Siebter Klimastreik in Singen – Anstoß für einen neuen Politik-Modus?

Erfreuliche Überraschung beim siebten Freitags-Streik fürs Klima in Singen: rund 150 TeilnehmerInnen allen Alters sind dem Aufruf der Jugendlichen gefolgt. So bescheiden sich diese Zahl im Vergleich mit Konstanz mal wieder liest, die FfF-Aktiven dürfen es als Erfolg verbuchen, zumal sie drei Tage zuvor bei der Gemeinderatssitzung eine herbe Enttäuschung hinnehmen mussten: Öffentlich vortragen durften sie ihre Forderungen, aber diskutieren wollte das Ratsgremium darüber immer noch nicht.

Demozug größer, gemischter, länger und lauter

Der Wettergott war auf Seiten der SingenerInnen: Rechtzeitig vor Demo-Beginn um 13.30 Uhr (wiederum nach Unterrichtsende) hörte der Regen auf, und gegen die Novemberfrische half der Marsch durch die Innenstadt sowie das schon zum Ritual gehörende Hüpfen für den Kohleabbau-Stopp. Während bundesweit bereits berichtet wird, dass das öffentliche Interesse an den Klima-Streiks inzwischen nachlasse, die Forderungen der jeweiligen Gruppen an ihre Rathäuser ausdiskutiert seien, scheint in der Stadt am Hohentwiel das Protestpotenzial gerade erst zu erwachen. Nach dem großen globalen Streiktag im September war es die bisher bestbesuchte Demo. Zum ersten Mal nahmen mindestens so viele ältere Jahrgänge wie Jugendliche teil. Neue Gesichter und mehr Plakate waren zu sehen, zudem viele sehr junge SchülerInnen. Der Singener Ortsverband des BUND und VertreterInnen von solarcomplex waren als Mitunterstützer der FfF-Forderungen an die Stadt ebenso mit dabei. Eine Singener Buchhandlung hatte ihre Teilnahme am Streik vorab im Schaufenster angekündigt und von 13 bis 15 Uhr ihr Geschäft geschlossen.

Der Protestzug war lauter und die Wegstrecke auch länger: von der Ekkehardstraße über die Hauptstraße bis zum Rathaus und anschließend auf der Freiheitsstraße zum Heinrich-Weber-Platz konnte der Autoverkehr zumindest für eine kurze Zeit zum Stehen gebracht werden.

Vor dem Rathaus gab es erste Statements von Schülern. Neue MitstreiterInnen sind dabei, denn einige der bisherigen, seit ihrer ersten Demo im März aktiven Protagonisten haben ja noch einen „kleinen Nebenjob“, der da heißt Abi-Vorbereitung, die Zeit bis zu den schriftlichen Prüfungen läuft. Aber NachfolgerInnen aus den Klassen 10 und 11 des Friedrich-Wöhler- und des Hegau-Gymnasiums sind schon da. Der Protest soll also weitergehen, bis die Politik auf allen Ebenen endlich so konsequent klimawirksame – nicht nur an kurzfristigem wirtschaftlichen Profit orientierte – Maßnahmen ergreift, welche die (immer unwahrscheinlicher werdende) Erreichbarkeit des Ziels, die weitere Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten, nach klimawissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich machen kann.

Zu erfahren, welche Maßnahmen die lokalen Entscheidungsträger in Singen konkret anstreben und umsetzen wollen, darauf allerdings müssen die Singener Fridays for Future aber weiter warten, wie deren Sprecher Benjamin Jahnke den ZuhörerInnen vor dem Rathaus mitteilte.

Das gesammelte Schweigen des Gemeinderats – Zweiter Teil

Die Vorstellung des Forderungspapiers der Fridays for Future-Gruppe stand nach den Bürgerfragen (die es nicht gab) auf der Tagesordnung der Gemeinderatssitzung am vergangenen Dienstag. Die wenigen anwesenden BürgerInnen durften von Oberbürgermeister Bernd Häusler hören, dass man deutlich mehr gegen den Klimawandel tun müsse als bisher, auch wenn Singen da schon einiges getan habe, und die Verwaltung bereits an der Umsetzung arbeite, aber auf Antrag der Mehrheit der Ratsmitglieder heute nicht darüber diskutiert werde … Dies solle nun am 17. Dezember, in der letzten Sitzung dieses Jahres stattfinden.

Der Antrag der Fraktion der Grünen – für die Eberhard Röhm darauf hinwies, dass damit nur weitere Zeit davonlaufe – jetzt doch zumindest eine grundsätzliche Stellungnahme zu den Forderungen abgeben zu dürfen, wurde mit 23 Gegenstimmen abgeschmettert. Nur die beiden SÖS-Rätinnen hatten mit den Grünen gestimmt.

Anschließend durften Amina Trautmann und Benjamin Jahnke die längst bekannten Forderungen öffentlich vortragen und tausend gesammelte UnterstützerInnen-Unterschriften dem OB übergeben.

Machtspiele: Bittstellen ja, fordern nein? „How dare you?!“

Die große Mehrheit der RätInnen ließ den Vortag mit regloser Miene über sich ergehen. Nicht weiter verwunderlich, liegt ihnen das Papier doch schon seit etlichen Wochen vor. Zu Nervosität besteht auch kein Anlass, hat doch die konservative Politik in den letzten Jahrzehnten immer einen Weg gefunden, unwirksame Maßnahmen als große Würfe des Umwelt- und Klimaschutzes zu verkaufen. Warum also nicht auch dieses Mal?

Warte man also den 17. Dezember ab. Die FfF-Aktiven werden jedenfalls diese Sitzung besuchen. Trotz des gesammelten Schweigens ist aber aus CDU-Kreisen zu vernehmen, dass man sich nicht von den Forderungen der Fridays for Future treiben lassen wolle. Wen wundert’s, schließlich dürfte der Verlust von zwei Ratssitzen nicht zuletzt dieser Bewegung zu verdanken sein. Und das wurmt. Auch weitere Räte aus konservativ-neoliberalen Reihen sollen Unmut darüber geäußert haben, dass die Klima-AktivistInnen „immer nur fordern“ würden. Aus deren Sicht wäre bei FfF wohl untertänigstes Bittstellen angemessener gewesen. Auch nicht weiter verwunderlich. Mächtige Interessenvertreter haben es nicht nötig zu fordern. Damit ihre Wünsche erfüllt werden, genügt meist ein dezenter Hinweis auf ihre Befindlichkeiten.

„Der Modus, mit dem Politik heute gestaltet wird, ist nicht mehr aktuell“

Dass Politik auch anders gehen könne und künftig anders gehen müsse, skizzierte der geladene Gastredner Marian Schreier (Bürgermeister in Tengen, noch, und vielleicht SPD-Kandidat für die OB-Wahl in Stuttgart 2020) beim Schlussteil der Freitags-Demo auf dem Heinrich Weber-Platz. Die derzeitigen politischen Veränderungen hält er für überschaubar. Für ihn ist ein zentrales Verdienst der FfF-Bewegung, dass sie zeige, dass der Modus, mit dem Politik heute gestaltet wird, nicht mehr aktuell sei. Wie sehr die Zeit für eine wirksame Klimapolitik dränge, steht für ihn außer Frage: „Es bleiben zehn Jahre, in denen Maßnahmen nicht nur gesetzt werden müssen, sondern in denen auch danach gehandelt werden muss.“ Und zehn Jahre seien gerademal zwei Legislaturperioden für einen Gemeinderat. Und der Handlungsbedarf im Landkreis Konstanz mit einem Anteil von mickrigen 18 Prozent erneuerbarer Energien – damit weiterhin Schlusslicht in Baden-Württemberg – ist groß.

Mit seinem Plan in Tengen einen zweiten Windpark (zusätzlich zu den drei Windrädern von Verenafohren) einzurichten und darüber per Bürgerentscheid abstimmen zu lassen, setzt er tatsächlich Maßstäbe. Eine dezentrale, von der Bürgerschaft bestimmte Energieversorgung ist seine positive Vision. Dass eine Mehrheit der Gesellschaft solche Veränderung möchte – und zwar jetzt, wie die FfF fordern – bezweifelt er nicht. Die Gegner seien in der Minderzahl, die sich aber vor allem lautstark über Südkurier und Wochenblatt (das wird dort wohl nicht so gern gehört) artikulierten. Hoffentlich behält er damit recht in Anbetracht der vielen Antiwindkraft-Bürgerinitiativen.

Ein präzis formulierter Vortrag, der eindeutig Stellung bezieht, ganz ohne abgedroschene Floskeln und altbekannte Binsenweisheiten und der mit großem Applaus aufgenommen wurde.

Uta Preimesser (Fotos: Dieter Heise)