„Sozialdemokraten und Grüne können lässig die Linke wählen“

20130917-233323.jpgWahlkampfendspurt auch in Konstanz: Bernd Riexinger, Parteichef der Linken, war am Montag nach Konstanz ins Restaurant „Seerhein“ gekommen, um den hiesigen Bundestagskandidaten Marco Radojevic zu unterstützen. Riexinger, mitverantwortlich für die Stabilisierung seiner Partei, die vor einem Jahr noch schier am Abgrund stand, ist optimistisch, dass die Linke am Sonntag ein gutes Ergebnis einfahren wird. Vor der Veranstaltung stand er der seemoz-Redaktion ausführlich Rede und Antwort

Bei der letzten Bundestagswahl erreichte die Linke in Baden-Württemberg 7,2 Prozent. Der hiesige Kandidat Marco Radojevic, der einen fulminanten Wahlkampf hinlegt, würde dieses Ergebnis gerne toppen. Wie groß sind Ihrer Meinung nach seine Chancen?

Das ist in der Tat ein hohes Ziel. Aber Ehrgeiz im Wahlkampf kann ja nie schaden. In den Umfragen liegen wir derzeit bei 8 bis 10 Prozent. Das bedeutet, im Westen liegen wir bei etwa 5 bis 6 Prozent. Da wird es nicht leicht sein, darüber zu kommen.

Bei den Landtagswahlen in Bayern gab es nur magere 2,1 Prozent. Das war doch eine deutliche Klatsche. Kann man da Rückschlüsse auf die Wahl am Sonntag ziehen?

Das glaube ich nicht, weil wir als Linke schon seit Jahren die Erfahrung machen, dass sich unsere Basis bei Bundestagswahlen besser mobilisieren lässt. Menschen in den sozialen Brennpunkten verbinden ihr Schicksal eher mit den Bundestagswahlen als mit Landtagswahlen. Bei Bundestagswahlen bekommen wir immer zwei bis drei Prozent mehr. Selbst in Bayern können wir am Sonntag zwischen 4 und 5 Prozent landen. Gerade dort zeigt sich, dass wir, was den Parteiaufbau und die Reichweite angeht, landespolitisch noch nicht genügend verankert sind.

Sonderlich optimistisch klingt das nicht gerade. Sie zweifeln offensichtlich, dass die Linke in Baden-Württemberg mehr als bisher sechs Vertreter in den Bundestag schickt?

Über solche Prognosen sollte man vor Wahlen am besten gar nicht reden. Wir haben den Ehrgeiz, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Wenn wir es hinkriegen, dass zum dritten Mal hintereinander die Linke gut im Bundestag vertreten ist, dann haben wir es geschafft, langfristig eine Partei links von der SPD zu etablieren und das wäre schon eine historische Leistung an sich.

Wir haben während des Wahlkampfs festgestellt, dass es für die Linke hier vor Ort und vor allem für den Kandidaten Marco Radojevic erstaunlich viel Zuspruch gibt …

Das hört man fast überall. Die Stimmung ist gut und die Linke wird ernst genommen. Die Leute sind uns gegenüber offener und weniger aggressiv. In der Bevölkerung gibt es eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber linker Politik. Wir haben einen positiven Trend, da wir die Partei wieder konsolidieren konnten. In Baden-Württemberg haben wir auch einige Vorteile, denn es gibt eine gewisse Ernüchterung über die Resultate der Grün-Roten Landesregierung. Insbesondere bei Stuttgart 21. Den bauen jetzt die Grünen und nun wollen sie auch noch 11 600 Lehrerstellen abbauen – das hätte sich nicht mal die CDU getraut. Bei den Fragen Bürgerbegehren oder Volksdemokratie und auch in vielen anderen Bereichen passiert nichts. Es könnte also schon sein, dass Baden-Württemberg ein Beispiel liefert, was passiert, wenn man SPD und Grüne alleine machen lässt.

Werden Ihrer Meinung nach die letzten Tage vor der Wahl noch richtig heftig, vielleicht auch schmutzig?

Mag sein, aber uns wird das nicht tangieren. Natürlich kämpft die FDP mit allen Mitteln ums Überleben. Die SPD macht auf Optimismus und die Grünen wollen ihren negativen Trend stoppen. Der entscheidende Punkt für uns ist: Eine Regierung aus SPD und Grünen ist doch längst beerdigt. Die SPD kämpft nur noch darum, für eine große Koalition mit der CDU eine gute Position zu haben. Da können wir ganz gut vermitteln, dass es unter diesen Umständen erst recht eine starke Linke braucht. Links von einer großen Koalition muss es eine linke Opposition geben und insbesondere die Leute, die in der Regel taktisch wählen, können diesmal völlig unbeschwert die Linke wählen. Auch SPD-ler und Grüne können das tun, denn ob die SPD mit ein oder zwei Prozent mehr in eine große Koalition geht, spielt keine Rolle.

Sie glauben also nicht, dass diese große Koalition noch zu verhindern ist?

Sagen wir mal so: Umso stärker die Linke, desto stärker kommt die SPD unter Druck. Rein rechnerisch gibt es eine Mehrheit links von der Mitte. Dann wird die SPD nach der Wahl erklären müssen, warum sie diese Möglichkeit nicht in Politik umsetzt. Das wird für heftige Auseinandersetzungen bei den Sozialdemokraten sorgen, und die sind auch dringend notwendig

Worin bestehen denn die wesentlichen Unterschiede zwischen der Linken und SPD und Grünen?

Zum Beispiel beim Mindestlohn. Es ist ein Unterschied, ob er bei 8,50 Euro oder 10 Euro liegt, wie wir ihn fordern, denn 8,50 Euro bedeutet Altersarmut. Dazu kommt die Frage der Umverteilung. Nie und nimmer werden SPD und Grüne oder die große Koalition den Mut aufbringen, Reichen und Vermögenden in den Geldbeutel zu greifen, denn da käme Sturm auf aus Richtung der wirtschaftlichen und politischen Eliten. Das aber ist für uns Linke eine zentrale Forderung, denn wenn man mehr Bildung haben möchte oder eine bessere öffentliche Daseinsfürsorge, dann muss ganz einfach umverteilt werden.

Dazu kommt: Auch im Syrienkonflikt wurde deutlich, dass die Linke die einzige Partei ist, die von Anfang an gesagt hat, dass es ein Fehler wäre, Soldaten und Bomben nach Syrien zu schicken. Wir waren immer für eine politische Lösung und wurden dafür belächelt. Aber jetzt plötzlich liegt eine politische Lösung auf dem Tisch. Da wird deutlich, dass die Linke nicht nur bei dieser Frage ein Alleinstellungsmerkmal hat.

Oder Rente mit 67. Wir sind ebenfalls die einzigen, die sagen, dass das eine falsche Entscheidung war, denn wir brauchen eine andere Rentenpolitik, und zwar eine, die die Rentenabsenkung zurück nimmt, damit Altersarmut wirksam bekämpft werden kann. Klar treten wir für eine gesellschaftliche Transformation ein, die beim Kapitalismus nicht Halt macht. Will unter anderem heißen: Bankenregulierung und Regulierung der Finanzmärkte, dazu kommen muss ein sozial-ökologischer Umbau, um nur einige wenige Punkte zu nennen.

Stichwort Kommunalwahl, die in Baden-Württemberg im Frühjahr 2014 ansteht. Kann man damit rechnen, dass die Linke versucht, ihre zum Teil schwache Basis in den Kommunen zu stärken?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt, da muss die Linke nicht nur in Baden-Württemberg gehörig zulegen und ihre Basis ausbauen. Wir brauchen vor Ort Köpfe, mit denen sich die Leute identifizieren können, die bekannt sind, von denen die Wähler sagen, die vertreten unsere Interessen. Das ist dann auch das Fundament, um in Landesparlamente einzuziehen. Wenn man da aus eigener Kraft reinkommen will, braucht es einen kommunalpolitischen Unterbau.

Da sind wir schon beim Thema Finanzierung der Kommunen. FDP-Brüderle hat kürzlich vorgeschlagen, die Gewerbesteuer abzuschaffen, also die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen überhaupt. Wie steht die Linke dazu?

Wir verfolgen einen gegenteiligen Kurs und wollen die kommunalen Einnahmen stärken und auch die Basis für die Gewerbesteuer verbessern. Aktuell zahlen ja nur etwa 30 Prozent der Gewerbetreibenden Gewerbesteuer und wir wollen sie konjunkturabhängiger gestalten. Wenn man die öffentliche Daseinsfürsorge ausbauen will – Kindertagesstätten, Gesundheitsversorgung, Altenpflege, ÖPNV und so weiter – muss man die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen in den Vordergrund stellen. Erstens müssen wir dafür unbedingt die Vermögenssteuer einführen, denn diese Einnahmen gehen dann an die Länder, die sie wiederum an die Kommunen weitergeben können. Zweitens: Der Finanzausgleich zwischen Ländern und Kommunen muss verbessert werden. Dafür hat die Linke das am meisten ausgereifte Programm.

Thema Wohnungsnot, ein Problem, das auch in Konstanz besteht. Nur noch wenige können die horrenden Mieten bezahlen. Was tun?

Grüne und SPD haben in Baden-Württemberg sogar über 20 000 landeseigene Wohnungen an eine Heuschrecke verkauft. Mieten und Wohnen spielt schon jetzt bei unserem aktuellen Wahlkampf eine Rolle und wird auch bei der Kommunalwahl ein wichtiger Punkt sein. Nur, die Kommunalpolitik kann das Dilemma nicht alleine lösen. Voraussetzung ist eine Wiederaufnahme des sozialen Wohnungsbaus, damit preisgünstige Wohnungen nicht nur für Familien, sondern auch für Studenten geschaffen werden. Und die Mietpreise müssen gebremst werden. Es kann nicht sein, dass nur durch Wohnungswechsel die Mieten um bis zu 40 Prozent steigen (wie in Konstanz – Anm.d.Red), ohne dass an der Wohnung irgendwas gemacht wird. Das ist unfassbar und da besteht dringender Handlungsbedarf.

Das Interview mit Bernd Riexinger führten Ryk Fechner, HP Koch und Holger Reile.