Singener Impressionen: Aufbruch durch Abbruch?
ECE und Stadtverwaltung haben es pünktlich wahrgemacht: Der 9. Juli war offizieller Baustart für die Singener Shoppingmall Cano. Gleichzeitig wurde mit der Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes begonnen. „Aufbruchstimmung“ wird seitens der Stadtverwaltung freudig verkündet. „Abbruchstimmung“ kommt hingegen bei nicht wenigen auf, die ihren (Um-)Weg entlang der Großbaustellen zwischen Hegau- und Bahnhofstraße sowie August-Ruf- und Thurgauer-Straße finden müssen.
Freier Blick aufs Zoll-Areal
Baumfällungen in der Bahnhofstraße und am Zollareal waren die erste Maßnahme. Der Blick auf das nun fast freie Gelände des Zollareals bietet jetzt den BetrachterInnen die Möglichkeit, sich vorzustellen, welche Ausmaße der Konsumpalast haben wird. Oder anders gesagt: Welches Potential für (städtischen) Wohnungsbau hier bestanden hätte. Die Bürgerinitiative „Für Singen“ hatte dies vor zwei Jahren bei der Diskussion um die Mall vorgeschlagen. Wegen der Lage gegenüber dem Bahnhof ungeeignet für Wohnungsbau, argumentierte seinerzeit der Gemeinderat. Da hätte er sich vielleicht mal entlang der Bahnstation Konstanz-Petershausen umschauen sollen!
Kein grüner Fleck für den Bahnhofsvorplatz
Verabschiedet wurden in der letzten Gemeinderatssitzung vor der Sommerpause auch die Pläne für den Umbau des Bahnhofsvorplatzes mit neuem zentralen Busbahnhof: „Die Planung ist ein gelungener Entwurf für ein modernes Eingangstor zur Innenstadt und wird die zukünftigen Besucher beeindrucken“, ist in der Vorlage für den Baubeschluss zu lesen.
Konkret soll das moderne Eingangstor dann so aussehen, dass entlang eines etwa 170 Meter langen, beidseitigen Bussteigs elf Buslinien Platz finden. Gemäß den geltenden Richtlinien für Verkehr und Fußgängerführung werden auch Leitsysteme für Menschen mit Sehbehinderungen eingerichtet, ebenso wie die notwendigen Absenkungen für Rollstuhlfahrer und Rollatorengänger. Zweifelsohne eine längst fällige Verbesserung der bisherigen, recht unübersichtlichen Situation.
Skeptisch bleiben aber Umweltbewusste beim „markentesten Teil des Platzes“, dem neuen Bussteigdach: Die vorgesehene sechs Meter breite, zwölf Meter hohe und rund 160 Meter lange Alu-Stahl-Konstruktion war im Gemeinderat nicht zu verhindern. Schon im vergangenen Jahr waren bekanntlich Räte der Fraktionen der Grünen und der Freien Wähler mit ihrem Antrag, das Dach zu begrünen, gescheitert. Und auch jetzt fand Grünen-Rat Eberhard Röhm für seinen Vorstoß, den Baubeschluss zu verschieben, bis das von der Stadt in Auftrag gegebene Klimagutachten vorliege, keine Mehrheit. An einer möglichen klimatechnischen Verbesserung der Aufenthaltsqualität des Bahnhofsvorplatzes – gerade bei Extremhitze wie in diesen Tagen –, hatten die meisten seiner RatskollegInnen kein Interesse. Macht nichts – Hauptsache im Cano wird es wohltemperiert sein.
Grau in grauer Weite wird sich der Platz nach seiner Fertigstellung präsentieren: Die Gehwege und der Bussteig werden passend zur Betonfahrbahn aus grauem, geschliffenen Betonkleinpflaster hergestellt. „Dies soll dem gesamten Platz eine Einheit verleihen und die Großzügigkeit des Entwurfes unterstreichen“, heißt es weiter in der Vorlage. Bonjour Tristesse!
Ebenfalls nicht mehrheitsfähig war Eberhard Röhms weiterer Vorschlag, auf den künftigen Kreisverkehren an der Bahnhofstraße/Erzbergerstraße und Bahnhofstraße/Thurgauerstraße großkronige Bäume zu pflanzen. Stattdessen werden auf diesen Kreiseln an den beiden Bahnhofsvorplatz-Enden zwei Stahlplastiken mit Rostpatina aufgestellt werden. Großzügiges Grau, eingefasst in Rost-Kunst – nur darin können sich heute wohl alle Farben wiederfinden …
Schmuddel- statt Aufenthaltsqualität
Nicht in Grau, sondern in Gelb sollte der neue Bodenbelag für die „sympathische Hegau-Straße“ (so ihr Werbeslogan) erstrahlen. Gerade mal acht Monate liegen die Edel-Betonplatten mit den kleinen Graniteinsprengseln nun zwischen August-Ruf- und Erzbergerstraße. Doch von wegen in leuchtendem Gelb mit sahara-beigem Glanz – stumpf, verschmutzt und voller Flecken bieten die Platten einen wenig einladenden Anblick. Dabei sollten die geschliffenen Plattenbeläge doch besonders robust und gut zu pflegen sein, wie Singens Stadtplaner versprachen. Der gleiche Bodenbelag ist mit der weiteren Baustelle in der Hegaustraße, zwischen Erzberger- und Scheffelstraße, gerade in Arbeit. Wenn er dann nach geraumer Zeit ebenfalls Schmuddelkind-Look statt „Wohnzimmer“-Feeling (so ein weiterer Slogan) bietet, dürfte die Befürchtung nicht übertrieben sein, dass diese Einkaufsstraße künftig nichts weiter als eine schnell zu passierende Wegstrecke zum künftigen Cano werden könnte.
Conti zersägt, MAC 2 errichtet
Nun ist kaum noch etwas zu davon sehen: Das widerspenstige Conti-Hochhaus wurde Stockwerk für Stockwerk heruntergesägt. Wohnraum ist hier erst einmal vernichtet worden. Der Bebauungsplan fürs „Scheffel-Areal“ wird derzeit erstellt. Bis zu seiner Realisierung ist aber noch manche Hürde zu überwinden und dem Bedarf an Sozialwohnungen wird durch dieses neue Quartier bestimmt nicht nachgekommen werden.
Richtfest hingegen wurde beim MAC 2 gefeiert: 27 Meter hoch ragt der Neubau des „Museums Art & Cars“ am Aachufer hoch. So können die Aachbad-BesucherInnen für ihren Eintrittspreis noch zusätzlich den Anblick dieses architektonischen Wunderwerkes genießen und müssen sich nicht mehr mit dem Anblick eines grünen Berges begnügen. Diesen können dann künftig die vornehmlich wohlbetuchten Gäste in der „Sky-Lounge“, dem „lichtdurchfluteten“ Dachgeschoss, an dieser Stelle exklusiv genießen. 3000 Quadratmeter Nutzfläche umfasst diese neue Beton-Trutzburg – viel Platz für‘s Oldtimer-Hobby des Ehepaars Gabriela und Hermann Maier. Eventkapitalismus pur – besonders für solche, die dazugehören. Zu jenen, deren Wohnungsnot allenfalls darin besteht, sich mehrmals im Jahr für die gerade passende – nicht von Unwägbarkeiten des Klimas oder der Politik betroffene – seiner Residenzen entscheiden zu müssen. Und für jene, die meinen, schon dazuzugehören, wenn sie gelegentlich dabei sein dürfen.
Fritz Murr/Fotos vom Autor
Der Verkaufserlös des Zollareals sollte mindestens in zweistelliger Millionenhöhe liegen, so OB Häusler in einer öffentlichen Podiumsdiskussion zum CANO in 2016 vor der Bürgerabstimmung. Der Verkaufserlös sollte wenigstens zur Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes ausreichen. Dem Vernehmen nach wurde dieses Ziel wohl nicht erreicht. Der tatsächliche Kaufpreis wurde öffentlich nicht bekannt wurde anscheinend von einem Gutachter geschätzt. Ich habe noch nie von einem Bauern gehört, der sein Grundstück billig an einen Nachbarn verkauft, damit dieser wenigstens teilweise die Verbesserung der Zufahrt des Nachbarn bezahlen kann. Man könnte es auch Verschleuderung von öffentlichem Eigentum nennen.
Danke, Frau Bernecker, für den Kommentar, der die Lage auf den Punkt bringt. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Ausser, dass am Horizont bereits der nächste Wahnsinn erscheint:
https://www.wochenblatt.net/heute/nachrichten/article/regierungspraesidium-steht-kiesabbau-im-dellenhau-nicht-im-weg/
Wie sich die Städte gleichen, zumindest was die vollkommene Ignoranz des unumstrittenen Klimawandels angeht. Immerhin scheint es in Singen noch Menschen zu geben, die ein Klimagutachten durchsetzen, was allerdings nix bringt, weil davor schon rücksichtslos durchgezogen wird, was keinen umwelt-bzw. klimafreundlichen Sinn macht. Ist doch hier in KN auch nicht anders. Das Ziel: rasantes Menschen -Wirtschaftswachstum und nach uns – die Katastrophe! In Singen allerdings durften die Bürger wählen, sie haben sich für das „Cano“ entschieden.
Jeder Vertreter einer SV, jeder Rat mit Weitsicht, Klugheit, Verantwortung für Stadt und Menschen, würde niemals so handeln , wie die Mehrheit jener in Singen und Konstanz. Denn Pläne hier und dort sind gegen sämtliche Voraussetzungen im Sinne einer „Zukunftsstadt“, wie sie u. a. der Wettbewerb, an dem KN teilnimmt, fordert. Die Warnungen, Wirtschaftlichkeit(maßloser rücksichtsloser Bauwahn gehört dazu)auf Kosten nachhaltiger sozialer und ökologischer Balance(gerade auch in Stadtvierteln) an erste Stelle zu setzen, werden ignoriert. Priorität habe eine intakte Umwelt, ohne die der Mensch nicht überleben kann. Zu dieser gehört u. a. auch der Erhalt der Artenvielfalt, ebenso wie Erhaltung oder Schaffung von Grün- und Freiflächen, von Kaltluft-Frischluft-Zonen(Bsp. Döbele KN), von „grünen Lungen“, natürlichen Quellen, Verringerung von Verkehr, sinnvoll energetisches Bauen etc.
Und während in immer mehr Klein- und Großstädten weltweit ein Umdenken stattfinde, durch Begrünen von Hauswänden und Dächern, durch mobile Gärten und künstlich geschaffene Quellen/Wasserspender versucht wird, Fehler wieder gut zu machen(was nur in geringem Maße möglich ist), werden sie hier unbedarft erst verbrochen.
In beiden Städten wird ignoriert, was uns die Natur vor Ort im Umkreis von Rhein und See schenkt: die Möglichkeit für uns, für kommende Generationen eine Zukunft zu schaffen, in der das Leben nach wie vor lebenswert ist, das Wirtschaften und Gestalten sinnvoll – denn heute werden die Weichen gestellt für ein Leben in Zeiten des Klimawandels.