„Schwamm drüber, wir wollen wieder lustig sein“
Wir haben Tobias Engelsing, Historiker, Museumsleiter und selber engagierter Fasnachter, zu Willi Hermann und zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Fasnacht in Konstanz gefragt. Sein Fazit: In einem psychologischen Sinn hielten es die schweigsamen Täter und Opportunisten der NS-Zeit mit dem Narrenspruch „Gell, Du kennsch mi it!“
Kann man nach den Enthüllungen über Willi Hermann, den früheren Gaupropaganda-Redner der NSDAP und späteren 13er-Rat der Fasnachtsgesellschaft Niederburg, dessen Lieder noch in Narrenkonzerten und auf der Straße spielen und singen?
Manche Lieder werden in der Straßenfasnacht sicher weiter gesungen werden, denn sie haben sich von ihrem Komponisten gewissermaßen emanzipiert, sind auch in der heutigen Fasnacht Allgemeingut geworden – trotz ihres betont patriarchalisch-harmonischen Weltbilds. Kapellen und musizierende Schnurrgruppen werden sich also vermutlich nicht darum kümmern, ob der Komponist einst ein hauptberuflicher Nationalsozialist und exponierter Propagandist der NS-Ideologie war. Die Lieder selbst vermitteln auch keine NS-Ideologie, sieht man vom sehr chauvinistischen Frauenbild und von der Verharmlosung der Vergangenheit einmal ab.
Und in der Saalfasnacht, wird dort mit Willi Hermann weiter geschunkelt?
Das glaube ich nicht, denn seit wir wissen, dass Willi Hermann ein hauptberuflicher Antisemit, glühender Hitler-Anhänger und geistiger Wegbereiter des Völkermords war, erkennen wir diese Lieder als Teil einer Nachkriegsstrategie dieses NS-Täters: Wie viele war auch er nicht nur unfähig, über die eigene Schuld so etwas wie Scham zu bekunden, er beschwieg seine Vergangenheit und überdeckte seine professionelle Mitwirkung am jahrelangen NS-Terror auch noch mit zwangsharmonischen Heimatschnulzen, nach dem Motto: Schwamm drüber, wir wollen jetzt wieder lustig sein! Ich kann mir keine Konstanzer Narrengesellschaft vorstellen, die diese neue Erkenntnis ausblenden könnte.
Ist Willi Hermann ein Einzelfall oder anders gefragt: Wie braun war die Konstanzer Fasnacht?
Vereinsorganisierte Fasnachter waren Teil der bürgerlichen Gesellschaft, wie heute auch. Soweit die Narrengesellschaften und Zünfte 1933 schon bestanden, waren auch dort folglich alle Spielarten politischen Verhaltens zu beobachten: Von glühender Begeisterung für den neuen „Volkskanzler“ Hitler bis zu konfessionell oder politisch motivierter Distanz. Die Grenznähe von Konstanz hat hier anfangs vielleicht eine Nuance mehr Distanz zum neuen Regime hervorgebracht. Es gab bis zum Krieg da und dort ironische kommunalpolitische Anspielungen, vor allem bei der „Elefanten AG“. Das war aber durchaus kein Widerstand, denn ab 1934 saßen die lokalen Spitzen-Funktionäre der Diktatur als Ehrengäste in der ersten Reihe der Narrenkonzerte, wurden höflichst begrüßt und hofiert, auch, weil das NS-Regime die als ideologisch nutzbar erkannte „alemannische Volksfasnacht“ direkt förderte. Gemeinsam polemisierte man gegen die „Niggermusik“ und beschwor eine arisch lupenreine Fasnacht – die es nie gegeben hatte.
Ging es nach 1945 personell und inhaltlich nahtlos weiter?
Mit Kriegsbeginn 1939 wurden alle Veranstaltungen untersagt. Nach Kriegsende dauerte es einige Jahre, bis die aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrenden jüngeren Vereinsmitglieder wirtschaftlich wieder Fuß fassten, die Entnazifizierung überstanden hatten und wieder Geld da war, um zu feiern. Nach etwa zehnjähriger Unterbrechung legten die Narrengesellschaften richtig los: Mit bunten Abenden und Narrenkonzerten, durchweg harmlosen Späßen und mit den schmissigen Liedern der Wehrmachts-Truppenunterhaltung und alten UFA-Filmschlagern.
Die individuelle Beteiligung am mörderischen Nationalsozialismus wurde beschwiegen, einzig über die Entnazifizierungsverfahren der Alliierten wurden ironische Witze gerissen. Die Narren waren eben auch nur normale Deutsche: Man war sich keiner Schuld bewusst, hatte, nach eigener Wahrnehmung, höchstens aus Zwang „mitgemacht“ und letztlich fühlten sich alle als Opfer Hitlers. Das Kuriose daran: In den Narrenkonzerten nach 1949 saßen auch die französischen Besatzungsoffiziere und waren hellauf begeistert von dieser durchweg fröhlichen, musikalisch mitreißenden Fasnacht mit den vielen hübschen Konstanzerinnen. In dieser Atmosphäre machte Willi Hermann seine zweite Karriere – keiner fragte mehr nach seiner Vergangenheit, übrigens wohl auch nicht beim renommierten Stockacher Narrengericht.
Gab es in den Narrengesellschaften eine historisch-kritische Aufarbeitung der NS-Jahre?
Nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Als ich in den frühen 1980er-Jahren als junger Student für den Südkurier eine erste Serie über die Nachkriegsfasnacht schrieb, stieß ich in etlichen Narrengesellschaften sozusagen nur auf ehemalige „Widerstandskämpfer“, die sich gegen die Zumutungen des NS-Regimes gewehrt haben wollten. Sie waren in ihrer Selbstwahrnehmung alle gegen „die Nazis“ gewesen – in den wenigen erhaltenen Texten der Büttenreden der 1930er Jahre fanden sich jedoch nur ein paar Scherze gegen die NS-Kommunalpolitik, aber eben auch Witze auf Kosten derer, die ins KZ Heuberg geschleppt worden waren. Die Gesellschaft der 1950er Jahre war auch im Südwesten restaurativ, sie pflegte einen selbstmitleidigen, sentimental-rückwärtsgewandten Humor. Erst der etwas jüngere Helmut Fasnacht schlug andere, politischere Töne an. In einem psychologischen Sinn hielten es die schweigsamen Täter und Opportunisten der NS-Zeit mit dem Narrenspruch “Gell, Du kennsch mi it!“
Und heute, wäre die Darstellung der Fasnacht kein klassisches Thema für die Konstanzer Museen?
In den vergangenen 30 Jahren habe ich mehrfach über die jüngere Geschichte der Fasnacht publiziert, das kam bei den damaligen alten Narrenfunktionären meistens nicht gut an. Heute ist das anders, die Narrengesellschaften unterstützen uns bei historischen Forschungen. Seit rund einem Jahrzehnt sammelt das Team des Rosgartenmuseums nun zielgerichtet in Familien und Vereinen Dokumente, Fotoalben, Orden, Kostüme zur vielfältigen, viel mehr als nur die NS-Zeit umfassende Epoche der Konstanzer Saal- und Bühnenfasnacht. Wir erforschen die Spanne vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Dazu wird auch die biografische Archivrecherche zu den Akteuren gehören. Daraus werden wir in den nächsten Jahren eine große Ausstellung und ein Buch machen, aber gründliche Forschung braucht halt etwas Zeit.
Die Fragen stellte Holger Reile
Dr. Tobias Engelsing (57), Historiker, leitet seit 2007 die Städtischen Museen in Konstanz.
@Angelika Bernecker
Machen Sie es sich bei der Causa Hermann nicht ein wenig arg einfach? Nur zur Erinnerung: Es geht um fasnächtliches Liedgut eines NS-Propandaredners und mutmaßlichen Kriegsverbrechers. Zumindest das sollte nachdenklich stimmen. Sie sind doch sonst so kritisch….diesmal nicht?
Ok, singen wir also die alten Konschdanzer Mundartlieder, die meines Wissens keinen Funken rechtes Gedankengut beinhalten und seit Jahrzehnten Alt und Jung, Einheimische und Zuegreiste verbinden, zukünftig in düsteren Kellern u./ oder hinter den verschlossen Türen des Haus Nr. 11 oder- gar nicht mehr? Wer es wagt, diese Fasnetslieder in der Öffentlichkeit, zum Beispiel beim Treff auf der Marktstätte, zu singen und dabei gar noch in der Masse zu schunkeln, wird bestraft: zukünftig ist Wurstschnappen für ihn und kommende Generationen verboten.
„Mädle, wenn vu Konschdanz bisch “ – jo, des bin i…