Sorgt die Securitas in Kreuzlingen wirklich für Sicherheit?

Amnesty International schlägt Alarm: Im Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen, erste Anlaufstelle für Asylbewerber in der Schweiz, sollen Securitas-Sheriffs wiederholt körperliche und psychische Gewalt gegen Asylsuchende angewendet haben. Nicht der erste Vorwurf dieser Art, doch das Bundesamt für Migration beschwichtigt und die Securitas AG gibt sich unbeeindruckt.

«Eine Erfolgsgeschichte», heißt es auf der Homepage der Securitas AG. Die Bewachungsfirma, 1907 gegründet, preist sich als größtes und erfolgreichstes Sicherheitsdienstleistungsunternehmen der Schweiz. Den Namen entlehnte die Firma der römischen Göttin der Sicherheit. Ausgestattet mit Palmzweig, Lanze, Füllhorn und Stab sollte die Gottheit den RömerInnen Schutz bieten. Heute steckt Securitas in einer blauen Uniform und trägt eine Taschenlampe anstelle des Füllhorns, ein Selbstverteidigungsspray anstelle der Lanze und ein Funkgerät statt des Palmzweiges. Der Auftrag ist derselbe: für Sicherheit sorgen.

So auch in den vier Empfangs- und Verfahrenszentren (EVZ) der Schweiz, die vom Bundesamt für Migration (BfM) mit Sitz in Bern betrieben werden. Asylsuchende müssen sich nach Ankunft in der Schweiz bei einem dieser Zentren melden. Hier werden die ersten Abklärungen im Asylverfahren vorgenommen.

Jüngst schrieb das «St. Galler Tagblatt», Amnesty International (AI) habe gegen die Sicherheitsfirma massive Vorwürfe erhoben. Im EVZ Kreuzlingen hätten Securitas-Angestellte psychische wie auch physische Übergriffe auf Asylsuchende verübt. AsylbewerberInnen sowie MitarbeiterInnen der von den Hilfswerken Heks und Caritas betriebenen Rechtsberatungsstelle hätten sich bereits im Juni vergangenen Jahres bei der Menschenrechtsorganisation gemeldet. «Ende 2010 und Anfang dieses Jahres eskalierte die Situation», sagt Denise Graf, Flüchtlingskoordinatorin bei AI. «Asylsuchende meldeten vermehrt rassistische und körperliche Angriffe von Sicherheitsangestellten. Die Informationen waren sehr glaubwürdig, sie deckten sich mit Aussagen von Rechtsberaterinnen und Rechtsberatern und weiteren Personen. Es gab auch Verletzte, wie ärztliche Atteste beweisen.»

Wie liefen die Untersuchungen ab?

Amnesty schrieb dem BfM Mitte Januar einen Brief und legte die Vorwürfe gegenüber der Securitas offen. Das BfM reagierte sofort und leitete eine Untersuchung ein. «Wir begrüßen dies grundsätzlich. Doch leider waren die Ermittlungen bisher weder unabhängig noch umfassend», so Graf. Ein Anruf bei der Securitas bestätigt das: «Die Securitas hat bezüglich der Vorwürfe zusammen mit ihrem Auftraggeber, dem BfM, Abklärungen getroffen», sagt Securitas-Kommunikationsleiter Urs Stadler. «Die Anschuldigungen haben sich nicht bestätigt.» – «Es konnten keine eindeutigen Gewaltexzesse eruiert werden», schreibt auch das BfM. Wie die Untersuchung genau vor sich ging, wollen weder Securitas noch BfM sagen.

Und was geschah mit den in Verdacht geratenen Angestellten? Das BfM beschloss nach eigenen Angaben, zwei Mitarbeiter der Securitas aus dem Kreuzlinger EVZ abzuziehen. Die Sicherheitsfirma traf keine weiteren Maßnahmen. Securitas-Sprecher Stadler: «Wir haben niemanden entlassen, und es kam auch zu keinen internen Disziplinierungen.» Amnesty International hat bisher keine Anzeige erhoben. «Solche Verfahren dauern oft Jahre und sind für die Flüchtlinge zermürbend», begründet Denise Graf den Entscheid.

Eine gute Nachricht aus dem BfM: Amnesty International wird ab sofort Zugang zu allen Empfangs- und Verfahrenszentren der Schweiz gewährt. Auch arbeitet das BfM zusammen mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe an einem Ausbildungsmodul, welches das Sicherheitspersonal in solchen Einrichtungen besser auf ihre Aufgabe vorbereiten soll. Denise Graf von AI begrüßt dies: «Die Arbeit in diesen Zentren ist enorm anspruchsvoll, und viele machen ihren Job auch gut, obwohl die Umstände tatsächlich nicht einfach sind.» AsylbewerberInnen müssen bis zu drei Monate in den Zentren leben und auf die Entscheidung warten, ob auf ihrem Asylgesuch stattgegeben wird. Viele erhalten einen negativen Bescheid. «All dies und die oft traumatischen Erlebnisse der Flüchtlinge sorgen für eine spannungsgeladene Stimmung. Da braucht es gut ausgebildete Leute, die deeskalierend eingreifen können, falls es zu Konfliktsituationen kommt.»

Warum wurden die Verfahren eingestellt?

Offenbar sind Securitas-Angestellte diesen Anforderungen oft nicht gewachsen. Das Sicherheitspersonal des Thurgauer EVZ steht nicht zum ersten Mal in der Kritik. Bereits 2005 wurden gegen mehrere Securitas-Mitarbeiter dieses Zentrums Anschuldigungen erhoben. Ein Somalier erlitt einen mehrfachen Armbruch, als ihm ein Securitas-Angestellter den Arm auf den Rücken drehte – der Sicherheitsangestellte sagte, der Somalier habe ihm zuvor den Ellbogen ins Gesicht gerammt. Ein Flüchtling wurde von einem Securitas-Mitarbeiter?zusammengeschlagen, der Schläger hinterließ seinen Schuhabdruck auf dem Rücken des Opfers.

Sowohl Amnesty International als auch Rechtsanwalt Marcel Bosonnet wissen von mindestens drei weiteren groben körperlichen Übergriffen, die sich im selben Jahr im Kreuzlinger EVZ zugetragen hätten. «Alle Betroffenen hatten sichtbare Verletzungen, alle wurden ärztlich untersucht», erzählt Marcel Bosonnet. Gegen drei Securitas-Angestellte sei damals Klage erhoben worden – ohne Erfolg. Zwei Verfahren wurden wieder eingestellt, beim dritten wurde der Securitas-Mitarbeiter in erster Instanz schuldig, in zweiter Instanz wieder freigesprochen. Der geschädigte Somalier wurde in erster Instanz schuldig gesprochen. Amnesty International hält weiterhin an der Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung fest.

Autorin: Anja Suter/WOZ