Sitzordnung und Hackordnung im Gemeinderat

Natürlich Helmle. In unserem Bericht aus der letzten Gemeinderatssitzung kommen wir an dem Ruf der CDU nach Entlastungsmaterial für den Ex-OB nicht vorbei – eine Geschmacklosigkeit, die man gar nicht oft genug geißeln kann. Aber auch andere Themen im Gemeinderat, wie die Suche nach Erdgas in der Bodenseeregion, die Umrundung des Münsters oder die mögliche Abwicklung der Konstanzer Polizeidirektion gaben Anlaß zu mancherlei Herzensergießungen

Schon in der Schule ist es so: Alle wollen neben ihrer Busenfreundin oder ihrem besten Kumpel sitzen, und die Streber drängt es in die Nähe des Lehrerpultes. Das ändert sich auch im Erwachsenenalter nicht, und seit sich im Konstanzer Gemeinderat eine neue Fraktion gebildet hat, gibt es Probleme mit der Sitzordnung. Seit langem ist es Brauch, dass die Besitzstandswahrer rechts und die Weltverbesserer links sitzen. In Konstanz allerdings wollte man die Probleme mit der Sitzordnung jetzt lösen, indem die Linke Liste nach ganz rechts neben die FDP umziehen sollte. Dagegen wehrte sich vor allem der Linke Holger Reile vehement.

Seit der Französischen Revolution …

Im Konstanzer Gemeinderat gab es neben den etablierten Gruppen bereits seit längerem zwei Einzelkämpfer: Claudia Zunker (Frank und Freie) und Jürgen Wiedemann (Neue Linie). Nachdem jüngst Eberhard Roth der CDU-Fraktion den Rücken kehrte, waren es plötzlich drei, und drei Räte dürfen eine Fraktion bilden. Folgerichtig haben sie sich jetzt zur UFG (Unabhängige Fraktionsgemeinschaft) zusammengeschlossen. Ein solcher freiwilliger Zusammenschluss über die Parteigrenzen hinweg ist nicht nur eine politische Willensbekundung, sondern bringt ganz handfeste Vorteile mit sich. Die UFG hat jetzt – anders als Einzelkämpfer oder die Linke Liste mit ihren nur zwei Vertretern – Anspruch auf einen Sitz in verschiedenen beschließenden Ausschüssen, in denen viel der eigentlichen Arbeit erledigt wird, wie etwa dem Haupt- und Finanzausschuss oder dem Technischen und Umweltausschuss mit ihren je 13 Mitgliedern. Das bedeutet zwar mehr Arbeit, aber auch mehr Informationen und mehr politisches Gewicht. Hauptverlierer ist die SPD, die einen Sitz in den Ausschüssen abtreten muss. Das politische Pendel schlägt durch die Fraktionsneubildung also ein wenig zugunsten der Bürgerlichen aus.

Dass die SPD davon nicht begeistert ist, ist verständlich, und so bezweifelte denn deren neuer Fraktionsvorsitzender Jürgen Puchta, dass die Bildung der UFG dem Wählerwillen gerecht werde. Die drei Mitglieder der neuen Fraktion hätten keinerlei politische Gemeinsamkeit, und es gehe ihnen einfach nur um die Ausschusssitze. Falsch, antwortete Eberhard Roth (UFG), innerhalb der neuen Fraktion gebe es durchaus interne Übereinstimmungen über alle „Gesäßgeographie“ hinweg. Auch deshalb wolle die UFG wie die anderen Fraktionen zusammen sitzen.

Aber dafür sollte die Linke ihre Plätze opfern und neben ihre Erzfeinde von der FDP rücken? Nichts da! „Seit der Französischen Revolution,“ so der schmunzelnde Holger Reile (Linke Liste) sei es guter Brauch, dass rechts der Adel und links das aufmüpfige Volk sitze, und so solle es auch bleiben, er jedenfalls wolle nicht neben den Liberalen sitzen. Worauf  ihm Roger Tscheulin (CDU) vorwarf, er hänge an alten Zöpfen und betreibe Besitzstandswahrung (Reile: „Dann setze ich mich doch neben Sie!“, Tscheulin erblasste). Am Ende fand man eine salomonische Lösung: Bei der FDP wird für die neue UFG ein Katzentisch eingerichtet, und die traditionelle Demarkationslinie zwischen rechts und links bleibt dank des Einsatzes von Holger Reile, dieses Revolutionärs im Wolfspelz, erhalten.

Fracking – Nein danke!

Es wäre ein unschönes Bild: Im See vor Konstanz sind Bohrplattformen zur Gasgewinnung verankert, das Konzil liegt nachts im gespenstischen Licht der Fackeln von Bohranlagen, und die Fische treiben mit dem Bauch nach oben den stinkenden Rhein hinab, statt als Filet oder Räucherfelchen die Auslagen des Fischhandels zu zieren. Die Besorgnisse vor einem solchen Schreckensszenario haben einen realen Hintergrund, denn auch im Bodenseeraum wird nach Erdgaslagerstätten gesucht, die natürlich umso wertvoller werden, je stärker die Energiepreise steigen. Bei der Gasförderung in der hiesigen Gemengelage arbeitet man mit dem technischen Verfahren Hydraulic Fracturing („Fracking“ genannt), bei dem Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in den Boden gepumpt werden, was zu einer Vergiftung von Grund- und Seewasser und damit auch des Trinkwassers führen kann.

Rechtlicher Rahmen für die Exploration ist das Bundesberggesetz, das nach Angaben von OB Horst Frank vor allem darauf abzielt, den Abbau von Stoffen zu ermöglichen. Soll wohl heißen: Umweltbelange spielen in diesem Gesetz nicht die Hauptrolle, und um die Mitsprache der Bevölkerung und Politiker vor Ort ist es schlecht bestellt. Jürgen Ruff (SPD) sprach dem gesamten Gemeinderat aus dem Herzen, als er forderte, nicht nur eine eventuelle spätere Gasförderung, sondern schon die Probeuntersuchungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen und dem Gemeinderat zwingend ein Mitspracherecht einzuräumen. Dem schloss sich der Gemeinderat einstimmig an, allerdings verwies der OB darauf, dass man, um solche Bohrungen zu verhindern, auch die Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die Internationale Bodenseekonferenz und andere Institutionen anspitzen müsse, denn auf lokaler Ebene habe man da nichts zu sagen.

Ein Geschmäckle

Die CDU ist ihrem Selbstverständnis nach eine zutiefst demokratische und moralische Partei, die nur mit lupenreinen Demokraten zu tun haben mag. Konsequenterweise lehnt sie es ab, den von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)“ initiierten Aufruf zur Konstanzer Großdemonstration am 16. März gegen rechte Gewalt mitzutragen. Die VVN-BdA wird vom Verfassungsschutz beobachtet, und die CDU will sich nicht vor den Karren vermeintlicher Demokratiefeinde spannen lassen.

Bei der Diskussion über die Nazi-Vergangenheit des langjährigen Konstanzer CDU-Oberbürgermeisters Bruno Helmle hingegen barmte es aus den Reihen der Musterdemokraten von der CDU händeringend, man müsse doch bitte unbedingt weiter nach Akten suchen, die Helmle entlasten könnten – man fühlte sich manchmal unwillkürlich an die Angelegenheit Filbinger erinnert. Was Helmle noch entlasten könnte, nachdem laut den beteiligten Wissenschaftlern feststeht, dass er sich am Vermögen geflohener oder deportierter jüdischer Mitbürger und Mitbürgerinnen bereichert und anschließend alles verschleiert und weggelogen hat, ist nicht zu erkennen. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass er Schäferhunde kraulte und aus purer Menschenliebe immer etwas in die Sammelbüchse des Winterhilfswerks warf, rückte ihn das in kein besseres Licht, aber dies sei nur beiseite bemerkt. Es ist vor allem schlichtweg unappetitlich, wenn CDU-Räte einerseits auf Entlastungsmaterial für den habgierigen Nazi-Profiteur Helmle hoffen, andererseits aber bei einem Aufruf zu einer von SPD, FDP, FGL, Gewerkschaften und vielen anderen Gruppen getragenen Demonstration gegen Faschisten meinen, ein vermeintlich undemokratisches Haar in der Suppe finden zu müssen.

Polizei – Ja bitte!

Konstanz hat eine große Polizeidirektion in einem schmucken Gebäude, und das könnte sich bald ändern, denn das Land will seine Polizei reformieren mit dem Ziel einer „Straffung der Aufbauorganisation, indem die vier Landespolizeidirektionen der Regierungspräsidien Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Tübingen mit den 37 Polizeipräsidien und Polizeidirektionen zu zwölf regional zuständigen Polizeipräsidien verschmolzen und unmittelbar dem Landespolizeipräsidium im Innenministerium nachgeordnet werden sollen.“ Und bei dieser Gelegenheit könnte es der Konstanzer Polizeidirektion an den Kragen gehen, zumal sie ja auch geografisch in einer Randposition liegt. Nun sind natürlich alle im Gemeinderat dafür, durch eine Neuordnung der Polizei auf Landesebene mehr Bürgernähe zu schaffen, mehr Polizei auf die Straße zu bringen und viel Geld zu sparen. Aber, und in diese Kerbe hieb als erster Normen Küttner (FGL), bitte nicht unter Opferung der Konstanzer Polizeidirektion, denn ein Oberzentrum wie Konstanz benötige nun mal ein Polizeipräsidium und müsse durch den Ausbau der Polizeipräsenz am Ort gestärkt werden.

Außerdem erinnerte man allerseits an die Arbeitsplätze und die Bedeutung der Wasserschutzpolizei, außerdem bringe die Grenzlage besondere Anforderungen etwa im Kampf gegen das organisierte Verbrechen mit sich. Holger Reile warnte auch eindringlich vor der Bedrohung durch die im Kreis Konstanz zahlreich vertretenen, bestens organisierten und mit Gesinnungsgenossen in Österreich und der Schweiz vernetzten Neonazis. Horst Frank, ganz der lebensweise OB mit dem Blick fürs Ganze, verwies darauf, dass man nicht nur starke Argumente brauche, wenn man den Standort in Konstanz erhalten wolle, sondern dass wohl auch die regionale Herkunft der Entscheidungsträger in Stuttgart eine Rolle bei der Entscheidung über die Standorte der künftigen Polizeipräsidien spielen dürfte. Hinter den Kulissen dürfte also bereits ein landesweites Hauen und Stechen unter den Kirchturmspolitikern aller Couleur ausgebrochen sein.

Kirche ist wohl von außen am schönsten

Apropos Kirchturm: Brigitte Leipold (SPD) beklagte, dass auch Konstanz seine Verbotene Stadt habe: Die Ostseite des Münsters sei dem Publikum nicht zugänglich, und das müsse man durch einen Fußweg ändern, so dass man künftig das Münster per pedes umrunden könne. Die dortigen Grundstücke seien im Eigentum kirchlicher Institutionen, die einen Teil als Parkplatz nutzen, und die solle man doch bitteschön veranlassen, dort die Anlage eines Weges zu erlauben, damit die Menschen die Kirche auch mal von hinten sehen könnten.

Damit kam Frau Leipold auf der anderen Seite der Demarkationslinie aber verdammt schlecht an: Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) verwahrte sich dagegen, die Kirche unter Druck setzen zu wollen, man müsse vielmehr verhandeln und der Kirche finanzielle Angebote machen (auf die Idee, die Kirche könne aus purer Gefälligkeit auch umsonst zustimmen, kam dieser wackere Vorkämpfer des allein seligmachenden Glaubens bezeichnenderweise gar nicht erst). Alexander Stiegeler (FWG) lief aus dem Stand zu ganz großer Form auf, denn er hatte in Brigitte Leipolds Ansinnen schnell die Handschrift des Leibhaftigen erkannt: Der SPD gehe es gar nicht um diesen Fußweg, vielmehr wolle sie wieder einmal die Heiligkeit allen Privateigentums angreifen und privaten Besitz kurzerhand enteignen. Vor seinem geistigen Auge nagelte die eigentlich kreuzbrave Brigitte Leipold wohl schon ein Schild „Volkseigentum“ an die Münsterpforte, während der Rest der SPD-Fraktion unrasiert und unter dem Absingen revolutionären Liedgutes ausschwärmte, die Stiegelerschen Latifundien zu besetzen.

Man einigte sich schließlich auf den Vorschlag des OBs, die Verwaltung solle nochmals mit den kirchlichen Eigentümern sprechen und nach einer Möglichkeit suchen, die Ostseite des Münsters auch dem profanen Spaziergänger zugänglich zu machen. Alexander Stiegeler war natürlich dagegen, aber er kann beruhigt sein, die Kirche dürfte auch diesen Verhandlungsversuch an sich abprallen lassen. Und wenn nicht, wird sie halt das Martyrium eines öffentlichen Weges auf  ihrem Gelände in der Nachfolge Christi mit Duldermiene zu schultern wissen.

Autor: O. Pugliese
Geheimnisvolle Kosten

P.S. Wir können nur aus dem öffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung berichten – Themen des nicht-öffentlichen Teils sollen tabu bleiben. Nicht verlässliche Zahlen über die Kosten des Müller-Esch-Verfahrens zum Beispiel sind deshalb bei uns nicht zu finden. Aus verschiedenen Quellen ist jedoch zu erfahren, dass die Kosten-Präsentation bei mehreren Stadträten auf reichlich Unmut stieß. Es darf  wohl vermutet werden, dass dieses Thema noch für genügend Sprengstoff sorgen wird. seemoz wird berichten.