Solidarität mit den Edeka-VerkäuferInnen
Rund fünfzig GewerkschafterInnen beteiligten sich am Mittwoch an einer Kundgebung für höhere Löhne, für eine Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und gegen Sonntagsarbeit. Mit dabei waren KollegInnen der Konstanzer Filialen von Kaufland, Esprit, Zara, die zur selben Zeit in einen Warnstreik getreten waren, und von Karstadt. Zur Sprache kamen auch die Zustände beim Lebensmittelhändler Edeka-Baur.
Vor kurzem noch habe man die VerkäuferInnen als „systemrelevant“ gefeiert – und heute müssen sie gegen eine Reallohnsenkung ankämpfen. Zu diesem Fazit gelangten am Mittwoch auf der Marktstätte Markus Klemt, Sekretär für den Bereich Handel von ver.di, und Christian Trompeter von der Gewerkschaft Nahrung–Genuss–Gaststätten (NGG). Beide erläuterten in ihren Reden das miserable Angebot der Handelsunternehmen, die im ersten Jahr lediglich eine Lohnerhöhung von 0,8 Prozent und im zweiten 1,2 Prozent in Aussicht stellen – dabei liegt die Inflation derzeit bei 2,5 Prozent im Jahr. Die Gewerkschaften haben dagegen eine Forderung von 4,5 Prozent mehr Lohn auf den Tisch gelegt – und das nur für ein Jahr. Eine längere Laufzeit komme schon deswegen nicht in Frage, weil völlig unklar ist, wie sich die Dinge entwickeln – die Preise, die Mieten und Corona.
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Doch die Unternehmerseite bewegt sich nicht. „Dabei gehören die Handelsfirmen“, so Trompeter, „zu den Krisengewinnern“; viele von ihnen hätte 2020 Zuwächse erzielt. Trotzdem fordere jetzt der Einzelhandelsverband, fügte Heike Gotzmann von der Katholischen Betriebsseelsorge hinzu, „jetzt wieder verkaufsoffene Sonntage, vorerst nur bis Jahresende“ – aber dabei bleibe es nicht: „Wehret den Anfängen!“ Dabei sei doch längst klar, dass längere Öffnungszeiten nicht mehr Umsatz bringen, „sondern dem Familienleben schaden“.
Edekas Privatisierungsstrategie
Hans-Peter Menger vom DGB wiederum wies auf die Notwendigkeit einer Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge hin. Diese würden bewirken, dass sich auch nicht tarifgebundene Firmen wie Edeka-Baur in Konstanz an das halten müssen, was die Gewerkschaft mit dem Arbeitgeberverband ausgehandelt hat. Für viele Beschäftigten wäre das ein großer Schritt. Dann nämlich, so Menger, „bekommen sie höhere Löhne und mehr Zulagen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, sie arbeiten die tariflich vereinbarten 37,5 Stunden und maximal fünf Tage in der Woche, sie erhalten Überstundenzuschläge und haben mehr Rechte.“ All das werde den Beschäftigten von Edeka in Konstanz vorenthalten, so Menger. „Und deshalb demonstrieren wir hier auch gegen die Willkür des Lebensmittelhändlers Jürgen Norbert Baur.“
Markus Klemt ging in seiner Schlussansprache ebenfalls auf den Konflikt zwischen ver.di und in dem privat geführten Edeka-Händler Baur ein. Das, was in dessen Unternehmen passiere, blühe allen Edeka-Beschäftigten im Land: Die Südwest-Edeka-Genossenschaft mit Sitz in Offenburg will langfristig alle Märkte privatisieren. „Bisher ist keines dieser privaten Edeka-Unternehmen tarifgebunden“, erläuterte er – und bisher sei es noch nicht gelungen, in einem der vielen privat geführten Unternehmen einen Betriebsrat zu etablieren.
Auf dem Weg in die Altersarmut
Und dann berichtete er über die jüngsten Vorgänge im Edeka-Baur Markt an der Bodanstraße: Dass der Initiator der Betriebsratsgründung unmittelbar nach der Bekanntgabe des Vorhabens wegen angeblicher Fehlleistungen entlassen wurde. Dass dieser Kollege seinen Arbeitsgerichtsprozess gewann, dass er in den Betriebsrat gewählt wurde, dann aber kurz vor der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats erneut gefeuert wurde. „So geht man bei Baur über Rechtsanwälte gegen Menschen vor, die das legitime Recht einer Betriebsratsgründung in Anspruch nehmen wollen.“
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Dass Baur seine Beschäftigten bis zu dreißig Prozent unter des üblichen Tarifniveaus bezahle, wisse er als zuständiger Sekretär: „Und das kann ich auch jederzeit beweisen, falls mich einer der Anwälte von Baur der Falschaussage bezichtigen sollte“, sagte Klemt und führte Beispiele an – von einer langjährigen Verkäuferin, die seit 2013 keine Lohnerhöhung mehr bekommen habe, vom Fachverkäufer, der brutto 2100 Euro verdiene. „Der Tariflohn“, erläuterte der ver.di-Sekretär, „liegt bei mindestens 2700 Euro“. Dabei wisse man doch, dass Lohnabhängige, die vierzig Jahre lang auf einem Niveau von 2500 Euro brutto arbeiten und davon Rentenversicherungsbeiträge bezahlen, gerade mal auf eine Rente von 1000 Euro kommen. „Wie sollen sich diese Menschen in Konstanz eine Miete leisten können?“ Und Edeka-Baur zahle eben noch weniger: „Da ist im Alter der Weg zum Sozialamt programmiert“.
Dann erwähnte Markus Klemt noch etwas, das er als „besonderen Skandal“ empfindet. Die Regierung habe im März letzten Jahres die Unternehmen gebeten, ihre Leute nicht beim staatlichen Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 beziehungsweise 67 Prozent des normalen Einkommens hängen zu lassen, weil man davon nicht leben kann. Viele Firmen – selbst solche, deren Läden im Unterschied zu den Lebensmittelhandlungen monatelang geschlossen waren – hätten fünfzehn, zwanzig oder gar dreißig Prozent dazugezahlt. „Bei Edeka-Baur aber gab es nichts.“
Auch deshalb entfalteten am Ende der Kundgebung streikende Beschäftigte der Konstanzer Filialen von Zara und Esprit ein Transparent, das sie am Morgen gemalt hatten und auf dem sie ihre Solidarität mit den Edeka-VerkäuferInnen bekundeten: „Esprit und Zara fordern Tarif für Edeka.“
PS: Ursprünglich sollte die Neuwahl des Betriebsrats in der Edeka-Filiale Bodanstraße im Juni stattfinden. Inzwischen ist sie auf unbestimmte Zeit verschoben. Zuerst, so hatte es offenbar geheißen, müsse der Wahlvorstand geschult werden. Im Laufe der Auseinandersetzung hat Edeka-Baur übrigens zwei weitere Filialen eröffnet: eine in Salem (im Juni) und eine in Gailingen (Anfang Juli).
Text und Foto: Pit Wuhrer
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