Singen: CANO gibt den Ton

seemoz-cano-schriftzugLetzte Woche gab sich mal wieder ECE-Projektmanager Marcus Janko die Ehre, in Begleitung von Architekt Ulf Jelinek. Zu verkünden hatten sie eine besonders frohe Botschaft – erst in der nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderates und dann beim offiziellen Pressetermin: Die geplante Shoppingmall, bislang in der Stadt profan „das ECE“ genannt, hat nun einen Namen.

Nein, nicht Hohentwiel-Forum oder Hegau-Arkaden, auch nicht Häusler-Hütte oder Brößke-Boutique – spekuliert wurde so allerhand, auch Abwegiges – CANO ist der Name.

Aber in diesen vier Buchstaben haben, wie die Herren aus Hamburg wortreich betonten, Experten und Agenturen ganz viel Hirnschmalz und profundes Wissen gesteckt: Cano sei in Canyon enthalten – bei meinen Streifzügen im Hegau ist mir bisher allerdings noch keiner aufgefallen, doch das mag an meiner Lebensweise als streunender Stadtkater liegen. Aber im „Cano“ sollen dann einmal Canyons zu erkennen sein. Vielleicht gelingt es mir ja, mich da irgendwie rein zu schmuggeln … Aber auch in Vulcano ist „Cano“ enthalten – gut, akzeptiert; die Hegauberge sind, wie ich als halbwegs gebildeter Kater weiß, von den eiszeitlichen Gletschern größtenteils freigefräste Lava-Propfen.

Doch zum landschaftlich-geologischen komme überdies humanistisches Gedankengut: „Cano“ sei der lateinische Name für Singen … Hhm … vielleicht habe ich ja nicht oft genug in Archiven und Bibliotheken herumgestreunt, aber soweit ich weiß, gibt es keinen lateinischen Namen aus „römischer“ Zeit für Singen. Erstmals wurde Singen in einer lateinischen Urkunde von 787 als sisinga erwähnt. Klingt für einen Kater nicht wie Cano. Lateinisch cano heißt deutsch „ich singe“. Aber als nur halbwegs gebildeter Kater geziemt es sich nicht, einfach oberlehrerhaft zu sein.

Warum nicht „Sing-Sing“?

„CANO Singen“ also als Schriftzug, mit einem goldenen stilisierten C darüber, dessen Darstellung von einen Vulkankegel abgeleitet sein soll. Ja, da haben sich die ECE-Werbespot-Canonen für die Provinz im Süden was einfallen lassen. Die Stadt hatte dabei kein Mitspracherecht und gerüchteweise sind einige GemeindeträtInnen wegen dieser Wortschöpfung noch am Grübeln, während sich der Lokalchef der hiesigen Heimattageszeitung bereits vor Begeisterung überschlägt: ECE werde „die Vulkan-Herleitung erklären und leben“. Da können wir aber gespannt sein.

Mit einem ebenso phantastischen Gebilde aus Assoziationen hätte man aus „Singen“ auch ganz leicht „Sing-Sing“ machen können – aber mit Zäunen und Security als Schutz gegen die Außenwelt: Singen könnte zu einer Trutzburg (gated city) für die Schönen und Reichen umgestaltet werden. Dass hier eine Trutzburg entstehen solle, habe ich in letzter Zeit oft gehört. Für „Sing-Sing“ als Name braucht es zwar nicht mehr phantastische Assoziationen als für „Cano“ aufgeboten wurden, aber der Name scheidet leider definitiv aus, denn Sing-Sing ist bereits ein eigener Mythos, der Bestand hat.

Der Bau des Cano ist ein wichtiger Schritt für Singens Entscheider weg vom „hässlichen Entlein-Image“, weg von der Arbeiter- und Industriestadt hin zur Einkaufs- und Kunststadt, zum Touristenmagneten dank künftiger Shoppingmall und Mac-Museen, so die Vorstellung von OB Bernd Häusler und der Mehrheit des Gemeinderates.

Betongold für Investoren

Für diesen Umbau wird sich Singen 2017 in eine Großbaustelle verwandeln: Außer dem „Schandfleck Holzerbau“ am Bahnhof wird auch der Schandfleck „Conti“ an der Hauptstraße abgerissen werden, an dessen Stelle soll ein schmuckes Scheffelareal mit bis zu 155 Wohneinheiten entstehen – Betongold für Investoren und wahrscheinlich nichts für Wohnungssuchende mit kleinerem Geldbeutel.

Zugegeben, das Conti ist wirklich kein Aushängeschild mehr, aber als solches war das Hochaus-Hotel in den späten 60er Jahren gedacht und so wurde es gefeiert, genau wie der „Holzer-Bau“. Gerade mal eine Generation haben beide Gebäude „überstanden“. Mit dem ECE – Pardon – Cano jedenfalls wird, das ist so sicher wie ein atomares Endlager, absolut zeitlose hochwertige Architektur geschaffen, die vielleicht sogar die Hegauvulkane überdauern kann …

Eröffnet werden soll der Konsumtempel mit dem güldenen C im Frühjahr 2019. Herbst 2018 klappe nicht mehr; der Bürgerentscheid habe viel Zeit gekostet. Noch gebe es keine Baugenehmigungen und noch sollen Stadt und Investor über den Preis verhandeln, zu welchem bisher öffentlicher Raum (Zoll-Areal und Teilstück Thurgauerstraße) privatisiert wird. Aber bis dahin fließt noch viel Wasser die Aach hinunter (die übrigens auch „verschönert“ werden soll). 2019 stehen auch die nächsten Gemeinderatswahlen an. Dann wird sich vielleicht zeigen, wie begeistert die BürgerInnen von der umgestalteten Stadt sind, wer und wie viele dann beim „Cano“ einen Jubelkanon (summa cum laude) oder ein Klagelied (sub omni canone) anstimmen …

Bei der Vorstellung eines „Jubelkanons“ fällt mir plötzlich noch etwas anderes ein: Zwar wurde auch schon klargestellt, dass das ECE das Flaggschiff des Handels in Singen werden solle, doch während des gesamten bisherigen Planungsprozesses wurde den Bürgern gegenüber immer wieder die Einbindung des ECE-Centers in die Stadt betont, aus dieser Absicht hätte man natürlich – von Singen und Gesang – statt Cano auch „Kanon“ ableiten können. Wäre auch eine schöne Vorstellung – gemeinsam im Chor … Aber „Kanon“ liegt zu nahe an „Canon“ und scheidet damit automatisch aus.

Hhm, aber vielleicht trifft sich das auch gerade gut. Denn was wird dem Gast, der, ausnahmsweise ganz umweltbewusst mit der Bahn angereist, auf den Singener Bahnhofsvorplatz tritt, mit „Cano“ ganz deutlich vor Augen geführt? „Ich singe“ hier (die anderen haben ausgezwitschert?). War diese Namensgebung ein Freud’scher Versprecher? Wenngleich nicht ausgesprochen – kann man diesen Anspruch unmissverständlicher und zugleich entlarvender besser symbolhaft darstellen? Der Name als Symbol des Herrschaftsanspruches und das goldene „C“ als Siegel dafür …

… fragt der streunende Stadtkater Murr

(Sein fakultativer Lateinunterricht ist schon ganz lange her, und er bittet zu entschuldigen, dass er auch als halbwegs gebildeter Kater nicht solche phantasievollen Assoziationen entwickeln kann wie eine Brigade Marketing-Strategen eines Großkonzerns.)