Singen, die Vielfältige

Singen bastelt weiter an seiner Zukunft. Ein Stadtentwicklungskonzept bis zum Jahr 2030 wurde letzte Woche verabschiedet, nun soll bis zum Frühjahr 2018 auch die Kulturarbeit neu geordnet werden: „Singen – die Viel­falts­stadt: Weltoffen, gemeinsam stark. Der Natur verbunden, der Kultur zugewandt. Zukunfts­orientiert. Basis für eine verlässliche Per­spek­tive“. Nur Werbeslogans?

Das sind Leitsätze, die die freien Stadtplaner „Bürogemeinschaft Sippel | Buff“ als Fazit aus der 2015 erfolgten Haushaltsbefragung „Integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) Singen 2030“ festhalten. Ob und inwieweit diese Leitsätze schon heute zutreffen oder ob sie eher optimistische Zukunftsprognosen sind oder schlicht Marketingslogans, wie es sie zuhauf und beliebig kombinier- und austauschbar für jede andere Kommune gibt, sei hier offengelassen.

38 Fragen aus fünf Themenfeldern galt es zu beantworten (Miteinander, Wohnen, Wirtschaft, Umwelt, Mobilität). 12 Prozent der Singener Haushalte haben sich daran beteiligt, das sind 2543 ausgefüllt zurückgeschickte Fragebögen. Zudem wurden 150 BürgerInnen ausgelost, sich an Workshops zu den o.g. fünf Themen zu beteiligen. Vertreter aus Handel, Handwerk, Wirtschaft und Industrie sowie MitarbeiterInnen der Verwaltung waren am Prozess der Ausarbeitung dieses Stadtentwicklungskonzepts ebenfalls beteiligt, dessen Leitsätze und Zukunftsaufgaben als ein „Handlungskorridor für wichtige stadtpolitische Entscheidungen“ in der letzten Gemeinderatssitzung vor der Sommerpause nun einstimmig angenommen wurden.

Ein Projektpool mit insgesamt 369 Vorschlägen und Ideen wird von Gemeinderat und Verwaltung als Übersicht zur Kenntnis genommen. Das Monitoring soll ein Kernteam der Verwaltung, das den ISEK-Planungsprozess bereits begleitet hat, übernehmen. Bei künftigen Sitzungsvorlagen soll überprüft werden, ob diese ISEK-Maßnahmen zutreffen – jährlich soll ein ISEK-Statusbericht vorgestellt werden.

So weit, so gut. Ob 12 Prozent Beteiligung wenig, mittelprächtig oder gut ist, wurde öffentlich nicht thematisiert. Nur Grünen-Gemeinderat Eberhard Röhm merkte an, dass bestimmte „Bevölkerungsgruppen unterrepräsentiert“ seien. Das wird auf sozial schwache und ausländische MitbürgerInnen zum großen Teil zutreffen, aber diese stellen keine 88 Prozent der Haushalte. Zu dieser Mehrheit dürften wohl auch so manche, kritisch und wenig optimistisch in die Zukunft blickende, MitbürgerInnen gehören. Betrachtet man die Stadtentwicklungs-Szenarien nämlich vor dem Hintergrund von Klimakatastrophen und Kriegen, die weitere Fluchtursachen schaffen, von eklatant schwindender Biodiversität, von sogenannten „Freihandelsabkommen“ wie CETA, TTIP, TiSA etc., die bereits ratifiziert sind bzw. deren Ratifizierung droht und zu deren Zielen die drastische Einschränkung der Selbstverwaltung von Kommunen und deren Handlungsspielräumen gehören – so erscheinen Fragen, ob Singen Einkaufsstadt, Kunst- und Kulturstadt, Touristenstadt oder vielleicht auch Sportstadt sei oder vielmehr werden solle, eher belanglos.

Die Frage, wie die Bürger Singen heute sehen, haben übrigens 79 Prozent (aus den 12 Prozent abgegebenen Fragebögen) mit „Arbeiterstadt“ beantwortet, was den neoliberalen Marketingstrategen unserer Stadt nicht gefallen dürfte … aber die „Einkaufsstadt“ kam ja gleich dahinter auf 70 Prozent. Mehr zu „Singen 2030“ unter www.in-singen.de/Singen-2030.558.html.

Die Stadt und ihre Kultur

Die nächste Umfrage ist bereits angelaufen: „Singen KulturPur und Tourismus“. Laut ISEK-Auswertung sehen 36,6 Prozent Singen als Kunst- und Kulturstadt. Das Kulturangebot soll nun neu aufgestellt werden. Die Bürgerbefragung ist ein Schritt dazu; Bestandsaufnahme und Gespräche mit den städtischen und freien Kulturträgern haben schon stattgefunden. Ein Beratungsbüro und eine Moderatorin zur Erstellung und Auswertung der Fragebögen ist auch hier wieder mit eingeschaltet – ohne externe Experten geht in unserer Kleinstadt anscheinend nichts mehr.

Nach der Sommerpause sollen die Ergebnisse im Gemeinderat und mit einem offenen Bürger-Workshop diskutiert werden. Die Verabschiedung des neuen Kulturkonzepts ist fürs Frühjahr 2018 geplant. Da dürften einige spannende Entscheidungen fallen: Wie geht es mit der GEMS weiter? Ob und wie hoch wird das MAC-Museum des Millionärspaars Maier bezuschusst? Und auch bei dieser Umfrage werden sich nicht alle MitbürgerInnen angesprochen fühlen: Von einem möglichen, künftigen „Jenischen Kulturzentrum“ ist z. B. nichts zu finden …

Nicht-SingenerInnen können im selben Formular ihre Meinung zum Tourismusangebot abgeben. Der Fragebogen kann online unter www.singen-kulturpur.de/onlineumfrage aufgerufen werden.

Kein grünes Dach für den Bahnhofsvorplatz

Der künftige Konsumtempel Cano bestimmt weitere Ratsentscheidungen. Im Rahmen der geplanten Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes war erst ein Bussteig-Dach aus Glas geplant. Dessen aufwändige Reinigung und Unterhalt ließen aber bei manchen Ratsmitgliedern und der Verwaltung nachträglich Zweifel aufkommen und ein Alternativentwurf wurde in Auftrag gegeben: ein Stahlgerüst als Tragkonstruktion und eine Dachhülle aus Alucobond, dessen Oberseite extensiv begrünt werden sollte. Diese Empfehlung der Verwaltung und des Ausschusses für Stadtplanung und Bauen fiel aber bei den die Mehrheit stellenden schwarz-gelb-konservativen Ratsmitgliedern (CDU, FDP, Neue Linie, Teile der Freien Wähler) durch.

Eberhard Röhm und Hubertus Both (Freie Wähler) konnten sich mit ihren Argumenten zu den Vorteilen einer Begrünung für das Stadtklima nicht durchsetzen. Macht ja nichts, wenn sich die wartenden ÖPNV-Nutzer mit weiter steigenden Temperaturen bis 2030 abfinden müssen, wichtiger ist, dass sich Cano-Konsumenten beim Blick aus dem angenehm temperierten Foodcourt beim Verzehr ihrer Burger, Chickenwings und Softdrinks nicht durch eine „unansehliche Unkrautwiese“ (O-Ton aus dem Gemeinderat) gestört fühlen. Die „Entscheider“ fahren ohnehin im klimatisierten SUV über den Platz …

Die Farbe des Aludaches wird später festgelegt, passend zur Fassade des Cano-Protzbaus, in Absprache mit dessen Managern – gülden vielleicht wie das Cano-C. Daraus könnte sogar eine neue Tourismusattraktion werden: „das Goldene Dachl von Singen am Cano“.

Hauptsache schön, so wünschen sich – laut ISEK-Haushaltsbefragung – 19,3 Prozent ihre Umwelt und halten Sauberkeit und Müll für das Thema mit dem größten Handlungsbedarf. Erneuerbare Energien kreuzten nur 2,6 % an, Solarenergie 2,1 % und Windenergie sogar nur 1,2 %. Ein sauberes Ambiente ist demnach wichtiger als sauberer Strom. Und das in der Stadt, in der „solarcomplex“ als innovatives Bürgerunternehmen für erneuerbare Energien seinen Sitz hat. Ob mit dieser Einstellung noch genug Zeit bleibt, das Leitbild „zukunftsorientiert“ rechtzeitig den künftigen Anforderungen anzupassen, damit es dazu taugt, die zu erwartenden Herausforderungen zu meistern?

Fritz Murr