Das Stadtradeln 2022 hat viele Sieger
Das Stadtradeln 2022 ist in unserer Region abgeschlossen, und die GewinnerInnen stehen fest. Annähernd eine Million Kilometer kamen dabei im Landkreis Konstanz zusammen, eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Da drängt sich der Vergleich zwischen ausgewählten Kommunen der Region geradezu auf: Wo wurde am kräftigsten in die Pedale getreten, wo gibt es die radelmüdesten VolksvertreterInnen?
An 21 aufeinanderfolgenden Tagen zwischen dem 1. Mai und 30. September konnten Kommunen bundesweit auf ihrem Gebiet das Stadtradeln veranstalten. Ziel ist es, als registrierter Einzelmensch oder Gruppe in diesem Zeitraum möglichst viele Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren. Sinn und Zweck der vom Netzwerk „Klima-Bündnis [[https://www.klimabuendnis.org/home.html]] der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder | Alianza del Clima e.V.“ ins Leben gerufenen Veranstaltung soll es sein, Emissionen einzusparen und das Verkehrsmittel Fahrrad populärer zu machen. Darum wird nicht nur die Leistung der „normalen“ Teilnehmer gemessen, sondern in einer eigenen Wertung auch die der KommunalpolitikerInnen, die ja schließlich für die Verkehrswende vor Ort sorgen soll(t)en.
145 Tonnen Kohlendioxid?
Insgesamt wurden 2022 beim Stadtradeln im gesamten Landkreis 145 Tonnen Kohlendioxid eingespart, wenn man annimmt, dieselbe Strecke wäre mit dem Auto zurückgelegt worden. Das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung, denn tatsächlich dürften sich die AutofahrerInnen auch weiterhin hinter das Steuer geklemmt haben, während sich für das Stadtradeln vor allem passionierte RadfahrerInnen meldeten. Auch für eine dauerhafte Verhaltensänderung dürfte eher eine brauchbare Radinfrastruktur mit komfortablen, sicheren Radwegen sowie radlerInnenfreundlichen Ampelschaltungen sorgen als noch eine weitere PR-Maßnahme. Insofern muss man sich fragen, ob derartige – zweifellos gut gemeinte – Veranstaltungen nicht sogar dafür sorgen, dass an der Infrastruktur noch weniger gearbeitet wird, weil die Verwaltung ja auf jährlich steigende TeilnehmerInnenzahlen verweisen kann. Mit Argusaugen muss also beobachtet werden, ob ein solcher Wettbewerb nicht von der Propaganda aus den Rathäusern als Radwegbau-Ersatzhandlung missbraucht wird. Denn sowie es darum geht, den Autos flächendeckend Verkehrsraum zugunsten der Fahrräder wegzunehmen, verstummt das Klimageschrei aus Rathäusern und Kommunalparlamenten so urplötzlich wie das Gackern im Hühnerhof, wenn der Habicht überraschend vorbeischaut.
Es könnte ja so schön sein
„In deutschen Großstädten führen 40-50% der Autofahrten über Strecken von weniger als fünf Kilometer Länge. Entfernungen, die auch gut mit dem Fahrrad zu bewältigen sind. Insgesamt könnten Schätzungen zufolge rund 30% der PKW-Fahrten in Ballungsgebieten durch Radverkehr ersetzt werden (Umweltbundesamt 2021)“, schreibt das „Klima-Bündnis“ zu seiner Aktion, die 2022 zum 15. Mal stattfand.
Wie schlugen sich die Kommunen im Landkreis Konstanz dabei? Während sonst oft die Gesamtzahl der in einer Kommune absolvierten Kilometer als Maßstab für den Erfolg gilt, wollten wir es genauer wissen. Deshalb brachten wir unseren Taschenrechner zum Qualmen und haben aus den Rohdaten zusätzlich die Leistung pro EinwohnerIn und pro teilnehmender Person errechnet.
Stadtradeln 2022
Name | Einw. | Geradelte km | km/ Einw. |
Teilnehmende | km/ Teiln. |
Teilnehmende ParlamentarierInnen |
Landkreis Konstanz | 288.097 | 941.840 | 3,27 | 4.269 | 221 | 80/489 (16%) |
Aach | 2.304 | 16.888 | 7,33 | 66 | 276 | 5/10 (50%) |
Allensbach | 7.204 | 60.358 | 8,38 | 254 | 238 | 6/20 (30%) |
Bodman-Ludwigsh. | 4.742 | 18.720 | 3,95 | 67 | 279 | 1/14 (7%) |
Eigeltingen | 3.896 | 4.780 | 1,23 | 18 | 266 | 3/13 (23%) |
Engen | 11.101 | 21.158 | 1,91 | 127 | 167 | 1/19 (5%) |
Gaienhofen | 3.362 | 11.591 | 3,48 | 44 | 263 | 2/14 (14%) |
Gailingen | 2.887 | 11.189 | 3,88 | 30 | 373 | 0/12 (0%) |
Gottmadingen | 10.750 | 25.656 | 2,39 | 175 | 147 | 0/23 (0%) |
Hilzingen | 8.912 | 56.190 | 6,30 | 215 | 261 | 4/22 (18%) |
Konstanz | 84.736 | 256.476 | 3,03 | 1.337 | 192 | 13/40 (33%) |
Moos | 3.390 | 19.278 | 5,69 | 91 | 212 | 4/15 (27%) |
Mühlhausen-Ehingen | 3.938 | 21.373 | 5,43 | 81 | 264 | 4/14 (29%) |
Öhningen | 3.632 | 3.869 | 1,07 | 21 | 184 | 2/14 (14%) |
Orsingen-Nenzingen | 3.540 | 10.313 | 2,91 | 52 | 198 | 3/14 (21%) |
Radolfzell | 31.582 | 56.354 | 1,78 | 268 | 210 | 1/27 (4%) |
Reichenau | 5.250 | 13.572 | 2,59 | 60 | 226 | 5/14 (36%) |
Rielasingen-Worblingen | 11.995 | 15.920 | 1,38 | 55 | 289 | 1/19 (5%) |
Singen | 48.587 | 146.188 | 3,01 | 580 | 252 | 12/32 (38%) |
Steißlingen | 4.964 | 32.588 | 6,56 | 88 | 370 | 1/15 (7%) |
Stockach | 17.118 | 58.165 | 3,40 | 263 | 221 | 2/29 (7%) |
Tengen | 4.696 | 11.215 | 2,39 | 23 | 488 | 2/23 (9%) |
Volkertshausen | 3.215 | 9.513 | 2,96 | 36 | 264 | 2/12 (17%) |
Diese Übersicht können Sie hier auch als (hoffentlich) besser lesbares PDF öffnen. Quelle: Eigene Berechnungen; Daten aus Wikipedia und von https://www.stadtradeln.de/landkreis-konstanz. |
Allensbach hat die Nase vorn
Die absoluten Kilometerwerte sagen aufgrund der unterschiedlichen Größen der Kommunen wenig aus. Die Strecke pro TeilnehmerIn und pro EinwohnerIn sagt da wahrscheinlich schon mehr über die Fahrradgeneigtheit einzelner Gemeinden aus. Allerdings lassen sich natürlich wichtige Faktoren wie innerörtliche Entfernungen und vor allem die Qualität der Radinfrastruktur sowie die Motivation der Radelnden (BerufspendlerInnen, SportlerInnen etc.) nicht erfassen. Einsamer Spitzenreiter hinsichtlich der Kilometer pro Einwohner ist jedenfalls Allensbach (8,38 km/Einw.), gefolgt von Aach, Steißlingen und Hilzingen.
In Tengen hingegen gab es die wackersten TeilnehmerInnen: 488 Kilometer pro Nase bedeuten einen Schnitt von 23 Kilometern pro Tag und Sattel. Dagegen scheint es in Gottmadingen und Engen eher gemütliche StadtradlerInnen zu geben, jedenfalls liegt dort die Kilometerleitung pro TeilnehmerIn am deutlichsten unter dem Schnitt des Landkreises.
Das selbsternannte „Fahrradparadies“ Konstanz hingegen erweist sich in dieser Aufstellung als höchst durchschnittlich. 192 Kilometer pro TeilnehmerIn (9 Kilometer pro Nase und Tag) bzw. 3,03 Kilometer pro EinwohnerIn sind Mittelmaß oder weniger.
OB ist wieder einmal 1. Sieger
In Gailingen und Gottmadingen ignorierten bzw. boykottierten die ParlamentarierInnen das Stadtradeln geschlossen, aus welchen Gründen auch immer. Einsamer Spitzenreiter in dieser Kategorie ist hingegen Aach, wo sich die Hälfte der EntscheiderInnen anmeldete. Auch in Singen, Reichenau, Konstanz und Allensbach traten die Rätinnen und Räte kräftig in die Pedale. In Konstanz schlug der Erstchargierte sogar den Rest seiner Schar, wie die städtische Beweihräucherungs- und Pressestelle ausdrücklich verlauten ließ: „Als das meist radelnde Mitglied des Gemeinderates setzte sich Oberbürgermeister Uli Burchardt durch.“
Text, Rechnerei & Bild: O. Pugliese
Unsere Tabelle mit den Daten für den Landkreis Konstanz finden Sie hier.
Nun ja, mit dem Pedelec kann man schon mal an die (Rathaus-)Spitze katapultiert werden. Analog sagen die Schwaben ja zu den Maultaschen auch Herrgottsbscheißerle insbesondere in der Fastenzeit, wenn das Teigmäntelchen das doch so verlockende Fleisch im Inneren der Täschle so schön verdeckt. Und wir hatten uns wirklich vorgenommen, zu verzichten.
Elektrisierend wirkt die Botschaft angesichts mangelnder Flächengerechtigkeit und weiter vorherrschender Dominanz des MIV nicht. Und das, obwohl laut Konstanzer Verwaltung das wichtigste Verkehrsmittel im Umweltverbund das Fahrrad ist. Ist es das?
Die Unterscheidung zwischen elektrisch und nicht elektrisch gefahrenen Kilometern ist jedenfalls eine Sache, die beim Stadtradeln de facto nicht erfasst wird. Wer radelt mit dem guten alten Drahtesel, wer mit einem (S-)Pedelec? Ergo ist die CO2 Rechnung hier nicht valide, die Aussagekraft relativ. Und wer kann sich schon vorstellen, Hand auf’s Herz, was 145 Tonnen eingespartes CO2 für die Rettung des Klimas effektiv bedeutet. Hier müssten alltägliche, greifbare und illustrative Beispiele zur Verdeutlichung des positiven Effektes gemacht werden.
Grundsätzlich bleibt das Stadtradeln jedoch eine positive, aber lediglich PR-Maßnahme, so wie mir sonnsch s‘ganze Johr au sotte, aber auch nicht mehr und nicht weniger. Ob es liebgewordene Gewohnheiten und Bequemlichkeiten aufzubrechen in der Lage ist, ist wissenschaftlich und faktisch aktuell zweifelhaft.
Für eine echte Verkehrswende ist eine soziale und kulturelle Transformation notwendig, so jedenfalls konstatiert Soziologe Harald Welzer.
Was tun? Besser arbeiten wir alle miteinander im konstruktiven Sinne weiter, zuversichtlich gestimmt!
Zum Beispiel radeln wir auch dann, wenn nicht gerade Stadtradeln ist. Und auch im Winter, wenn es schneit. Das ist doch was. Auf geht’s Konstanz! Für eine lebenswertere Stadt! Für ein Gemeinwohl, das seinen Namen auch verdient! Für DIE Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder! Wir können das!