Singener fühlt sich von Geheimdiensten terrorisiert

Wolfgang B. ist davon überzeugt, seit Jahren Opfer dunkler Machenschaften zu sein. Er fühlt sich bespitzelt und dem Einsatz elektromagnetischer Waffen ausgesetzt. Er glaubt zu wissen, wer dahinter steckt,  nannte seine vermeintlichen Quälgeister kürzlich mit Namen und plakatierte deren Konterfeis in der Singener Innenstadt. Nun steht er vor Gericht.

Wer Wolfgang etwas näher kennt, hat nicht gleich den Eindruck, dass der Mann aus einem kleinen Hegaudorf „durchgeknallt“ sein könnte. Des öfteren taucht er bei fortschrittlichen Organisationaen und Zirkeln auf, debattiert gerne und ausführlich, macht Interviews bei Vorträgen, mischt sich ein. Ein freundlicher, wacher Zeitgenosse eben. Einer, dem nicht egal ist, was um ihn herum passiert.

Doch in den letzten Monaten veränderte er sich. Bekannte sagen, Wolfgang sei verschlossener geworden und irgendwas stimme nicht mit ihm. Man käme kaum mehr an ihn heran, er wirke zunehmend introvertiert und gehetzt. Und Wolfgang schickt  seltsame Nachrichten durch die Welt.
In diesen bezeichnet er sich als „linker Aktivist“, der seit geraumer Zeit durch fremde Stalker belästigt wird, die regelmäßig in seine Wohnung eindringen, seinen Computer hacken und ihn mit anonymen Anrufen belästigen. Außerdem werde er von fremden Personen gefilmt und fotografiert, wenn er sein Haus verlasse.

Neuerdings behauptet Wolfgang B., man würde ihn auch mittels elektromagnetischer Waffen drangsalieren. Der Einsatz sogenannter Mikrowellenwaffen verursache Schmerzen, die kaum auszuhalten seien. Mittlerweile ist er davon überzeugt: Dahinter können nur Geheimdienste stecken, die ihm das Leben schwer machen wollen. Von dieser Idee lässt er sich nicht abbringen. Wolfgang leidet und alle sollen es wissen. Wer auch nur leise Zweifel hegt an seinen Ausführungen, macht sich verdächtig und scheidet als Gesprächspartner aus.

Am 14.April wurde gegen Wolfgang B. vor dem Singener Amtsgericht wegen Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz verhandelt. Er hatte in Singen besagtes Flugblatt ausgehängt, auf dem er mehrere abgebildete Personen beschuldigte, verantwortlich für den Terror zu sein, dem er sich ausgesetzt sieht. Auf anwaltliche Unterstützung verzichtet er, man weiß ja nie….Er besteht darauf, ausführliche Erklärungen verlesen zu dürfen, die darauf hinweisen, warum und wie er in das Spinnennetz seiner Verfolger geraten sei.

Er will dem Gericht und den Zuhörern verdeutlichen, dass sie ahnungslos sind. Er, Wolfgang B., habe ausführlich recherchiert und er könne darüber berichten, dass es auch andere Opfer gäbe, denen es ähnlich ergangen sei. Man möge ihm zuhören, die Sache sei komplex, dafür brauche er Zeit. Mehrmals wird er darauf hingewiesen, er solle nur Aussagen machen, die mit der Sache zu tun hätten. Zwecklos. Der ungeheure Leidensdruck, dem Wolfgang B. ausgesetzt ist, muss raus. Jetzt und sofort.

Zwei Zeugen, die er als seine Verfolger erkannt haben will, werden von ihm ins Kreuzfeuer genommen. Er streitet sich mit dem Richter, wenn es um die Zulässigkeit von Fragen geht. Er will die Zeugen vereidigen lassen, beantragt ein Bussgeld wegen angeblich falscher Aussagen. Die Verhandlung zieht sich dahin, der Erkenntnisgewinn ist mager. Was soll man auch dazu sagen, wie soll man reagieren auf Wolfgangs vehement vorgetragene Verschwörungstheorien?

Dabei ist das Thema grundsätzlich von Brisanz. Schon vor Jahren wurde bekannt, dass sogenannte „Laserwaffen“ bald zum Einsatz kommen könnten. Sie sollen in der Lage sein, auch über große Entfernungen Schmerzen und Lähmungen hervorzurufen. Ebenso existieren Überwachungsmöglichkeiten mittels Mikrowellen, mit denen man problemlos Mauern durchdringen und Innenräume sowie die darin befindlichen Personen scannen und abhören kann. Wie die Zeitschrift „Ossietzky“ berichtete, gibt es bereits ein koffergroßes Mikrowellengerät, mit dem sich sämtliche elektronischen Geräte in einem Haus lahmlegen lassen, vor allem die Kommunikationsmittel vom Mobiltelefon über Radio und Fernsehen bis zum Computer.

Nur: Was hat das alles mit dem weitgehend harmlosen Wolfgang B. aus dem Singener Hinterland zu tun? Er kennt die Berichte alle, hat sie gierig aufgesogen und bezieht sich ständig auf sie. Sie stützen seine Leidensgeschichte, an die er sich wie ein Ertrinkender klammert. Gut, Wolfgang hat mal eine politische Demonstration angemeldet und ist mitmarschiert bei Protestzügen gegen Neonazis. Das war es aber auch. Sein Problem scheint ein anderes zu sein und ist vor Gericht sicher nicht zu lösen.

Der Prozess geht weiter: Mittwoch, 5.Mai, 17.30 Uhr, Amtsgericht Singen

Foto: © Fionn Große / PIXELIO
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AutorIn: H. Reile