtspolitische Wende allerdings schon 1998 mit Martin Walsers Rede in Frankfurt. Dieser ideologisch geprägte Rollback negiert, dass es unter der Nazi-Herrschaft zwei Völkermorde gegeben hat – nicht nur den Holocaust, sondern auch den Genozid an den slawischen Völkern. Das findet in den populäreren Kinofilmen wie „Der Untergang“, „Rommel“ oder auch in der Fernseh-Produktion „Unsere Mütter, unsere Väter“ überhaupt nicht mehr statt. Da dominiert ein Täter-Bild im Sinne von Neitzel und Welzer, da ist wieder von nazistisch nicht geprägten, sondern von „normalen Kriegern“ die Rede. Der neue deutsche Geschichtsfilm, das ist meine These, knüpft damit an die bundesdeutschen Kriegsfilme der 1950er und 1960er Jahre an. Er bedient wie diese das Genre des „Opferfilms“, erweitert es aber mit um eine bemerkenswerte Variante. Dazu wird es in meinem Vortrag diese Woche in Konstanz einiges Erhellendes geben.

Der Themenschwerpunkt „Erinnern und Vergessen“ hat fast schon automatisch zu einer Kooperation mit der Konstanzer Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann geführt, die zusammen mit ihrem Mann Jan neben dem „kommunikativen“ vom „kulturellen Gedächtnis“ spricht.
Die Assmanns haben gleichsam eine Grammatik des Erinnerns geschaffen und damit einen Pionier-Beitrag zum Umgang mit der deutschen Vergangenheit und der daraus resultieren Schuld geleistet – wir alle haben davon gewaltig profitiert.

Hannes Heer (s. Foto) ist Historiker und Publizist. Bekannt wurde er als wissenschaftlicher Leiter und Kurator der Wehrmachts-Ausstellung (Originaltitel: „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“), die ab 1995 zum ersten Mal auch die Kriegsverbrechen der Wehrmacht während des 2. Weltkrieges für eine breite Öffentlichkeit dokumentierte. Heer trug damit – gegen Widerstände vor allem rechter Kreise – maßgeblich dazu bei, den Mythos von der „sauberen Wehrmacht“ in Wissenschaft und Öffentlichkeit zu zerstören. Für diese Leistung wurde er 1997 stellvertretend für das Autorenteam der Ausstellung mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet (nach: wikipedia).

hpk

Hannes Heer: 70 Jahre Kriegsende. 20 Jahre Wehrmachtsausstellung. Das Ende der Legende von der „sauberen Wehrmacht“ und die neuen Legenden“.
Freitag, 20.11. 19.30, Volkshochschule Konstanz, Katzgasse. Eintritt: 6 Euro (für Schüler und Studierende und mit vhs-Vortragskarte frei).

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