Singen, die GVV und der Derivaten-Dschungel
Windige Finanzgeschäfte – ob mittels Swaps, Derivaten oder Währungswetten – haben zahlreiche Kämmerer, vor allem aber die von ihnen zu verantworteten Stadtfinanzen, in Schwierigkeiten gebracht. So hatte der Konstanzer Kämmerer Rohloff schon vor Jahren versprochen, die Finger von solchen Geschäften zu lassen – das Gegenteil ist der Fall. Das „Pforzheimer Urteil“ könnte nun in Singen, Konstanz und anderswo für gerechten Ausgleich sorgen
„Insbesondere durch den Einsatz von Derivaten werden die Kommunen von den Risiken der Kapitalmärkte freigehalten und gewinnen Sicherheit. Darüber hinaus können die eingesparten Zinsen für andere Aufgaben eingesetzt werden.“ So wirbt die Deutsche Bank bis heute mit „ihren Fachkenntnissen“ um das Vertrauen der Kunden. 2006 vertraute die Stadt Pforzheim darauf und hatte bad-bankmäßige Produkte im Keller ihres Finanzhauses.
Pforzheim wurde durch diese Schuldenlast „berühmt“. Die spätere Kämmerin wollte die Swap-Verluste durch einen neuen Vertrag mit der Bank J. P. Morgan ausgleichen. Doch das erhoffte Wunder blieb aus. Die schier unendliche Geschichte könnte nun am 22. Dezember enden, wenn der Vergleich zwischen J.P. Morgan und der Stadt rechtskräftig wird, der jetzt vor dem Frankfurter Landgericht geschlossen wurde. 37 Millionen Euro bekäme dann die Stadt von ihren 55,9 Millionen Euro Verlusten zurück.
Darf eine Kommune überhaupt eine Zinswette eingehen?
In Singen wurde der Bau des Hegau-Towers (s. Foto) auch mit 20 Millionen Euro aus Swap-Geschäften finanziert, die GVV (städtische Wohnungsbaugesellschaft Singen) ist jetzt in Insolvenz, die Stadt muss die Verluste in Millionenhöhe ohne absehbares Ende tragen. Gibt es Hoffnung nun auch für Singen? Beim BGH-Urteil vom 22. März 2011 geht es vor allem um unzureichende Aufklärung der Bank beim Vertragsabschluss. Darf eine Kommune überhaupt eine Zinswette eingehen? Das war dann auch der Punkt, an dem der Prozess vor dem Frankfurter Landgericht die entscheidende Wende bekam. Der Richter sprach die Nichtigkeitsfrage an und kombinierte das mit der Aussage, dass Kommunen mit Derivaten nicht spekulieren dürften. Da war J. P. Morgan plötzlich vergleichsbereit in vorher ungeahnten Dimensionen. Oberbürgermeister Gert Hager aus Pforzheim zeigte sich hoch zufrieden, zumal „J. P. Morgan uns bei Prozessbeginn keinen Cent erstatten wollte.“
2010 hatte der neugewählte OB die Klage vor dem Landgericht eingereicht, nachdem er 2009 gleich nach seiner Wahl mit der Aufarbeitung der Schuldenlast begonnen hatte. Pressesprecher Michael Strohmayer erinnert sich, dass die Swap-Verluste vorher keine Rolle bei den Diskussionen gespielt hätten. Parallelen zu Singen fallen bei mehreren Punkten auf: Die GVV ist zwar eine GmbH, aber doch hundertprozentige Tochter der Stadt Singen. Der Oberbürgermeister ist der Gesellschafter mit Weisungsbefugnis: Wie aber hat er sich damals in Sachen Swaps rechtlich beraten lassen? Wer haftet dann und/oder ist die Stadt gegen Fehlberatung versichert?
Das mutige Vorgehen von OB Hager in Pforzheim ruft nach Nachahmung
Im Haushaltsentwurf 2015 musste sich der Singener Finanzausschuss wieder mit weiteren acht Millionen Euro Verlustausgleich für die GVV beschäftigen. Die GVV käme aus den vertraglichen Verbindungen nicht heraus, heißt es immer wieder. Oberbürgermeister Bernd Häusler hatte nach seinem Amtsantritt eine Freiburger Juristin mit der Aufklärung der GVV-Entscheidungsprozesse beauftragt. Aufsichtsräte hatten sich allerdings mit Hinweis auf ihre Verschwiegenheitspflicht geweigert, Auskünfte zu ihrer Einbindung in Handlungsabläufe zu geben.
Der Stand der Vergleichsdiskussion zwischen J. P. Morgan und der Stadt Pforzheim bringt zumindest neue Bewegung in das Singener Swap-Desaster. Es scheint die Verantwortungsfrage nach dem Selbstmord von GVV-Geschäftsführer Roland Grundler gleichsam ad acta gelegt worden zu sein.
Zur Genehmigung des Baus des Hegau-Towers hatte auch das Freiburger Regierungspräsidium beigetragen. Dies hatte auf das Konstrukt der Bauherrengemeinschaft gesetzt, um den Druck auf die städtischen Finanzen zu mindern. Auch da stellen sich Fragen nach dem Finanzierungskonstrukt. Schon zu Zeiten von Oberbürgermeister Andreas Renner hatte das Regierungspräsidium bemängelt, dass die GVV hundertprozentige Tochter der Stadt ist. Der Plan, die Sparkasse zu einem Viertel zu beteiligen, verschwand aber bald wieder in den Schubladen. Hausbank war sie allemal, auch wenn anderswo Kredite geholt wurden.
Die Frage nach möglichen Verjährungsfristen stellt sich auch im Hinblick auf mögliche Falschberatungen. Offen ist zudem die spannende Frage, wer die GVV nun wirklich durch den Derivaten-Dschungel gelotst hat. Das mutige Vorgehen von Oberbürgermeister Gert Hager in Pforzheim ruft auf jeden Fall nach Nachahmung.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: Hans Paul Lichtwald
Am 1.1. 2015 hat das Amtsgericht in Konstanz entschieden: Die GVV- Insolvenz ist gerichtlich eröffnet. Damit ist unsere „Städtische Wohnbaugesellschaft“ nun auch offiziell und endgültig pleite! Weiteres Vertuschen und Täuschen war nun offenbar nicht mehr möglich. Die GVV ist durch den Größenwahn einiger Städtischer Entscheidungsträger zu Grunde gerichtet worden. Diese Entwicklung hat sich seit Jahren schon abgezeichnet. Das Wohl und Wehe sowie das Vermögen der „Städtischen GVV GmbH“ liegt nun nicht mehr in Singen am Hohentwiel sondern voll in Stuttgarter Händen! Und wir Bürger der Stadt Singen müssen als Eigentümer der GVV machtlos dabei zuschauen, wie ihr Vermögen weiter vernichtet wird. Berichten zufolge, wurden bisher schon mehr als zwanzig Millionen Euro an städtischem Vermögen von den GVV-Verantwortlichen kaputt gemacht. Die Suche nach den „Schuldigen“ für diese städtische Finanzkatastrophe wurde leider schon eingestellt. Alle Verantwortlichen stellen sich dumm und wollen von Nichts etwas gewusst haben. In charakterloser Weise wird alle Verantwortung dem aus dem Leben geschiedenen GVV-Geschäftsführer Grundler in die Schuhe geschoben. Leider kann er sich nicht mehr wehren. Man kann es nicht oft genug sagen, aber der Kreis der wirklich Hauptschuldigen für dieses städtische Finanz-Desaster ist sehr leicht auszumachen: OB a. D. Andreas Renner , OB a.D. Oliver Ehret, OB Häusler, die weiteren Mitglieder des GVV- Aufsichtsrats, die seinerzeitigen Mitglieder des Gemeinderats, die Wirtschaftsprüfer der GVV! Das zur Aufsicht verpflichtete Regierungspräsidium in Freiburg ist völlig abgetaucht. In Freiburg herrscht zur GVV-Katastrophe „Schweigen im Walde“. Sich dumm und unwissend stellen, versteht man auch dort als die erste Beamtenpflicht. Ebenso die Sparkasse Singen als Kreditgeber und Profiteur der städtischen Bürgschaften sollte sich nicht aus der Mitverantwortung stehlen dürfen. Die nach EU-Recht verbotenen GVV-Bürgschaften durch die Stadt werfen die Frage nach einer möglichen „Insolvenz-Verschleppung“ durch die GVV-Verantwortlichen auf, auch in strafrechtlicher Hinsicht. Wer soll das EU-Recht in einem solchen speziellen Fall kennen, wenn nicht die finanzierende Sparkasse Singen? Die Rolle der Sparkasse bei der GVV-Insolvenz muss deshalb ganz besonders eingehend und unnachsichtig geprüft werden. Der Insolvenzverwalter aus Stuttgart ist um seine Aufgaben, aber ganz besonders um seine gesetzlichen Pflichten, nicht zu beneiden. Er muss vorrangig auch die persönliche Schadenshaftung der Verantwortlichen prüfen und danach entscheiden, gegen wen er Haftungsklage beim LG Konstanz erheben muss. Als Sachwalter und Interessenvertreter der Bürger der Stadt Singen ist er dazu ohne Wenn und Aber verpflichtet. Wenn er diesen seinen gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen sollte, macht er sich selbst strafbar. Der Stuttgarter Insolvenzverwalter weiß bestimmt, was er nach dem Gesetz tun muss. Er wird sich hoffentlich nicht auf strafbare Kumpanei mit den „Stadt-Oberen“ einlassen. Leider bleiben die für die GVV-Insolvenz ebenfalls mitverantwortlichen wirtschaftlichen Profiteure ungeschoren, wie z. B. die Hintermänner der „Hegau-Tower-Beutegemeinschaft“. Gegen sie ist auch der Insolvenzverwalter machtlos. Bürger der Stadt Singen, seien Sie also wachsam, lassen Sie sich nicht ein weiteres Mal hinters Licht führen, denn im Ergebnis bezahlen wir mit unseren Steuern immer alles! Nur eines steht heute schon fest: die einzigen Profiteure der GVV-Pleite werden der Stuttgarter Insolvenzverwalter und seine Berater sein!
Richtig, Pauli Heinzelmann. Der „hohe aufwandsentlastende Verbrauch einer Dieselpreisabsicherung im Jahr 2009“ führte 2010 zu hohen Verlusten, bei den Stadtwerken minus 1 Million und den Bodenseeschiffsbetrieben minus 1,2 Millionen. Die LLK fragte öffentlich nach. Der damalige OB und die Kämmerei kündigten an, von solchen Geschäften in Zukunft die Finger zu lassen – was aber leider nicht beherzigt wurde und wird.
Jüngstes Beispiel stellt die Erhöhung der Abwassergebühr (2,62 €/m³ in 2014 um rund 3% auf 2,70 €/m³ im nächsten Jahr) dar. Zitat aus der Einleitung zum Wirtschaftsplan 2015/2016 der Entsorgungsbetriebe Stadt Konstanz: „Wesentliche Gründe für die erforderliche Gebührenerhöhung sind die erforderliche Deckung der Verluste aus Vorjahren sowie die zusätzlichen Finanzierungskosten zur Abdeckung der Tilgungsverluste aus den Schweizer-Franken-Darlehen“. Voilà.
@Peter Cuenot und Hans Paul Lichtwald – sehr kompetente Beiträge!!!
Wenn ich mich recht erinnere, hat die LLK vor einigen Jahren (2012?)
eine Anfrage zu genau diesen Fragen gestellt. Aufklärung über Swaps und Schuldenmanagment der Stadtwerke Konstanz.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang noch, wie sich z.B. die Derivategeschäfte der Stadt Konstanz von 2007 entwickelten, wo es in einer Mitteilung der Stadt heißt: „Die Darlehensgeschäfte der Stadt, unserer Eigenbetriebe, der Stadtwerke Konstanz GmbH mit ihren Tochtergesellschaften sowie der Stiftungsverwaltung und des Klinikums werden die letzten Jahre durch Einschaltung der Kämmerei abgeschlossen. Dabei wurden bisher schon vereinzelt zur nachträglichen Zinsoptimierung derivate Geschäfte in Form von klar durchschaubaren Zins-Tauschgeschäften (Swaps) eingesetzt und dabei positive Ergebnisse erzielt. “ Oder die der HBH Singen, jetzt Gesellschafter des Klinikverbund Landkreis Konstanz.
… schon 2010 hat das OLG-Stuttgart die Deutsche Bank wegen Falschberatung im Deviratenhandel zu Schadenersatz verurteilt. 2011 das LG-Düsseldorf die West-LB aus dem selben Grund.
Kommunalfinanzen sind ein heißumkämpfter Markt, weil die Kommunen unterfinanziert sind und weil es um Steuergeld geht, das ja die Schulden immer deckt.
Der Club der großen Derivaten-dealer – Deutsche Bank, UBS, Credit Agricole, Barkley, Morgan, Merill Lynch ect.besitzen weltweit ein Derivatenvolumen von 600 Bill. Euro – abgekoppelt von der Real-Wirtschaft. Das Vermögen des kleinen Mannes , jedoch, ist der Sozialstaat ..!(Zt. Sahra Wagenknecht)
Ausführliche Darstellung von Herrn Lichtwald, wobei es doch ein paar Unterschiede zum Fall Pforzheim gibt, die, im Falle beabsichtigter juristischer Schritte der GVV gegen die Bank, einen solchen Schritt höchstwahrscheinlich scheitern liessen.
– Die „Verlustsumme“ um die es im Fall der GVV ginge, würde etwa 15 – 20 % der Summe im Fall der Stadt Pforzheim betragen.
– im Fall der Stadt Pforzheim handelt es sich nicht um die ursprünglichen Derivategeschäfte mit der Deutsche Bank, welche der Stadt – laut Artikel in der FAZ ( http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/zinswetten-vor-gericht-pforzheim-im-duell-mit-jp-morgan-11609350.html) letztlich sogar ein Plus von 8 Mio. Euro eingebracht hätten, sondern um das Anschlussgeschäft mit J.P. Morgan.
– im Gegensatz zur Stadt Pforzheim handelt es sich bei der GVV um eine GmbH – wie Herr Lichtwald sicher nicht ohne Grund ausdrücklich betont – und bei einer Kapitalgesellschaft muss man voraussetzen, dass ein tieferes Wissen in finanzielle/betriebswirtschaftliche Strukturen und Begebenheiten bei Geschäftsführung oder Vorstand und dem Aufsichtsrat vorhanden ist als bei den Verantwortlichen im kommunalen Bereich, für welche Feststellung es im Moment einige negative Beispiele im Kreis Konstanz gibt. Die Verantwortlichen der GVV hätten also beim Argument, von der Bank in D/CH schlecht beraten worden zu sein, sicher nicht die gleich guten Karten wie die Stadtverwaltung in Pforzheim.