Schwul bis zur Eckfahne

Immer mehr Persönlichkeiten aus Politik und Medien bekennen sich zu ihrer gleichgeschlechtlichen Veranlagung. Ein Schwuler regiert Berlin und eine Lesbe moderiert die bekannteste Talkshow hierzulande. Von einem homosexuellen Balltreter hat man allerdings noch nie was gehört. Ein neues Buch rüttelt an diesem Tabu.

Marcus Urban (37), heute Designer und Marketingassistent in Hamburg, galt in den neunziger Jahren als eines der hoffnungsvollsten Talente des DDR-Fussballs. Als dreizehnjähriger kam er auf die Kinder-und Jugendsportschule Erfurt, wo er für das DDR-Auswahlteam aufgebaut werden sollte. Bald merkte Urban, dass er Männer liebt. Das, so ist in seiner Biografie nachzulesen, sei für ihn damals nicht zusammen gegangen. Er wollte ein erfolgreicher Fussballer werden, „also kann ich nicht homosexuell sein“. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ein Doppelleben zu führen und alles dafür zu tun, um nicht als Schwuler geoutet zu werden.

Marcus Urban wurde zum „Versteckspieler“, so auch der Titel des Buches, das seine Geschichte erzählt. Er reagierte sich auf dem Platz ab, pflegte zunehmend, obwohl von der Spielanglage her eher ein Techniker, die brachiale Blutgrätsche. Mit Härte gegen sich selbst und gegen andere konnte er seine eigenen Gefühle überdecken. Er wollte unbedingt auf der Sportschule bleiben, alles andere wäre für ihn damals eine persönliche Niederlage gewesen.

1990 machte Urban sein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,5 und die Trainer waren überzeugt, dass er eine veritable Profikarriere hinlegen würde. Immerhin spielte Urban zu jener Zeit beim damaligen Zweitligisten Rot-Weiss Erfurt.
Doch aus dem sportlichen Aufstieg wurde nichts: Der Versteckspieler fühlte sich innerlich zerrissen. Zufällig bekam er Kontakt zu dem schwullesbischen Hamburger Fussballverein „Startschuss“, für den er nun seit vierzehn Jahren nur noch zum Zeitvertreib die Stiefel schnürt. Urban ist überzeugt davon, dass es vor allem im Hochleistungssport generell überproportional viele Homosexuelle gibt, sich aber – noch – keiner outen will.

Schwule Balltreter, vielleicht sogar bei Spitzenclubs oder in der Nationalelf? Gibt’s nicht. So zumindest die landläufige Meinung. Obwohl sogar der Deutsche Fussballbund (DFB) kürzlich reagiert hat und DFB-Präsident Theo Zwanziger schwulen Fussballern Hilfe angeboten hat. Dass er dafür von der „European Gay And Lesbian Sports Federation“ ausgezeichnet wurde, war den Medien keine Zeile wert. Da pflegt man doch lieber das Klischee vom deftigen Männersport, in dem Weicheier nichts zu suchen haben. Man stelle sich nur mal vor, was in einigen Stadien los wäre, würde ein bekennender Homosexueller in der letzten Spielminute einen entscheidenden Elfmeter versemmeln…..

Der Journalist und Buchautor Ronny Blaschke hat sich mit der Problematik auseinandergesetzt und porträtiert in seinem empfehlenswerten Buch „Der Versteckspieler“ den schwulen ehemaligen DDR-Fussballprofi Marcus Urban. Verlag: Die Werkstatt. Göttingen 2008.

Autor/In: WoZ/hr