Singen kann anders
Der Hamburger Otto-Konzern ECE will Singens Innenstadt mit einem voluminösen Einkaufszentrum zubauen. Der Widerstand nicht nur der Einzelhändler ist unüber-hörbar. Auch die Bürgerinitiative „Singen kann anders !“ nennt Alternativen – Peter Mannherz, einer ihrer Sprecher, hat Fragen und Gegenvorschläge zusammen getragen und stellt sie hier vor. Denn noch hat Singens Innenstadt eine Lebenschance.
Neben den Argumenten um Einzelhandel, Kaufkraft und Geld wird von den Befürwortern von immer mehr und ausufernden Einzelhandelsflächen suggeriert, dass Singens Innenstadt nur dann attraktiv ist und bleiben kann, wenn möglichst viel Verkaufsfläche geschaffen wird. OB Häusler erklärt, er wolle „auch weiterhin eine pulsierende Innenstadt mit Strahlkraft.“ Die Umlandstädte „schlafen nicht“, warnte Häusler. Das vergrößerte Radolfzeller Seemaxx sauge künftig verstärkt Singener Kunden ab. Wieso sollen Singens Bürger nicht auch in Radolfzell und Konstanz einkaufen gehen? Beim militärischen Wettrüsten gab es – historisch gesehen – immer Krieg oder gigantische Pleiten. Das Wettrüsten der Verkaufsflächen geht auch zu Lasten der Bürger.
Gleichzeitig wird die Stadt ausschließlich autogerecht umgebaut. Shoppingmall und Parkhäuser fressen letzte frei verfügbare Flächen in der Innenstadt. Ich kenne eine Menge Konstanzer, die genug davon haben, dass der Verkehr ihre Innenstadt immer wieder lahm legt. Auf der Strecke bleibt öffentlicher Raum für Leben, Kultur und Freizeit. Braucht das Singen wirklich? Singen kann anders.
Sind Singens Bürger wirklich so unmündig?
Die demokratische Verfügung und Kontrolle über ein großes Areal des vormals öffentlichen Raumes wird dem privaten Betreiber der Einkaufsmall überlassen. Immerhin soll die Thurgauer Straße dem Center einverleibt werden. Durchgang durch die Mall ist nur während der Öffnungszeiten möglich, kontrolliert durch das private Sicherheitspersonal. In einer Fußgängerzone gilt öffentliches Recht und nur in den Geschäften das Hausrecht. Demokratische Kontrolle im Öffentlichen Raum – ade.
Kann Singen anders? Nach dem GVV-Desaster mit Hegau-Tower, Derivatspekulationen und sonstigen „Sünden“ sowie den skandalösen Vorgängen um den Kauf des Kunsthallenareals durch die GVV und letztlich ihrer Pleite meint die Stadtverwaltung wohl, jetzt endlich einen baupolitischen „Erfolg“ vorzeigen zu müssen. Ein wirklicher baupolitischer Erfolg wären neue und bezahlbare Wohnungen in der Stadt.
Es soll nicht mehr über das „Ob“ (ob die vorgelegten Pläne überhaupt sinnvoll sind), sondern nur noch über das „Wie“ gesprochen werden, und das ganz transparent. Diskutieren wir also nur noch über die Form der Fassade der Einkaufsmall? Sind Singens Bürger wirklich so unmündig?
Wohnen und Leben in einer pulsierenden Innenstadt? Fehlanzeige.
Die künftige Stadtentwicklung, Grundstücke im Besitz der Stadt (6.622 qm2) soll privaten Investoren, deren Geldvermehrungszielen und dem Profit geopfert werden. So kommt die Globalisierung endgültig in Singens Innenstadt an. Eine Mall für Finanzinvestoren und noch mehr Konsumschrott in der Innenstadt, hauptsächlich produziert mit Billigstlöhnen in der sogenannten Dritten Welt, ohne Rücksicht auf soziale Belange und die Umwelt.
Wohnen und Leben in einer pulsierenden Innenstadt? Fehlanzeige. Vorteile von den völlig überdimensionierten Plänen à la Hegau-Tower werden nur wenige haben. Mögliche und nicht mehr umkehrbare Nachteile tragen dann viele, nämlich die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt.
Die Erlöse aus dem Verkauf der städtischen Grundstücke (Zollareal) werden dann in eine – dem ECE-Investor genehme – Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes fließen. Kostenpunkt: mindestens 8 Millionen €. Wollen die Singener wirklich 2500 zusätzliche PKWs und 100 LKW täglich in der Innenstadt? Und wo bleiben die Fahrradfahrer im Bahnhofsbereich? Ist eine noch monströsere Kopie des Konstanzer LAGO in Singen wirklich erstrebenswert? Der Singener Stadtsäckel wird davon kaum profitieren.
Macht es Sinn, gegen „alternativlose“ Planungen anzurennen?
Wo bleiben die vielen Singener Bürger mit Ihren Wohnraumbedürfnissen? Die städtischen Grundstücke würden sich doch hervorragend dafür eignen. Wo bleibt der Ideenwettbewerb um die beste Bebauung dieses Geländes und des Bahnhofvorplatzes? Wurden die Singener Baugenossenschaften schon gefragt, ob sie Interesse an einer Bebauung der städtischen Grundstücke am Bahnhof haben? Alle Fragen, wieso die Stadt Singen das große Sperrgrundstück in ihrem Besitz nicht als Druckmittel in den Verhandlungen mit ECE benutzt, um dort wenigstens eine Mischbebauung durchzusetzen, also Handel mit Wohnen zu verbinden, wurden bisher nicht beantwortet.
Ja, ich weiß: Alle vom Investor und der Stadt vorgelegten Pläne sind alternativlos. So wird es auf jeden Fall dargestellt. Kleiner bauen gehe nicht, weil ECE dann sofort abspringen würde. Na und, ich halte das für ein Gerücht. Käme doch auf den Versuch an. Und dann natürlich der fürchterliche „Schandfleck“ Holzer-Bau. Er ist nur durch unterlassene Instandhaltungsmaßnahmen der Hauseigentümer so heruntergewirtschaftet, was sich im Falle des Verkaufes an die ECE noch vergolden lässt. Wenn ECE abspringt, kommen doch neue Investoren, wetten ?
Ja, ich wünsche mir eine extern moderierte Bürgerbeteiligung, wo auch noch über das „Ob“ heftig gestritten werden kann und eine lernfähige Stadtverwaltung, die wirklich alles offen hält – und nicht nur über das „Wie“ informiert. Viele wissen, dass schon lange das „Wie“ festgezurrt wird.
Ja, der Gemeinderat kann noch alles über den Haufen schmeißen. Will er das auch?
Macht es Sinn, gegen „alternativlose“ Planungen anzurennen? Ja, es macht Sinn. Immer noch besser, als alle Pläne der Stadtverwaltung und ihres Chefs im Gemeinderat einfach abzunicken.
Kann Singen anders? Singen kann anders!
Für die Bürgerinitiative „Singen kann anders !“.
Peter Mannherz, Singen
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Einkaufszentren werden von Initiatoren dort gebaut, wo es sich lohnt. Der Reiz der nahen Schweiz bezaubert derzeit besonders. Das ist auch unterm Hohentwiel so. Ein Unterschied zwischen Singen und Konstanz besteht darin, dass die Konzils- und Universitätsstadt im „Einkaufszusammenhang“ zudem eine überaus attraktive, einladende mittelalterliche Altstadt mit vielen anderen Geschäften, Kaffees, usw., präsentieren kann, was indirekt zum Kapital eines grossen Einkaufszentrums zu rechen ist. Und dann ruht da noch der See…..! Andererseits ist zu registrieren, dass auch durchkommerzialisierte, eher unattraktive Örtlichkeiten – das schwäbische Metzingen als Beispiel, oder ganze Retortendörfer auf der Outlet-Schiene – erfolgreich zu betreiben sind. Sogar international. Eine eigentliche „Kultur des Einkaufens“ ist nicht ersichtlich. Der Rahmen, in dem sich hier Einkaufen abzuspielen hat, erscheint einem einzigen Zweck zu dienen: Dem Einkaufsrausch an sich. Und das eben möglichst in multipler (und bezahlbarer!?) Form. Auf die lange Zeit kann das allerdings kaum das einzige tragbare gesellschaftliches Ziel sein! Es sollte schon noch etwas mehr kommen.
Werter Herr Cuenot,
Danke für den Hinweis. Aber genau dieser von Ihnen erwähnte Artikel ist als Link unter dem aktuellen Text zu finden.
Grüße
H. Reile
Vielleicht sollte seemoz an den eigenen Artikel vom 17. Juli 2014 erinnern, Titel: „Sozialwohnungen statt Shopping-Mall in Singen“. Darin heißt es am Schluss des Artikel, Zitat: „Wenn in der Stadt aktuell Gerüchte die Runde machen, wonach GVV-Aufsichtsräte den ECE-Verantwortlichen ihre Unterstützung im Gemeinderat angedient haben sollen, wenn die Gesellschaft für die Millionenschulden der Wohnungsbaugesellschaft aufkomme, spricht das jedenfalls Bände über die politischen Zustände in der Stadt unter dem Hohentwiel. Sollten sie zutreffen, hieße das nichts weniger, als dass Teile der politischen Elite bereit sind, die Stadt bedenkenlos einem Privatinvestor auszuliefern.“