„Schwarze Stunde für die Demokratie in Radolfzell“

Polizeieinsatz und Festnahmen am „Volks­trauer­tag“ in Radolfzell: Einsatzkräfte setzten am 19.11. das von der Stadtverwaltung angeordnete Verbot einer antifaschistischen Versammlung durch und kesselten eine Gruppe vornehmlich jugendlicher Demon­strantInnen ein. Obwohl sich die rund zwei Dutzend TeilnehmerInnen der Drohung, die Versammlung aufzulösen, schließlich zähneknirschend beugten, griff die Polizei beim Abzug zu: Vier Personen wurden festgenommen.

Dem brachialen Polizeieinsatz war eine Entscheidung der Stadt am vergangenen Freitagnachmittag vorausgegangen, eine erst einen Tag zuvor genehmigte Veranstaltung vor dem „Kriegerdenkmal“ am Luisenplatz wieder zu verbieten. Mit der von einer Privatperson angemeldeten Manifestation wollten AntifaschistInnen aus Radolfzell und der Region am „Volkstrauertag“ an die unrühmliche NS-Vergangenheit der Stadt erinnern und über die zunehmenden Umtriebe von Neonazis aufklären.

Bürgermeisterin Monika Laule begründete das städtische Verbot mit einer „unmittelbare(n) Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung“, wie es in der Verbotsverfügung heißt. Zu dieser Erkenntnis will man im Rathaus gekommen sein, nachdem in der Nacht vom 16. auf den 17.11. Unbekannte drei Zettel an den Denkmalsockel geklebt hatten, auf denen die Veranstaltung angekündigt war. Der Zeitpunkt kurz vor dem Wochenende war von der Stadt geschickt gewählt, nahm man den OrganisatorInnen doch faktisch die Möglichkeit, sich gegen das politisch an den Haaren herbeigezogene und auch juristisch fragwürdige Verbot zu wehren.

Trotzdem fanden sich am Sonntag vor dem Radolfzeller Bahnhof rund 25 vor allem junge Leute ein, die sich entschlossen hatten, nun nicht nur für den ursprünglichen Anlass – das Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes und die Notwendigkeit, sich der Rechtsentwicklung entgegen zustemmen – an die Öffentlichkeit zu gehen; ihre Empörung richtete sich jetzt auch gegen die skandalöse behördliche Behinderung antifaschistischer Aktivitäten durch die Stadt. Der Versuch, vom Bahnhof aus friedlich durch die Innenstadt zum Luisenplatz zu ziehen, endete dann auch nach kaum 50 Metern. Polizeikräfte, offenbar schon vorsorglich in großer Zahl zusammengezogen, stellten sich der Gruppe in den Weg und kesselten sie ein.

Der Einsatzleiter erklärte, er setze eine Verfügung der Stadt Radolfzell um, die ein Versammlungsverbot angeordnet habe und drohte allen TeilnehmerInnen mit „Ingewahrsamnahme“. Auskunft, auf welcher Rechtsgrundlage das geschehen solle, gab er trotz wiederholter Nachfrage nicht. Aus der Gruppe heraus wurde immer wieder das fragwürdige Demokratieverständnis angegriffen, das man im Radolfzeller Rathaus pflegt. So habe die Stadt zwar jüngst auf einer Konferenz medienwirksam ein „Bündnis Radolfzell für Demokratie“ vorgestellt, „heute sehen wir aber wieder einmal, wie Demokratie in Radolfzell gelebt wird“, so einer der Eingekesselten. Tatsächlich geht die Stadt nicht zum ersten Mal gegen antifaschistische Akivitäten vor. Zuletzt war sie vor wenigen Monaten gegen eine friedliche Anti-AfD-Kundgebung eingeschritten, ebenfalls mit fadenscheinig formalen Gründen.

Andere Beiträge erinnerten an den Anlass, aus dem man auf die Straße gehen wollte: die Umtriebe des Neonazi-Vereins „III. Weg“, der in direkter Anknüpfung an die NS-Verbrechen für völkisch-nationalistische Ziele trommelt – und in der Vergangenheit nur allzu oft eine behördliche Genehmigung dafür erhalten hat.

Als sich die DemonstrantInnen schließlich entschlossen, an diesem Sonntag den Versuch abzubrechen, ein Zeichen gegen Faschismus und für Demokratie zu setzen, war das noch nicht das Ende der „schwarzen Stunde für die Demokratie in Radolfzell“, wie es einer der Demonstranten lautstark den inzwischen in nicht geringer Zahl versammelten PassantInnen zurief. Sei es, dass man das für die interne Erfolgsstatistik brauchte, oder ob man damit nochmal ein repressives Zeichen der Abschreckung setzen wollte: Als die Gruppe sich anschickte abzuziehen, griff die Polizei zu. Vier Personen wurden ohne Anlass festgenommen, mindestens zwei davon rüde zu Boden geworfen und schließlich gefesselt abgeführt. „Wir kommen wieder“, tönte es trotzdem aus der Gruppe. Einer wirklich demokratischen Kultur in Radolfzell kann das nur gut tun.

jüg

Letzter Informationsstand: Alle Festgenommenen sind wieder auf freiem Fuß, angeblich sollen sie wegen einer Ordnungswidrigkeit (!) angeklagt werden.