So nicht, Herr Klöckler
Das Echo ist einhellig – und es ist ablehnend. Wenn am kommenden Dienstag der Konstanzer Kulturausschuss über das „Soldatenstandbild Chérisy“ berät (16 Uhr, Ratssaal, TOP 3), liegt der Textentwurf für eine Mahntafel auf dem Tisch. Der stammt von Stadtarchivar Jürgen Klöckler und stößt auf breite Ablehnung – bei den Chérisy-Einwohnern, bei Parteien, bei der Friedensinitiative. „Beliebig“, „Nichtssagend“, „Unpolitisch“ sind noch die harmloseren Bewertungen.
„Eine eindrückliche und zum Nachdenken anregende Gestaltung des Soldaten als Denkmal“ wünscht sich zum Beispiel der ESG e.V., so etwas wie der Hausherr im Chérisy-Areal. Dessen 2. Vorsitzender Rudy Haenel ging gestern mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, in der er eine „konkrete Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Wehrmacht“ fordert. Überdies rügt der Verein das Denkmal auch aus anderen Gründen: Es sei ein gefährliches Verkehrshindernis, das gerade am Eingang zum ehemaligen Kasernengelände zu riskanten Engpässen beitrage.
Die Friedensinitiative Konstanz, so hört man, stimmt dem Textentwurf von Professor Klöckler (s. Foto) ebenfalls nicht zu. Zwar steht deren konkrete Stellungnahme noch aus, aber man darf sicher sein, dass die Initiative, der die neuerliche Diskussion überhaupt erst zu danken ist, eine „geschichtsbewußtere und parteiische Lösung“ vorschlagen wird.
Auch aus den Parteien vernimmt man nur ablehnende Reaktionen: Sowohl FGL als auch LLK und sogar JFK plädieren offensichtlich für eine deutlichere, eindeutig politische Formulierung auf der Mahntafel. Wobei sogar die Diskussion, ob ein niedliches Täfelchen an dem übermächtigen Nazi-Denkmal als Mahnung überhaupt ausreicht, noch nicht ausgestanden ist. Womöglich werden erneut Stimmen laut, die sich für eine Umwidmung oder gar ein Gegen-Denkmal aussprechen. Allein die Idee eines Abbaus des Standbildes scheint vom Tisch.
Hier der Textentwurf im Wortlaut:
Der Fahnenträger vor der ehemaligen Chérisy-Kaserne
Zur Kaserne: Die Errichtung der Chérisy-Kaserne ist Teil der forcierten militärischen Aufrüstung im Nationalsozialismus. Diese dritte Konstanzer Kaserne – neben der Kloster- und der Jägerkaserne – wurde im Zuge der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im März 1935 im Gewann Elberfeld innerhalb kürzester Zeit gebaut und bereits im Januar 1937 bezogen. Der Name Chérisy erinnerte an eine gleichnamige nordfranzösische Ortschaft bei Arras, wo das Konstanzer Infanterie-Regiment 114 im April 1917 einen britischen Angriff abgewehrt hatte. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bezogen französische Streitkräfte die Kaserne, die in „Quartier Bonaparte“ umbenannt wurde. Als die Franzosen 1977 schließlich die Stadt verließen, erhielt der Kasernenkomplex wieder den ursprünglichen Namen Chérisy zurück – der Namensbezug zum Ersten Weltkrieg war freilich im allgemeinen Bewusstsein weitgehend verlorengegangen.
Zum Fahnenträger: Das Standbild eines Fahnenträgers der Wehrmacht wurde im März 1938 aufgestellt, somit über ein Jahr nach Bezug der Kaserne durch das dritte Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 14. Gefertigt hatte es der Konstanzer Bildhauer Paul Diesch. Das aus Muschelkalk gefertigte Standbild ist rund vier Meter hoch, die Gesamthöhe mit Sockel beträgt über 10 Meter.
Zur Rezeption: Nach der zivilen Umnutzung der Kaserne ab 1977 wurde in der Öffentlichkeit mehrfach um das Standbild gerungen. Hatten die französischen Streitkräfte über 20 Jahre lang dem Fahnenträger wenig Beachtung geschenkt, forderten in den folgenden Jahren nicht wenige der vielfach studentischen Bewohner der ehemaligen Kaserne den Abriss oder eine Umgestaltung des Standbildes. Mit Farbpinseln wurden auf dem hohen Sockel kommentierende Bemerkungen aufgetragen. Der Fahnenträger provozierte offensichtlich – und zwar bis heute. Der Historiker Lothar Burchardt brachte die Diskussion auf den Punkt: Der Fahnenträger sei „ein Ärgernis, das zum Nachdenken anregt und bequemes Vergessen erschwert.“
Paul Diesch (1884–1953): Der gebürtige Oberschwabe Paul Diesch ließ sich nach Studium an den Kunstakademien in München und Stuttgart 1912 in Konstanz nieder, wo er vier Jahrzehnte – bis zu seinem Tod – als Bildhauer in einem Atelier in Petershausen tätig sein sollte. Schwerpunktmäßig widmete er sich weniger profaner als vielmehr sakraler Kunst. So geht etwa die Ausstattung der Kirche St. Gebhard in Petershausen auf ihn zurück. Im profanen Bereich schuf er neben dem Fahnenträger insbesondere die beiden, das Schauspiel und die Musik verkörpernden Figuren auf der Dachstirnseite des Stadttheaters sowie die Putten an der Konzertmuschel im Stadtgarten.
Literatur:
Lothar Burchardt: Der Fahnenträger vor der ehemaligen Chérisy-Kaserne. Nachdenken gegen das Vergessen, in: Konstanzer Almanach 47 (2001) S. 32 ff.
Werner Trapp: Konstanz in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Konstanz im 20. Jahrhundert. Die Jahre 1914 bis 1945 (Geschichte der Stadt Konstanz, 5) Konstanz 1990, S. 295 ff.
Artikel „Bildhauer Paul Diesch †“, in: Südkurier – Ausgabe K – vom 19. Januar 1953 Jürgen Klöckler
hpk
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Vielleicht reichen auch Fotos von der Statue und vielleicht hat es etwas Raum für eine Dauerausstellung über diesen Bezirk, dessen Geschichte mit Nutzungsänderungen, wechselnden Bevölkerung, Visionen, Ziele und andere Themen.
Es ist sehr erfreulich, dass nicht nur wir hier in der Cherisy das so sehen, sondern wohl andere ähnlich denken. Der Text von Herrn Klöckner ist eine Kurzinformation, so weit so gut, ob es dem Soldaten und der Idee eines unbequemen Denkmals damit gerecht wird, darf bezweifelt werden.
Wenn das Denkmal stehen bleibt, dann muß die Stadt die Verkehrssituation nochmal genauer anschauen. Allein die Bürgersteigsituation in diesem Bereich ist bedenklich. Wenn der Fußweg auf der Straßenseite entlang des Soldaten führen soll, so wird er viel zu schmal, es sei denn, die Straße wird enger gemacht. Hier im Umfeld leben viele junge Familien mit Kleinkindern, ein zweiter Kindergarten ist in dem neuen Gebäude geplant. Hier leben auch viele ältere Menschen im betreuten Wohnen. Wie soll für Rollstuhlfahrer, Menschen mit Rollatoren und Kinderwägen Sicherheit auf dem Gehweg garantiert werden, wenn dieser so schmal ausfällt? Ich dachte immer, dass die Stadt darum bemüht ist, die Barrierefreiheit zu verbessern. In einer alten Stadt wie Konstanz nicht einfach, aber warum neue Barrieren schaffen, wenn es auch anders gehen könnte? Ein Vorschlag könnte sein, den Gehweg an der Innenseite entlang zu führen, um ihn ausreichend breit zu machen. Das allerdings ist meines Wissens nach bis jetzt nicht so geplant.
Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt sich das Ganze nochmal anschaut und offen genug ist, hier verbesserte Lösungen zu erarbeiten.