Seebrücke: Schutz statt Diskriminierung

Scharf protestiert hatte die Konstanzer Seebrücke gegen die Internierung von Geflüchteten in der Luisenstraße wegen der Covid-19-Infektion eines Bewohners. Die Stadt verwahrte sich gegen die von der Initiative in einem Offenen Brief an Landrat und Verwaltungsspitze erhobenen Vorwürfe und verteidigte die Aufstellung des Bauzauns als nötige Maßnahme gegen gesundheitliche Risiken. In einer Mitteilung untermauert die Seebrücke nun ihre Vorwürfe und fordert wirksamen Schutz für Geflüchtete.

Unser „Offener Brief“ von Ostersonntag zur Errichtung eines Zaunes um die Konstanzer Anschlussunterbringung für Geflüchtete „Atrium“ zum Zwecke der Überwachung der Quarantäne durch einen privaten Wachdienst und durch die Landespolizei hat eine anhaltende öffentliche Diskussion in Gang gesetzt. Unsere Stellungnahme war an Landrat und Oberbürgermeister sowie weitere Vertreter*innen der Stadt Konstanz gerichtet. Die Diskussion ist zu unserem Bedauern von vielen Emotionen und wenig Sachlichkeit geprägt. Wir hätten uns einen Diskurs über Inhalte und nicht um Begrifflichkeiten gewünscht.

Selbstverständlich müssen Quarantäne und die gemäß der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 in der Fassung vom 22.3.2020 von allen in Stadt und Landkreis lebenden Menschen gleichermaßen eingehalten werden.

Kernpunkt unserer Kritik waren und sind Sondermaßnahmen von Stadt und Landkreis Konstanz, die ausschließlich Geflüchtete und deren Unterkünfte betreffen. Bei Hunderten von Infizierten und Kontaktfällen zu Infizierten in Stadt und Landkreis Konstanz wurde die Quarantäne bislang nicht derart stigmatisierend mit Zäunen, Wachpersonal und Präsenz von Landespolizei überwacht.

In keinem einzigen Fall in der Stadt Konstanz und im Landkreis, in keinem Klinikum, in keiner Pflegeeinrichtung, in keinem Studentenwohnheim, in keiner öffentlichen oder privaten Einrichtung oder Wohnung wurden solche Sonderregelungen während der unbestritten notwendigen Quarantäne umgesetzt. Allen Bewohner*innen des Atriums wurde das Begehen von Ordnungswidrigkeiten unterstellt und sie mit derartigen Sondermaßnahmen konfrontiert. Das Signal ist verheerend und war bis Dienstagmorgen nach Ostern mit Zaun, Wachdienst und Polizeipräsenz für alle sichtbar: Von diesen Menschen droht uns besondere Gefahr in Zeiten der Corona-Krise.

Dabei ist es sekundär ob diese Sonderregelung und öffentliche Bloßstellung einer diskriminierenden Fürsorge zuzuschreiben oder wissenschaftlich als rassistisch motivierte Handlung zu bezeichnen ist. Wir unterstellen niemandem der Verantwortlichen oder in den Behörden von Stadt und Landkreis eine rassistische Grundhaltung. Wenngleich derartiges Handeln Wasser auf die Mühlen von rassistischer Hetze und Gewalt ist. Das kritisieren wir nach unserer Auffassung zwingend notwendig.

Es handelt sich dabei zweifelsfrei aber um eine institutionelle Diskriminierung. Es bedarf auch bei dieser Feststellung keines emotional empörten Aufschreis, sondern einer sachlichen Auseinandersetzung. Hier auf Grundlage einer Begriffsdefinition der Bundeszentrale für politische Bildung: „… das heißt vermeintlich eindeutigen und trennscharfen Unterscheidungen zur Herstellung, Begründung und Rechtfertigung von Ungleichbehandlung mit der Folge gesellschaftlicher Benachteiligungen … Den Diskriminierten wird der Status des gleichwertigen und gleichberechtigten Gesellschaftsmitglieds bestritten; ihre faktische Benachteiligung wird entsprechend nicht als ungerecht bewertet, sondern als unvermeidbares Ergebnis ihrer Andersartigkeit betrachtet.“

All diejenigen, die sich hinter die Sondermaßnahmen stellen, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, zwischen Geflüchteten und dem Rest der Gesellschaft mit zweierlei Maß zu messen. Das ist eine Tatsache.

Wir kritisieren entschieden auch die im vorliegenden Fall behauptete Begründung der Konstanzer Verantwortlichen aus Politik und den Behörden Geflüchtete hätten sich schon vorher nicht an Regeln gehalten. Dies entbehrt ebenso vergleichbarer Grundlagen. In Stadt und Landkreis wurden lange vor den ersten Infizierten unter Geflüchteten an einigen Unterkünften ebensolche Sonderregeln aufgestellt. Private Wachdienste kontrollierten ein generelles Besuchsverbot, welches nicht von der oben erwähnten Verordnung der Landesregierung abgedeckt ist und weit über diese hinaus geht. Unregelmäßigkeiten bei der Durchsetzung der Sonderregeln nun so darzustellen, als sei die Einhaltung allgemeiner Corona-Regeln unter allen Geflüchteten problematisch ist „unfair und gemein“ oder professioneller ausgedrückt in doppelter Hinsicht diskriminierend. Vom Ursprung der Sonderregel und von der öffentlichen Darstellung und Wirkung.

Wir sehen unsere Sichtweise und die Forderung nach sicherer Unterbringung insbesondere von geflüchteten Familien auch durch die jüngste Initiative des Flüchtlingsrat Baden-Württemberg gedeckt, der in seiner Pressemitteilung „Massenunterbringung sofort beenden!“ ausführt: „Trotz der aktuell vorherrschenden Rhetorik, wonach alle im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung an einem Strang ziehen, um die Pandemie um jeden Preis einzudämmen, erkennt der Flüchtlingsrat in den Äußerungen und dem Verhalten einiger Behörden eine Denkweise, die Geflüchtete aus diesem gedachten Kollektiv ausgrenzt.“

Wir unterstreichen daher unsere Forderung keine restriktiven und diskriminierenden Sonderregelungen bei Kontakt- und Besuchsverboten für Geflüchtete aufzustellen und durchzusetzen, sondern diese durch Sicherheit bei der Unterbringung wirksam zu schützen. Wir verweisen diesbezüglich auf unsere konstruktiven Vorschläge unseres Offenen Briefes vom Ostersonntag.

MM/jüg (Foto: Konstanzer Seebrücke)