Singen: nachhaltig, umweltbewusst, fahrradfreundlich?
Singen baut oder genauer, Singen plant zu bauen, wird Investoren bauen lassen … darüber wurde an dieser Stelle schon mehrfach ausführlich berichtet. Zum Bauen wird auch Kies und Sand gebraucht, und dieser Rohstoff sorgte in den letzten Wochen doch für reichlich Diskussion im Hegau. Nun gibt es zwei interessante Anträge seitens der Fraktionen der Grünen und der SPD an die Singener Stadtverwaltung.
Die Grünen fordern einen Aktionsplan mit dem Ziel, die Verwendung von Kies zu reduzieren und durch nachhaltige Baumaterialen und Recycling-Material zu ersetzen. Ihre Begründung ist stichhaltig: „Wer glaubwürdig bleiben will mit Kritik an dem übermäßigen Kiesabbau in der Region, der muss versuchen, da, wo es möglich ist, auf Kies und ähnliche Produkte zu verzichten.“ – Das fordern sie allerdings nicht zum ersten Mal, bislang jedoch erfolglos: Zu teuer, das schrecke Investoren ab, war das lapidare Argument seitens der Stadt und aus den Reihen der konservativen Gemeinderäte.
Nun scheint es doch etwas Bewegung und Einsicht zu einem Umdenken zu geben: Eine Arbeitsgruppe zur Bearbeitung des Antrags soll eingerichtet werden, zu der die Abteilungen Gebäudemanagement, Straßenbau, Grün/Gewässer sowie die Stadtwerke gehören und die von der Umweltschutzstelle koordiniert wird. Recyclingbeton könnte schadstoffbelastet sein, so eine von anderen Fraktionen geäußerte Befürchtung.
Auch die SPD greift das Thema Kiesabbau auf für ihren Antrag, die Verwaltung solle Vorschläge zur „Festlegung von Kriterien für eine flächeneffiziente städtebauliche Entwicklung in Singen“ erarbeiten, da eine verantwortungsbewusste Kommunalpolitik auch zukünftigen Generationen noch Zugriffsmöglichmöglichkeiten auf endliche Rohstoffe wie z. B. Kiesvorkommen, Grund und Boden ermöglichen müsse. „Durch eine vorausschauende Politik zur städtebaulichen Entwicklung mit klar definierten Kriterien lässt sich ein nichtgenerationengerechter Flächenverbrauch vermeiden.“ Der Flächenverbrauch der letzten Jahrzehnte sei nicht nur in Singen in keiner Weise mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar.
Welch kluge, doch zu späte Einsicht, denn die GenossInnen im Rat gehören zu den uneingeschränkten Bejublern eines der ökologisch, ökonomisch und sozial unsinnigsten Bauvorhaben unserer Stadt, nämlich des Konsumklotzes namens Cano, und sie haben damit bereits die Weichen in eine ganz andere Richtung gestellt.
Baustelle Herz-Jesu-Platz
Noch dieses Jahr soll mit der Umgestaltung des Herz-Jesu-Platzes (= Marktplatz, siehe Bild) begonnen werden. Die Zustimmung zu den Planungen ist in der letzten Gemeinderatssitzung erfolgt. Vorgesehen war neben Wohnungsbau (durch einen Investor selbstredend) die Errichtung einer zweistöckigen Tiefgarage, die die Stadtwerke betreiben möchten. Dies wäre sicher eine gute Einnahmequelle, liegt doch der Platz nur wenige Meter von unserer künftigen Shoppingmall entfernt und eine gute Belegung könnte als sicher gelten, da zu Spitzenzeiten die geplanten 500 PKW-Parkplätze in der Mall nicht ausreichen werden. Es laufen aber die Kosten davon, lässt die Stadtverwaltung verlauten. Der Grund dafür liegt im Wasser, und zwar im Grundwasserspiegel. Um diesen unter Kontrolle zu halten, werde ein aufwändiges, dauerhaftes Wassermanagement nötig. Zu teuer wahrscheinlich, jetzt wird neu beraten und kalkuliert – und vielleicht doch nur einstöckig gebaut …
Aber egal wieviel-stöckig, auch unterirdische Parkhäuser lösen unser Umweltproblem des innerstädtischen Autoverkehrs nicht – sie kaschieren es nur: was ich nicht sehe, geht mich nichts an. Oben eine hübsche Grünfläche und die Welt ist in Ordnung … Wie viel gesünder wäre eine PKW-freie Innenstadt, nur für Fußgänger, Radfahrer, Klein-Busse …
Die Stadt und der Radverkehr
Die Shoppingmall hätte sogar zu mehr Fahrradstellplätzen führen können, denn pauschal einen Stellplatz pro 50 qm Verkaufsfläche fordert die Landesbauordnung, sowie weitere für Gastronomie, Dienstleistung und Büros. Das ergäbe einen Bedarf von rund 500 Fahrradstellplätzen (genau so viel wie die vorgesehenen PKW-Parkplätze), direkt in der Innenstadt, gegenüber dem Bahnhof. Aber halt – da könnte doch jemand so dreist werden, sein Stahlross zu parken und nicht im Cano event-shoppen oder schlimmer noch, woanders einkaufen. Also haben sich die Vertragspartner, Stadtverwaltung und ECE-Management, auf die Hälfte der Zahl geeinigt.
Die Begründung ist schon letztes Jahr im „Vorhabenbezogenen Bebauungsplan“ (Fassung 09.05.2016, S. 79 f.) schön zu lesen gewesen: „… Der typische Kunde eines Einkaufszentrums sucht dieses […] nicht mit dem Fahrrad auf, sondern reist von weither mit dem Auto oder dem ÖPNV an.“ Das mag stimmen, ist zu befürchten; ÖPNV eher weniger, Autos desto mehr. Skurril aber die nachfolgende Begründung: „Aber auch Kunden aus der Stadt selbst werden […] eher weniger mit dem Fahrrad zum Center fahren, wenn sie dort einkaufen wollen. Dem stehen praktische Erwägungen wie z.B. der schwierige Transport von Waren auf dem Fahrrad (zumal bei schlechtem Wetter), aber auch die Tatsache entgegen, dass niemand gerne in verschwitztem oder nass geregneten Zustand Kleidung anprobiert.“ – Aha, daraus zu schließen, dass umweltbewusste, radfahrende BürgerInnen nicht zur Zielgruppe der Mall-Betreiber gehören, dürfte nicht ganz falsch sein. Von Lastenfahrrädern – in anderen, moderneren Städten einfach zu mieten – haben diese Vertragspartner wohl noch nichts gehört.
50 weitere Fahrradstellplätze will die Stadt – noch dazu auf ihre Kosten – in der Hegaustraße einrichten, in der Nähe der Mall-Eingänge, falls doch mehr verschwitzte Radler als geplant es wagen möchten, den edlen Tempel zu betreten.
Übrigens hat Singen beim Fahrradklima-Test 2016 richtig schlecht abgeschnitten: Platz 51 von 65 Städten, die sich in Baden-Württemberg daran beteiligt haben. Und Platz 272 von 364 Städten unter 50.000 Einwohnern. Wenn wir also nicht nur „Shopping-Metropole“ werden wollen, sondern auch eine umweltbewusste und fahrradfreundliche Kommune, ist noch viel zu tun.
Fritz Murr
Keine Freude am Lernen,
haben offenbar die Kreis-und Landespolitker*innen. Da hofft Radolfzell auf Einkaufstouristen und Singen hätte sicher gern viele Kunden aus dem gesamten Bodenseekreis. Sind doch Shopping-Center von Langenargen bis Bodman-Ludwigshafen eher selten. Nun könnte man die Bodensee-Gürtelbahn, auch Bodensee-S-Bahn genannt, konsequent ausbauen und hätte damit eine vorbildliche Verkehrsverbindung mit viel Umweltschutz. Bereits zur Überlinger Landesgartenschau könnte der Bau von 2.000 Parkplätzen vermieden werden, wie eben auch in Singen viele Parkplätze überflüssig wären. Das Autoland Baden-Württemberg könnte sich zum Bahnland entwickeln und den Anschluss an europäische Standarts erreichen. Aber nicht einmal der neue SPD Bundestagskandidat Leon Hahn bringt so viel Phantasie auf und veranstaltet Hahnenkämpfe mit der CDU. DIE GRÜNEN haben offensichtlich mehr Sorgen wegen der Motten in den alten, selbstgestrickten Wollsachen, aus der Zeit, wo man die Zukunft ökologisch gestalten wollte. Ich hoffe auf Unterstützung für die Initiative Bodensee-S-Bahn und einen ÖPNV-Tarif wie ihn der Vorarlberger Verkehrsverbund anbietet.