Singener Stadtgeflüster: Schandflecken und Konsumtempel, Klimagipfel und Hausberg

Singen will in den nächsten Jahren sein Erscheinungsbild prägend verändern. Abgesehen davon, dass solche Veränderungen ohnehin in einem kontinuierlichen Prozess vor sich gehen, sollen die jetzt geplanten Eingriffe massiver sein: 2017 und 2018 könnten als Baustellen-Jahre in die Stadtchronik eingehen. Denn mit dem „Holzer-Bau“ und dem „Conti“ verschwinden zwei ältere Singener Bauwerke. Aber auch andere Wahrzeichen stehen auf der Abschussliste.

Singens „Conti“ – nach 50 Jahren ist alles vorbei

Anfang Mai wird Singens erstes, einst markantes Hochhaus, das „Conti“, abgerissen werden. Und zwar wirklich, denn im Gespräch ist dies schon seit langen Jahren. Nachtrauern wird diesem Gebäude wohl niemand. „Schandfleck“ und „Schmuddelkind“ wurde es nur noch genannt. Doch niemand wird als Schmuddelkind geboren, und so waren die Planungen 1967 ganz andere: das „Hotel Continental“ sollte ein Wahrzeichen der aufstrebenden Stadt werden, illustre Gäste und großstädtisches Flair bringen.

Doch das blieben Träume und der Niedergang setzte bald ein: Vom Hotel blieb nur eine Animier- und Striptease-Bar, Eigentümer wechselten ständig, innen und außen wurde das Gebäude immer maroder. Die Stadt kaufte die einzelnen Wohnungen nach und nach an und kündigte die Mietverhältnisse. Bis vor kurzem diente es noch zur Unterbringung von wohnungslosen Mitbürgern. Jetzt ist es geräumt. An seiner Stelle und unter Einbeziehung weiterer benachbarter Grundstücke soll das neue „Scheffel-Areal“ entstehen: 130 Wohnungen, auch mit betreutem Wohnen, und 60 Pflegeplätze sowie Café und Kleingewerbe will ein Investor errichten.

Wohnraum wird dringend gebraucht. Für wen diese Wohnungen bezahlbar sein werden, wird sich noch zeigen. Die Lage dieses neuen Areals direkt an der Haupt- und der Bahnhofstraße und damit an der zukünftigen Haupt-Verkehrsverbindung zur geplanten Shoppingmall könnte jedoch manchem nicht gefallen.

Goodbye „Holzer-Bau“

Wenn ab jetzt alles im vorgesehenen, rechtlichen Rahmen zwischen Stadtverwaltung und ECE-Management verläuft, wird mit dem „Holzer-Bau“ zum Jahresende ein zweiter, von vielen ebenfalls als „Schandfleck“ bezeichneter Komplex verschwinden. Der städtebauliche Vertrag soll in der Gemeinderatssitzung am 9. Mai öffentlich vorgestellt werden. Am vergangenen Freitag berieten sich die GR-Mitglieder dazu bereits in geheimer Klausur. Öffentliche Auslegung des Bebauungsplans und die Erteilung der Baugenehmigung hofft man, als juristische Formsache bis Herbst abgeschlossen zu haben. Der „Holzer-Bau“ hieß übrigens bei seiner Planung „Einkaufscenter am Singener Bahnhof“. Aber auch das funktionierte bekanntlich nicht. Für die Ansprüche Singens einfach zu klein … Jetzt muss ein viel größerer Konsumklotz her. Und für dessen Realisierung heißt es dann auch Abschied nehmen von einem Stück der öffentlichen Thurgauer-Straße.

Klimagipfel – wie man vieles besser machen könnte

Für den 2. Singener Klimagipfel konnte Klimaschutzmanager Markus Zipf zwei kompetente und sehr temperamentvolle Referenten in die Stadt holen: Roland Roth, Chef der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried, und Professor Heiner Monheim, Geograph, Stadtplaner, Verkehrsexperte und Inhaber des raumkom-Instituts für Raumentwicklung und Kommunikation in Trier. Auch wenn es drastisch klingt, beide waren keine Überbringer guter Nachrichten: 1983 sei mit 22 aufeinanderfolgenden Hitzetagen in Singen der Klimawandel auch bei uns angekommen, so Roland Roth. Seitdem häufen sich Extremwettererscheinungen und Naturkatastrophen: schwere Stürme, Tornados, Hagel, Dürreperioden und Starkregen mit Überschwemmungen. „5 nach 12“ sei es, wenn man ernsthaft die Klimaerwärmung eindämmen wolle.

Dem schloss sich Heiner Monheim in seinem Vortrag an: „Business as usual“ gehe ab sofort nicht mehr. Den Bundesverkehrswegeplan bezeichnete er als „Dokument der Hilflosigkeit“. Unser Bahnnetz werde seit den 1920er-Jahren permanent geplündert und schrumpfe. „Wir sind ein Autoland“ und „ein Stauland“ – und schlimmer noch, dank unserer Autoindustrie, seien wir „Weltmeister im Stau-exportieren“. Und sehr anschaulich: „Wer würde denn 140 Pferde anschirren, um einen einzigen Menschen zu transportieren?“

Möglichkeiten, es ökologisch besser zu machen, präsentierte er einige: Einsatz von umweltfreundlichen Minibussen, Ausbau der Haltestellen, bessere Vernetzung und Taktung des öffentlichen Nahverkehrs, so wie es Stadt und Kanton Schaffhausen oder das österreichische Vorarlberg längst praktizieren. Auch die Usedomer Bäderbahn, wo Fahrkarten beim angestellten Personal und nicht am Automaten gekauft werden können, oder die Kombibusse in der Uckermark, die auch Gepäck und Fahrräder transportieren, sind Positivbeispiele der Nachhaltigkeit, ebenso der Ausbau von Radschnellwegen wie in Wuppertal. 12.000 km solcher Radschnellwege würden in Deutschland gebraucht.

Eine unbestreitbar informative und nachdenklich stimmende Veranstaltung, mit der Markus Zipf auch weitere „Klimabotschafter“ zu gewinnen hoffte, die bereit sind für das Experiment „mit 2000 Watt leben“ (www.wirleben2000watt.com/klimabotschafter/). Das ist gar nicht einfach, wenn man von seinem wohlfühl- und bequemlichkeits-orientierten Lebensstil nicht abrücken will. Anderer, aber auch weniger Konsum ist dazu eine Voraussetzung.

Singen mit Vollgas gegen die Wand

Doch ist Singen nicht gerade dabei, seine selbst propagierten Ziele ad absurdum zu führen? Müssen wir nicht alle noch kopflos-kaufberauschter werden, wenn das geplante Shopping-Center ein Erfolg werden soll? Und die erhoffte erhöhte Kundenfrequenz, damit zumindest Teile des vorhandenen innerstädtischen Einzelhandels neben der Mall weiterbestehen können, wird zwangsläufig viel mehr Autoverkehr bedeuten, und damit erhöhte CO2- und Feinstaubbelastung, denn dass das Gros der Besucher mit Elektro-Autos, per Zug, mit Fahrrad oder zu Fuß kommen wird, ist äußerst unrealistisch. Also doch eher „mit Vollgas gegen die Wand“ statt Klimarettung und Verantwortung für nachkommende Generationen? Ganz abgesehen davon, dass sowohl das hiesige Busnetz in die Ortsteile und weitere Hegau-Gemeinden als auch die Radwege erheblichen Verbesserungsbedarf haben.

VertreterInnen der CDU-Fraktion fehlten übrigens beim langfristig angekündigten Klimagipfel, da diese Partei zur selben Zeit ihren Informationsabend zum Dellenhau veranstaltete. Auch der OB verabschiedete sich noch vor Ende des ersten Vortrags … War diese Terminkollision wirklich unvermeidlich? Oder dürfen wir daraus schließen, dass das Interesse dieser Fraktion an der Umwelt ein sehr begrenztes – allenfalls taktisch genutztes – ist?

Die Burgruine, der Bannwald und die CDU

Dieser Verdacht könnte jedenfalls bei dem erneut gestellten Antrag der C-Partei „zur Auflichtung im Bereich der Festungsruine“ aufkommen. Ganz unter dem Motto „die CDU im Wald, erspart die Landschaftspflege“, möchte diese Fraktion im Einvernehmen mit dem Verein „Freunde des Hohentwiel“ den dortigen für das Klima sowie selten gewordene Tiere und Pflanzen wertvollen Bannwald nur zu gern roden. Er verdecke die Sicht von Norden und Osten auf das „Kulturdenkmal Festungsruine“, so die Begründung. Anlass für diese Anfrage ist der neue „Natura 2000 Management-Plan Westlicher Hegau“.

Nur scheinen die beiden CDU-Rätinnen Veronika Netzhammer und Angelika Berner-Assfalg (zugleich „Freundin des Hohentwiel“) den Plan nicht genau genug gelesen zu haben. Darin steht nämlich ausdrücklich: „Keine Maßnahmen innerhalb Bannwald – Unbegrenzte Sukzession“. Auch OB Bernd Häusler (CDU) wurde jüngst im Singener Wochenblatt mit den Worten zitiert, dass für etliche gewünschte (Groß)-Veranstaltungen auf dem Hohentwiel „der Naturschutz im Wege stehe“. Mit anderen Worten, zwischen Event-Managern und Touristikern auf der einen und Naturschützern auf der anderen Seite dürfte es künftig noch so manche Fehde um unseren Hausberg geben. „Profit first“ soll wohl auch hier gelten.

Fritz Murr (die Fotos zeigen – im Vorspann – den Holzer-Bau und das „Conti“)