Sondereinsatzkommando Brötchentüte
Bei Bäcker Stickel an der Friedrichstraße sind auf der Fahrbahn Fahrradstreifen markiert. Diese dienen der optischen Verschönerung des Asphalts und werden von AutofahrerInnen großzügig zugestellt, während sie sich in der Bäckerei mit Naschwerk und anderen Grundnahrungsmitteln versorgen. Menschlich umso anrührender ist es daher, wenn auch ein Dienstfahrzeug dort hält, denn das signalisiert den BürgerInnen, dass das Sonderkommando Brötchen wieder in seinem aufopferungsvollen Einsatz ist.
Ein Passant mochte an einem trüben Oktobertag seinen Augen kaum trauen: Stand da wirklich ein Dienstfahrzeug des Zolls mitten auf dem Radstreifen gegenüber von Bäcker Stickel? Sollten etwa wagemutige BeamtInnen ihr Dienstkraftfahrzeug in bester Autofahrerrüpelmanier abgestellt haben, um sich mit Backwerk zu versorgen?
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Dieser Verdacht ließ den Passanten nicht ruhen: Er fotografierte das Fahrzeug und erstattete Anzeige. Daraus entspann sich ein herzerfrischender Schriftwechsel zwischen Bürger und Obrigkeit, den wir hier dokumentieren, weil er so schön ist und der Demokratieverdrossenheit so effektiv entgegenwirkt.
1. Mail: 11.10.2019, Bürger an das Hauptzollamt Singen
Guten Tag!
In Anlage finden Sie meine Anzeige bei der Straßenverkehrsbehörde Konstanz wegen behindernden, grob verkehrsgefährdenden Parkens mit dem Dienstfahrzeug KN-2091 am 5.10.2019 in der Friedrichstraße Konstanz.
Ich habe diese Anzeige erstattet, weil durch die Blockade des Schutzstreifens durch verbotswidrig parkende Fahrzeuge regelmäßig Radfahrer, darunter viele Schüler, die die Friedrichstraße auf dem Weg zu den innerstädtischen Schulen benutzen, gefährdet werden. Dass durch Dienstfahrzeuge von Polizei- und Zolldienststellen ein schlechtes Beispiel gegeben wird, halte ich für völlig unverantwortlich.
Ich bringe diese Anzeige deshalb auch der Zolldienststelle zur Kenntnis, nachdem ich bereits vor einigen Wochen ein unerfreuliches Gespräch mit der Fahrzeugführerin eines Dienstfahrzeugs hatte, das vor genannter Bäckerei für die Dauer des Einkaufs so auf dem Gehweg abgestellt war, dass dieser auf voller Breite blockiert war. Der nächste freie Parkplatz längs der Friedrichstr. war nicht mehr als 20 m entfernt. Auch hier war die Fahrzeugführerin der Überzeugung, mit einem Dienstfahrzeug grundsätzlich überall ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer parken zu dürfen.
Ich wäre deshalb dankbar, zu erfahren,
– ob von der Zollverwaltung diese Rechtsauffassung geteilt wird, insbesondere, ob es sich beim Einkauf von Brötchen und anderem Backwerk um einen hoheitlichen Sondereinsatz i.S.v. § 35 Abs. 1 StVO handelt, der von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, „soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist“,
– ferner, ob die vorgesetzte Dienststelle der Auffassung ist, dass ein Fahrzeugführer, der sich mit einem Dienstfahrzeug derart grob vorschriftswidrig und gefährdend verhält, über die erforderliche Eignung und Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs i.S.v. § 2 StVG verfügt oder ob eine Nachschulung angebracht ist, um den Beamten zu einem künftig vorschriftsgemäßen Verhalten zu befähigen.
Für Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.
Mit freundlichem Gruß
2. Mail: 05.12.2019, Hauptzollamt Singen an Bürger
Sehr geehrter Herr,
Ihr E-Mail wurde zuständigkeitshalber an mich weitergeleitet. Inzwischen liegen mir auch die Stellungnahmen der beteiligten Zollbeamten und der Bericht des direkten Vorgesetzten vor.
Aus den Stellungnahmen der beteiligten Zollbeamten geht hervor, dass das Dienstfahrzeug KN-2091 am 5.10.2019 in Konstanz mit eingeschalteter Warnblinklichtanlage in der Friedrichstraße-/ Ecke Rebbergstraße kurzfristig abgestellt wurde, der Fahrer das Fahrzeug nicht verlassen hatte und es sich um einen hoheitlichen Sondereinsatz handelte. Ein Fehlverhalten des DKfz-Führers ist nicht erkennbar.
Natürlich sind unsere Beamten dazu angehalten, sich entsprechend der Straßenverkehrsordnung zu verhalten und Sonderrechte nur bei begründeten Einsatzlagen in Anspruch zu nehmen.
Regelmäßig werden alle DKfz-Führende verpflichtet, sich laufend über straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen zu informieren und sie einzuhalten (Abs. 72 DkfzDV-BFV). Dies gilt insbesondere für die allgemeinen Verkehrsregeln nach den §§ 1-12, 17, 20, 23, 34 und 35 StVO.
Ich werde jedoch Ihr Schreiben zum Anlass nehmen, das Thema „Einhaltung von straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen und Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer“ in den nachfolgenden Dienstbesprechungen und Dienstunterrichten bei allen Kontrolleinheiten eingehend zu sensibilisieren.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
3. Mail: 10.12.2019, Bürger an Hauptzollamt Singen
Sehr geehrter Herr,
ich danke für Ihre informative Rückäußerung und die erhellenden Auskünfte zu dem kurzfristigen (wie Sie schreiben) „hoheitlichen Sondereinsatz “ Ihres Beamten in der Bäckerei Stickel in der Friedrichstraße Konstanz.
Zwar scheint dieser, wie mit § 35 Abs. 8 der StVO, auch mit der korrekten Inbetriebsetzung der Warnblinkanlage (§ 16 Abs. 2 StVO) noch nicht hinreichend vertraut.
Anerkennung verdient jedoch, dass es Ihrem Beamten gelungen ist, die Sicherstellung der Brötchentüte, die Gegenstand des (wie Sie mitteilen) kurzfristigen hoheitlichen Sondereinsatzes war, so professionell durchzuführen, dass – außer dem grob verkehrswidrigen und gefährdenden Abstellen des Dienstfahrzeugs KN-2091 im Kreuzungsbereich Friedrichstraße/Rebbergstraße – eine Beunruhigung oder Gefährdung der in der Bäckerei anwesenden Personen vermieden werden konnte. So gelang es Ihrem Beamten, besagte Brötchentüte, welche Gegenstand des (wie Sie schreiben) kurzfristigen hoheitlichen Sondereinsatzes war, ohne Androhung oder Einsatz hoheitlicher Zwangsmittel, insbesondere ohne Einsatz der mitgeführten Schusswaffe, allein dadurch weitgehend unauffällig sicherzustellen, dass – wie das Verkaufspersonal gerne bestätigen wird – diesem unauffällig ein kleiner Geldbetrag im Gegenwert der ausgehändigten Backwaren ausgehändigt wurde.
Für dieses besonnene und professionelle Vorgehen bei dem besagten (wie Sie schreiben) kurzfristigen hoheitlichen Sondereinsatz bitte ich, Ihrem Beamten meine gebührende Anerkennung zu übermitteln, verbunden mit der Hoffnung, dass auch künftige zur kurzfristigen Sicherstellung von Backwerk erforderlich werdenden hoheitliche Sondereinsätze durch Ihre Beamten ähnlich verantwortungsvoll bewältigt werden – womöglich sogar unter Beachtung der Straßenverkehrsordnung, so dass Behinderungen und Gefährdungen vermieden werden können.
Mit freundlichem Gruß
Textgestaltung: red (Bild: Passant)
„Im Übrigen benutzen tatsächlich auffällig viele Fahrzeugführer von 2-Rädern die Gehwege, die wie der Name sagt, eigentlich zum Gehen gedacht sind“
– Ich Dummerchen! Da brauche ich tatsächlich einen Gedankenanstoß, um draufzukommen, was mit den „Fahrradstraßen“ nicht ganz so stimmig ist. Daß ich nicht von mir aus auf die Autos gekommen bin, Teufel aber auch…
So ein Sondereinsatz macht natürlich neugierig. Gerne würde der Leser etwas über die Verwendung, bzw. den Verbleib der Brötchen erfahren, die im Rahmen eines Sondereinsatzes, sogar unter Vernachlässigung geltenden Rechts der StVO, erworben wurden. Offensichtlich wurde auf das der Dringlichkeit im Prinzip geschuldete Verwendung des Blaulichtes bewusst verzichtet, dass die Öffentlichkeit unnötig aufgeschreckt hätte. Zu schnell hätte ein Überfall in der Bäckerei in den Medien die Runde gemacht – oder der Einsatz wäre enttarnt worden. Die Besetzung des halben Radwegs war ganz sicher aufgrund der Dringlichkeit des Einsatzes unumgänglich, wohingegen der gemeine Bürger solche Gründe nicht geltend machen kann. Aber das ist ja was anderes. Im Übrigen benutzen tatsächlich auffällig viele Fahrzeugführer von 2-Rädern die Gehwege, die wie der Name sagt, eigentlich zum Gehen gedacht sind, So what.
So geht´s doch auch, ich habe mich köstlich amüsiert und musste endlich mal wieder lauthals lachen. Wer auch immer sich die Mühe gemacht hat, an den Zoll zu schreiben: Hut ab, dass Sie mit grandiosem Humor auf diese Fehler aufmerksam gemacht haben! Da kann ja keiner böse sein, oder doch?
Welcher Grad an Dummheit wird AutofahrerInnen zugestanden? Wer so parkt blockiert jeweils zwei Fahrbahnen statt einer. Dadurch wird nichts besser, wenn man den Verkehrsfluss so einschränkt und die Fahrspur zur Hälfte blockiert ist, bedeutet das jedenfalls nicht „Freie Fahrt für freie (Auto) Bürger. Statt auf einem werden VerkehrsteilnehmerInnen auf zwei Verkehrswegen behindert. Es wäre eigentlich an der Zeit, die Problemlösung solcher Grundsatzfragen in den Bildungsplan, zumindest bei Fahrschulen, aufzunehmen. Es scheint übrigens, dass die Autoren von Schulbüchern das Problem auch nicht verstanden haben und für LehrerInnen das Thema immer noch mathematisch zu anspruchsvoll ist. Eine Nation die ihr Wissen vorwiegend aus dem Fernsehen bezieht, erfährt natürlich täglich wie wenig Rücksichtnahme bei „Polizeikommissaren“ gefragt ist. Da stehen Einsatzwagen ohne besonderen Grund mindestens zur Hälfte auf Gehsteigen. „Ich Polizei, ich darf das“. Auch wenn das nur ein Bild gewordener Ausdruck grenzenloser Dummheit ist.
Hast recht, wird die realität werden mit den Kameras.
…..sieh´s mal realistisch, hätten wir hier in Konstanz genauso flächendeckend Überwachungs-Kameras wie jetzt in Mannheim, wüßten wir sogar was in den Brötchentüten genau drin war, lecker Dünnele, vielleicht, oder Dinkel-Brezel mit Lyoner, wer weiß, also laß mal stecken….
Hallo zusammen, ist das so wichtig aus einer Fliege einen Elefanten zu machen. Seit doch dankbar, dass noch jemand beim Zoll oder der Polizei arbeitet & evl. nach 12 Stunden Schicht ein Kaffee holt. Habt Ihr nichts anderes zu tun .. ( Die Verwaltung mit.. , mir fehlen die Worte :- ) ). Ich fahre fast jeden Tag vorbei, und da steht immer jemand auch dem Gehweg. Positioniert eure Kamera mal vor den Kindergärten oder Grundschulen oder vor den Behindertenparkplätzen im Kaufland, Obi, Toom…
Lese gerne Seemoz, Gruß Thomas
Trauriger Hintergrund, köstlicher Text!
Wunderschön!
Notwendig hartnäckiges Nachfassen mit Augenmaß.
So kann die Zukunft hoffentlich mit einem gegenseitigen Lächeln verbessert werden.
„Hoheitlicher Sondereinsatz beim Bäcker“…wußte garnicht, daß das neue grün-schwarze Polizeigesetz jetzt schon praktiziert wird.
@O. Pugliese: Holy shit, das klingt ja wie ausgedacht! Lügenpresse! (Bin sicher, es ist genau SO passiert und glaube Ihnen selbstredend. Menschen sind manchmal so.)
Und der Briefwechsel Sondereinsatz Brötchentüte ist wirklich lustig. Danke.
Mein schönstes Erlebnis vor der Bäckerei …
Autofahrerin stellt ihr Auto auf dem Fahrradstreifen ab und steigt aus.
Radfahrer hält an: Nimm‘ Deine Scheißkiste da weg!
Autofahrerin. Nö. Sie fahren ja auch dauernd mit dem Rad auf dem Gehweg.
Radfahrer: Tu ich nicht.
Autofahrerin: Wie wollen Sie das denn beweisen?
Radfahrer: ???
Autofahrerin: Wer Behauptungen aufstellt, die er nicht beweisen kann, ist ein Lügner. Und für eine dumme Lügnersau fahre ich mein Auto nicht weg. (Geht ungerührt in die Bäckerei.)