Sind wir nicht alle kleine Nazis?

Die Debatte um die braune Vergangenheit des früheren Konstanzer Oberbürgermeisters Bruno Helmle hält an. Dass dabei vermehrt auch seltsame Töne aufkommen, war zu erwarten. Wie neulich im altehrwürdigen Konzil. In angenehm verkürzter Form erläuterten Wolfgang Seibel, Lothar Burchardt und Jürgen Klöckler ihr Gutachten, das sie über Bruno Helmle erstellt hatten und das seit geraumer Zeit schon im Internet nachlesbar ist.

Ja, Bruno Helmle war ein Steigbügelhalter und Nazi-Mitläufer in höheren Diensten, der sich nachweislich und in großem Umfang an jüdischem Eigentum bereichert hat, aus dem Weltkriegsdesaster unbeschadet davon kam, an einer bürgerlichen Karriere bastelte, wie Millionen andere auch, ohne die das NS-System nicht hätte überleben können. Seine Biographie fälschte der eitle Tropf und bog sie sich hin – wie Millionen andere auch. Und nein, ein fanatischer Nazi an vorderster Front war er nicht – wie Millionen andere auch, die uns später erzählten, sie hätten von nichts gewusst. So weit, so bekannt.

Wie immer bei Diskussionen über den Nationalsozialismus fühlen sich verstärkt ältere Semester dazu berufen, relativierend einzugreifen. Die Frage, vor allem an die junge Generation: „Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie damals Widerstand geleistet hätten?“ darf natürlich gestellt werden, sollte aber nicht dazu herhalten, die Untaten der braunen Mitläufer herunter zu spielen, oder gar zu verharmlosen. Um Letzteres bemühte sich im Konzil nach Kräften der Physiker Hans-Albert Kolb, einst Schwiegersohn von Bruno Helmle. Seine Thesen waren abenteuerlich, vorgetragen mit professoraler Selbstverliebtheit.

Sein Schwiegervater habe sich von der NSDAP distanziert und sich sogar für Juden eingesetzt, so Kolbs Behauptungen. Außerdem habe er während des Krieges Widerstandskämpfern Unterschlupf gewährt und politisch Verfolgten in vielfältiger Weise geholfen. Herrn Kolbs Vortrag geriet zu einer unappetitlichen Melange, die nur schwer zu ertragen war. Dass er sich ausschließlich auf die Entnazifizierungsakten seines Schwiegervaters berief, die angereichert wurden mit sogenannten „Persilsscheinen“, trug nicht zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Auch Jürgen Klöcklers Einwand, dass in Deutschland selten mehr gelogen worden sei als bei den Entnazifizierungsprozessen, konnte Kolb nicht stoppen. Verräterisch auch seine Sprache: Die Aneignung jüdischen Eigentums bezeichnete er als „rechtlich erworbenes Umzugsgut“. Der Einwand, dass heute empfundenes Unrecht auch damals eines war, interessierte Kolb schlichtweg nicht. Sogar Helmle-Befürwortern („Ohne ihn hätten wir heute keine Universität“) war dieser Auftritt äußerst peinlich.

Ein anderer Diskutant war davon überzeugt, dass Helmles katholischer Background zu einer „Immunisierung gegenüber den Nazis“ geführt habe und er damit „nicht nachweisbar schuldig“ gesprochen werden könne. Verhaltener Applaus. Ein kleiner Hinweis, Herr Michael W., sei mir an dieser Stelle gestattet. Lesen Sie doch bitte Ernst Klees Buch „Die SA Jesu Christi“/Die Kirche im Banne Hitlers. Dann reden wir nochmal darüber, ob ein christlicher Hintergrund tatsächlich so immunisierend gewirkt hat, wie Sie offensichtlich glauben.

Ein leiser Hauch dieser blubbernden Relativierungswelle streifte schließlich auch Wolfgang Seibel. Zwar betonte er ausdrücklich, dass Helmles Vorgehen nicht in Ordnung war, aber auch er fühlte sich bemüssigt, die Frage zu stellen, wie wir Jüngeren uns „damals“ verhalten hätten. Das treibt den klugen Kopf, der bei der Debatte mehrmals vor „Selbstgerechtigkeit“ warnte, wohl schon seit längerem um. Er gab kund, in leichtfertigen Jugendjahren ein linker Feger und sogar Maoist gewesen zu sein. Heute glaubt er zu wissen, damit ähnlich wie Helmle ebenfalls ein Unrechtsregime verharmlost zu haben. Dieser gar schröckliche Irrtum (Achtung Zynismus) verbinde ihn herzlich mit dem Konstanzer Oberbürgermeister Horst Frank, der nach Augenzeugenberichten als Halbwüchsiger mehrmals beim vertieften Studium in der Maobibel gesichtet wurde und darob sein Wollmatinger Elternhaus nur noch nachts verlassen konnte. (Zynismus Ende). Ernsthafte Frage: Wen interessiert das? Und: erneut zeigt sich, dass Vergleiche mit dem NS-Regime meistens in die Hose gehen.

Fazit: Neues hat der kurzweilige Plausch im Konzil nicht gebracht. Aber damit konnte man auch nicht rechnen. Die Faktenlage in der Causa Bruno Helmle ist klar, völlig eindeutig und frei von selbstgerechter Nachbetrachtung. Der Konstanzer Gemeinderat wird am 3.Mai entscheiden, dass Helmle die Ehrenbürgerwürde posthum entzogen wird. Das gilt als sicher, denn neue Erkenntnisse werden wohl kaum kommen, auch wenn Wolfgang Müller-Fehrenbach für seinen früheren CDU-Parteifreund immer noch verzweifelt in Konstanzer Kellern nach Entlastungsmaterial sucht.

Über andere „Mitläufer“ wie Conrad Gröber, Kurt-Georg Kiesinger und viele andere wolle man an diesem Abend übrigens nicht reden, so der Historiker und Moderator Rainer Wirtz. Dann eben ein ander Mal.

Autor: H.Reile

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