Spaßgesellschaft und (Kneipen)Sperrstunde
Mit Leidenschaft wurde im Konstanzer Gemeinderat mal wieder um eine Sperrzeitverkürzung gerungen, insbesondere das Junge Forum, unterstützt vom Konstanzer Uni-Asta, erwies sich als vehementer Vorkämpfer verlängerter Kneipenöffnungszeiten. Die Meinungen gingen quer durch die Lager, die Linke Liste etwa sprach von einer „ausufernden Spaßgesellschaft“
Es ist immer wieder ernüchternd, welche Themen die Menschen wirklich leidenschaftlich bewegen: die Bäume im Tägermoos sehr, die Abschiebung ganzer Familien wenig, die Kneipenschlusszeiten ziemlich, Hungertod und Verdursten in weiten Teilen der Erde nicht. Der Firnis der Zivilisation und Mitmenschlichkeit, hinter dem wir uns im Alltag verbergen, scheint viel dünner, als wir gemeinhin zuzugeben bereit sind.
Die Lage
Schon im Vorfeld lösen Debatten über die Verkürzung der Sperrzeiten, wie die Verlängerung der Kneipenöffnungszeiten im Verwaltungsdeutschen heißt, in deutschen Kommunen ähnlich intensive Debatten aus wie die Abschaffung des Reinheitsgebotes: Die Fronten verlaufen dabei gemeinhin zwischen lärmgestressten Anwohnern auf der einen und Kneipenbesuchern und gelegentlich auch Wirten auf der anderen Seite.
Die Regelung des Landes Baden-Württemberg erlaubt von Sonntag bis Donnerstag eine Sperrzeit um 3.00 Uhr und am Freitag und Samstag um 5.00 Uhr. Die Stadt Konstanz schöpft diesen Rahmen derzeit nicht voll aus und hat eine Abstufung vorgenommen: Im rechtsrheinischen Areal gibt es längere Öffnungszeiten und dazu Sondergenehmigungen unter anderem für Diskotheken und Schnellimbisse bis 5.00 Uhr. Im linksrheinischen Gebiet geht man restriktiver vor: Im unbewohnten Hafen ist an allen Tagen um 3.00 Uhr Schluss, in den anderen Gebieten der Altstadt geht die Sause unter der Woche bis 1.00 Uhr und an den Wochenenden bis 2.00 bzw. 3.00 Uhr, mal abgesehen von einigen Sondergenehmigungen.
Die Feierbiester
In diesem Fall kam der Vorstoß zur Sperrzeitverkürzung vom JFK, für das Matthias Schäfer argumentierte, in anderen baden-württembergischen Uni-Städten gebe es längere Öffnungszeiten und man möge doch in Konstanz einfach komplett, auch für die Altstadt, die Regelung des Landes übernehmen. Dann würde sich der Lärm entzerren, weil die Menschen nicht mehr geschlossen zu einer bestimmten Zeit nach Hause gingen, sondern nach und nach, man spare zudem an Bürokratie und so schlimm sei das alles nicht, denn auch die feierlustige Studentenschaft benötige ihren Schlaf. Man könne das doch zumindest mal für ein Jahr versuchen und dann weiter schauen. Charlotte Dreßen (FGL) hieb in dieselbe Kerbe: Auch bei der letzten Verlängerung der Öffnungszeiten habe es zuerst großes Gejammer gegeben, und dann sei alles halb so schlimm geworden; Konflikte bei verlängerten Öffnungszeiten seien nur dort zu erwarten, wo es auch heute schon Ärger gebe.
Die Spaßbremsen
Auf der anderen Seite beklagte Markus Nabholz (CDU) die allein schon durch den wachsenden Einkaufsverkehr ständig sinkende Lebensqualität vor allem der Niederburg. Er sieht die Lärmquelle vor allem bei Rauchern und wollte das Lärmproblem nicht auf Studenten verengt sehen, die sich zumeist ausgedehnte Sausen wegen des frühen Studienbeginns und der hohen Preise in den Kneipen gar nicht leisten könnten (Murren in der Wirteschaft, „von wegen hohe Preise? – der hat bei mir ab sofort Lokalverbot, aber der trinkt eh nix“ meinte ein Zuhörer).
Hanna Binder (SPD) schloss sich ihm in einer ihrer letzten Reden an und erinnerte daran, dass es sich bei den Nachtschwärmern nur um eine Minderheit handele, während die Mehrheit der zumeist arbeitenden Wohnbevölkerung ihren Nachtschlaf brauche. Was das JFK als Entzerrung preise, sei in Wirklichkeit eher Dauerlärm, und je länger es nachts gehe, desto größer würden, so die Lebenserfahrene, der Alkoholpegel und damit die Neigung zum Lärmen und zur Sachbeschädigung.
Jürgen Faden meinte für die Freien Wähler, man habe schließlich nicht umsonst in Heidelberg und Tübingen die Öffnungszeiten wieder verkürzt und forderte differenziertere Sperrzeiten: Auch am Hafen solle unter der Woche bereits um 1.00 Uhr Schluss sein, da die Gäste von dort aus ja durch die Stadt nach Hause zögen, dafür könne man in den drei Sommermonaten die linksrheinischen Gärten gern eine Stunde länger, nämlich bis um 0.00 Uhr, öffnen.
Holger Reile (LLK) schließlich nannte das Entzerrungsargument des „älter gewordenen“ JFK und des Asta „heiße Luft“ und betonte als zusätzlichen Aspekt die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die längere Nachtarbeit eine erhebliche Belastung darstelle, weshalb zu einer Anhörung zum Thema unbedingt auch die Gewerkschaft geladen werden müsse.
Die Einigung
Für die Altstadtbewohner hieße die beantragte Verkürzung der Sperrzeiten, dass die Kneipen in ihrer Nachbarschaft pro Woche 15 Stunden länger geöffnet wären, und so etwas will wohlüberlegt sein. Also kam am Ende denn doch noch einige Einigung zustande: Die Verwaltung soll die Vorschläge umfassend prüfen und ihre Ergebnisse im Haupt- und Finanzausschuss vortragen.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: O. Pugliese
@ Helmut Dietrich:
„… und auf dem Blätzleplatz ein Gammler sein Leben ließ, …“
August 1970: Der Mord an Martin Katschker
Ja, Ja, die gute alte Zeit, als die Nutten noch in der Laube standen, wo bei der Schlägerei in der Steinernen Kugel ein Polizist durch die Scheibe auf die Strasse flog und der jüngere Buchholz in der Möve (heute Pan ) mit der 500 BMW eine Lokalrunde drehte und auf dem Blätzleplatz ein Gammler sein Leben ließ, der KBW im Münsterhof die Generallinie verteidigte und die Halleluja Ramblers die musikalische Avantgarde waren— alles perdu
Nur die Spiesser sind die gleichen geblieben.
Ja, das wäre schön, die paar noch vorhandenen „echten Konschdanzer“, inzwischen wahre Raritäten, um ein Feuerle, ein paar Quotenstudis und Quotenzuegreiste, ein paar Kreuzlinger Nachbarn und in der Saison, aber nur da, noch ausgewählte Touris – ein freundschaftliches Miteinander, fast wie damals in den 80ern, als die kleine, aber feine provinzielle Konschdanzer Welt noch in Ordnung und das Städtle im Gleichgewicht war. Als sich hier „quer durch´s Beet“ die meisten sauwohl gefühlt und sogar gemeinsam(!!) gefeiert haben, als das Miteinander noch gezählt hat. Als „lebendige Stadt“ nichts mit Menschenmassen, Verkehrschaos und Hektik zu tun hatte. Aber das kann ein „Ausserirdischer“ nicht wissen, so sei ihm verziehen. Heute braucht´s eine (teure)auswärtige Beratungsfirma, um für unsere Stadt ein „Profil“ zu erstellen – bisher haben die offenbar noch keines gefunden.
Wenn man als „Außerirdischer“ diese und ähnliche Debatten (auch nur am Rande) verfolgt, bekommt man schon den Eindruck, dass die „echten“ Konstanzer sich am liebsten wieder um ein Lagerfeuer vor ihrer Höhle versammeln würden: Schweizer raus, Studenten raus, die gesamte Uni-Gemeinde raus, Touristen raus, Zugezogene raus. Und schon würden uns „viele Verbrechen und Schicksale (…) erspart bleiben.“ Dumm nur, dass dann die Zweit- und Drittimmobilie leer steht. Dumm auch, dass die Arbeitnehmer, die Herr Reile (vor Arbeit!) schützen möchte, dann gar keine Arbeit mehr hätten.
@David Hellwig: Dieses Thema gegen Kritik an der Abschiebepolitik auszuspielen ist in der Tat eine ganz untere Schublade. Passiert halt, wenn einem die Argumente ausgehen.
@ Frieda :Genau so ist es. 2 Stunden später hätten die allerdings dann 1 Promille mehr im Blute. ich persönlich trete für eine Sperrstunde um 22 Uhr ein. Viele Verbrechen und Schicksale würden uns erspart bleiben.
Wie Sie, Herr Hellwig, schreiben, sind Sie kein Konstanzer und vielleicht auch noch nicht so lange hier. Denn sonst würden Sie niemals schreiben: „Ich habe großes Vertrauen in die gewählten Mitglieder des Gemeinderats…“
Aber, wie aktuell zu sehen ist: man soll die Hoffnung nie aufgeben !
@David Hellwig: Wieso sollte eine spätere Sperrstunde irgend etwas „entzerren“? Diejenigen, die heute um 1 Uhr die Kneipe gesammelt verlassen, würden sie dann einfach um 3 Uhr gesammelt verlassen. Sie würden sich dann um 3 voneinander verabschieden und schwatzend heimwärts ziehen statt – wie heute – zwei Stunden früher. Gut, vielleicht würden ein paar davon nicht erst um 3 gehen, sondern fünf von ihnen um 1:30 Uhr, sieben um 2, etc. – also mehrere, wenn auch kleinere alkoholisierte Verabschiedungen von 1 bis 3. Und das sollte das Nachtruhe der Anwohner weniger stören, als eine , grössere, die vermutlich um 1:20 Uhr vorbei ist?
Das Entzerrungsargument ist in den Augen des Herrn Reile also „heiße Luft“?
Als jemand, der in einem Haus zwischen zwei Irish Pubs ein Zimmer im Erdgeschoss mit Fenster zur Straße bewohnt, finde ich diese Aussage außerordentlich befremdlich. Klar: insbesondere in den Sommermonaten verursachen insbesondere die Raucher*innen einen dauerhaften Geräuschpegel während der Öffnungszeiten der Pubs. Aber: damit muss ich klarkommen (und es fällt auch nicht allzu schwer, da sich die meisten Gäste hier meinem Empfinden nach sehr rücksichtsvoll den Anwohner*innen gegenüber verhalten). Die beiden Pubs waren hier, bevor ich nach Konstanz zog, mir war also voll bewusst, dass ich den Preis der geringeren Ruhe für eine Wohnung in Altstadtnähe aufzubringen habe. Wer dies erst nach Wohnungsbezug feststellt, ist kaum ernst zu nehmen. Was mich allerdings Nachts aufwachen lässt, sind die pünktlich um 01:00 Uhr kollektiv aus den Kneipen rausgeworfenen Gruppen alkoholisierter Gäste, die, mit dem plötzlichen Ende ihres Abends nicht allzu zufrieden, die Gelegenheit nutzen, sich ausgiebig vor meinem Fenster voneinander zu verabschieden. Dies zu benennen und als Lösungsvorschlag eine Entzerrung durch verlängerte Sperrzeiten zu bringen, ist keine „heiße Luft“, sondern konstruktive Kommunalpolitik.
Einen Hinweis noch an den Autor dieses Artikels: dieses Thema gegen die Kritik an der Abschiebepolitik auszuspielen ist ganz unterstes Niveau. Ich habe großes Vertrauen in die gewählten Mitglieder des Gemeinderats, sich mit beiden Themen angemessen auseinandersetzen zu können.