Stefan Frommherz: Immer da, immer in Eile, immer fordernd

Vor einer Woche, am 11. Juli, ist – wie kurz vermeldet – Stefan Frommherz gestorben. Seither fehlt in Konstanz der rastlose Kämpfer für eine bessere Welt. Wie sehr, das haben einige seiner Mitstreiter:innen der letzten Jahre aufgeschrieben.

Mit idealistischem Ungestüm

Unser Genosse Stefan Frommherz ist tot. Ein schlicht unverständlicher Satz. Stefan war immer da, immer am Machen, immer in Eile, immer fordernd: Und jetzt ist er weg. Von einem Tag auf den anderen …

Wir, die LINKE im Kreis Konstanz, haben mit ihm einen ebenso streitlustigen wie engagierten, ebenso umtriebigen wie fahrigen Teil unserer selbst verloren, der nicht ersetzt werden kann. Es ist aber nicht nur unser Verlust, der Schwund reicht weiter und geht tiefer: Er war Teil dieser Stadt, ihrer Geschichte und Gegenwart, die er mitprägte, zu unzähligen Gelegenheiten, an verschiedensten Orten und mit unterschiedlichsten Menschen und Gruppierungen. Viele dieser Geschichten und Erlebnisse werden von uns und anderen erzählt werden: Stefans Leben kann nur ein unübersichtliches Patchwork vieler verschiedener Begegnungen, Erzählungen und Erlebnisse sein, das seinen überbordenden Aktivismus vermutlich auch nicht einfangen kann, aber zumindest ein Bild dieses ruhelosen Mannes vermittelt.

Möglichst viele einbinden

Wir kannten Stefan vor allem aus seinem Engagement in und für die LINKE. Dabei war das Verhältnis von Stefan und der Partei nie ein Einfaches: Er tat sich mit der institutionalisierten Form, ihren Reglements und Bürokratien schwer; und die Partei forderte er stark mit seinem beständigen Willen, etwas zu tun und möglichst viele Gruppen und Initiativen in Aktionen einzubinden. So konnte der Plan eines simplen Sommerfestes in Stefans Geist recht schnell die Form eines dreitägigen Festivals annehmen, das als Treffen der gesellschaftlichen Linken ihrer überregionalen Vernetzung dienen sollte …

Vieles scheiterte, aber vieles konnte er auch mit uns zusammen verwirklichen. Nur als Beispiel vermochte es Stefan, in wenigen Tagen eine Veranstaltung zur Parlamentswahl in Frankreich aus dem Boden zu stampfen, die nicht nur das Festival der Solidarität ergänzte, sondern auch die Deutsch-Französische Vereinigung als Partner gewinnen konnte. Genau in solchen Projekten linker Basisarbeit vor Ort ging Stefan auf.

Aber auch nach den Rückschlägen und Barrieren, die das parteipolitische Engagement für einen Jeden und für eine Jede bereithalten, war er immer der erste, der den Verdruss abschüttelte und der mit seinem idealistischen Impetus tausend neue Pläne schmiedete. Immer wollte er ein wenig mehr, als er und wir tatsächlich vermochten. Stets war er es, der unsere Pläne in die Stadt und den Kreis tragen wollte, der AnsprechpartnerInnen kannte, Kontakte herstellte. Er verknüpfte verschiedene Seiten, Zeiten und Orte der Stadt, und blieb letztlich zutiefst verbunden mit der autonomen, linken Szene in ihren multiplen Facetten. Zu Hause war er, auch wenn er mittlerweile an einem anderen Ort in der Stadt lebte, in der Chérisy, deren Jubiläum er in seinen letzten Tagen noch mitfeiern konnte. Nur hier habe ich einen Stefan erlebt, den ein seliges Lächeln und eine entspannte Gelassenheit umgab.

Ecken und Kanten

Als Mensch war Stefan sicher kompliziert, jeder, der ihn näher kennen lernen wollte, brauchte ein gehöriges Maß an Durchhaltevermögen. Wir alle, die wir ihn auf Sitzungen erlebten, wissen um seinen einmaligen Stil, der manche vor den Kopf stoßen konnte. Zugleich  – und um diese Erfahrung bin ich, sind wir, glücklich – war hinter dieser Rolle ein anderer Stefan, ein warmherziger und humoriger, ein verständiger und sensibler, ein selbstkritischer und reflektierter Mensch, den wir schätzen lernten. Sein Schutzschirm machte es leider vielen unmöglich, diese Seiten von Stefan kennenzulernen. Seine Ecken und Kanten verlor Stefan nie, er konnte einen immer noch mühelos zur Weißglut treiben: Weil wir ihn und er uns nach einem langen Prozess des gemeinsamen Wachsens zu nehmen wussten, blieben wir selbst im Dissens verbunden. Der Streit war gleichwohl nie das Ende des Abends: Ein gemeinsames Bier glättete alle Wogen. Das letzte Weizen müssen wir nun ohne ihn trinken.

Mit ihm haben wir einen Genossen verloren, einen Mitstreiter und – wie ich, wie wir hoffen sagen zu können – einen Freund. Die Rast, der er Zeit seines Lebens floh, hat ihn nun eingeholt.

So long, Stefan.

Tobias sowie Anke, Daniel, Kathleen und Sibylle

 

Er hatte Ideen wie kaum ein zweiter

Noch am Samstag hatten wir uns auf dem Chérisy-Fest getroffen. Stefan wirkte gelöst, aufgeräumt und zufrieden. Grund genug hatte er, denn die gut besuchte Fahrraddemo gegen Wohnraumleerstand wenige Stunden zuvor hatte er fast im Alleingang organisiert. Und so wippten wir in lauer Sommernacht vor der Bühne beim wunderbaren Konzert der Truppe „Zwielichtorchester“. „Die engagieren wir für unser nächstes Sommerfest“, flüsterte er mir zu. Keine 48 Stunden später wurde Stefan tot in seinem Büro gefunden. Das sind die Momente, die einen fassungslos machen, denn damit hatte niemand gerechnet.

Ich konnte ihn gut leiden, diesen undogmatisch-anarchistischen Bewegungslinken, klugen Kopf und exzellenten Vereins-Schachspieler, der er in seiner knapp bemessenen Freizeit war. Zugegeben: Er konnte einem gehörig auf den Wecker gehen (auch mir), vor allem dann, wenn es galt, eine Tagesordnung  halbwegs zügig und ohne allzu große Abschweifungen abzuarbeiten. Die knappe Analyse war nicht Stefans Sache und nicht selten kapitulierten Anwesende ermattet und erschöpft vor seiner oft ausufernden Debattierlust. Da rauschte es bisweilen stürmisch und der streitbare Geist war manchmal nur zu stoppen, wenn man ihm grob und fast schon unter Androhung körperlicher Gewalt das Wort entzog.

Doch davon ließ sich Stefan nicht sonderlich beeindrucken. Das Schöne an ihm war aber auch, und das ist gerade in politischen Zirkeln äußerst selten: Die Auseinandersetzungen mochten noch so massiv gewesen sein, Stefan war absolut nicht nachtragend. Einen Tag später ließ sich der abgerissene Gesprächsfaden bei einem gepflegten Bier im Kulturladen, der sein Wohnzimmer war, problemlos wieder aufnehmen und weiter spinnen. Er hatte Ideen wie kaum ein zweiter und wer sich viel Zeit für den politischen Aktivisten der alten Schule nahm, durfte ebenso viel erfahren.

In den letzten Monaten tauchte Stefan regelmäßig bei den Sitzungen der Linken Liste auf, zeigte sich erstaunlich gut vorbereitet und informiert. Er wolle sich nun kommunalpolitisch mehr engagieren, erklärte er zu unserer Freude. Ebenso brachte er sich bei seemoz ein und arbeitete im Vorstand mit. Sein plötzlicher Tod hinterlässt eine große Leere. Stefan, dieser Charakterkopf, wird vielen fehlen.

H. Reile

 

Unermüdlich, unbeirrbar im antikapitalistischen Alltag

Vor knapp vierzig Jahren war Stefan Frommherz, der damals zwanzigjährige Anarchist aus dem Hotzenwald, in Konstanz aufgeschlagen – zuerst auf dem Gießberg, wo er bald im damals linksradikalen AStA vertreten war (wie seinerzeit die Student:innenvertretung hieß). Bald darauf machte er sich in der Stadt bekannt, durch die er als Kneipenverkäufer des linken Stadtmagazins Nebelhorn zog und die er als Aktivist des besetzten Fischmarkts aufmischen half. In direkten Kontakt kamen wir jedoch etwas später – als er neben anderen die Infokneipe in der Chérisy betrieb. Immer wieder kam er an: Willst du nicht einen Vortrag halten? Auch nach der zweiten oder dritten Veranstaltung hakte er nach – mit großer Beharrlichkeit, mit ständig neuen Vorschlägen, mit dem Charme, den er manchmal hervorzaubern konnte. Und schon wieder gab es einen Abend.

Doch darauf und die vielen anderen Aspekte seines ruhelosen, kämpferischen politischen Lebens soll hier nicht eingegangen werden (sie werden oben und in den vielen Kommentaren zur Todesnachricht auf seemoz gewürdigt). Sondern auf etwas, das viele von dem syndikalistisch orientierten Genossen nicht erwartet hätten: sein Engagement in der Gewerkschaft. In einem der normalen, eher konservativen DGB-Verbände hätte er es wahrscheinlich nicht lange ausgehalten, aber er war ja während seiner Zeit als Jobber in der Zeitungsauslieferung der Südkurier-Druckerei der linken IG Druck + Papier beigetreten, aus der bald danach die ebenfalls linke IG Medien wurde (heute Teil des Konglomerats ver.di).

Rauswurf beim Südkurier

Immer wieder hat er davon erzählt, dass er sich an Streiks beim Südkurier beteiligte. Und dafür entlassen wurde, ohne dass die Gewerkschaft die studentische Hilfskraft ohne tarifvertraglichen Schutz hätte schützen können. Trotzdem blieb er dabei, sich selber hat er ja nie in den Mittelpunkt gestellt. Es ging ihm immer um die Sache – in diesem Fall dem Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung.

Und so war er sofort dabei, als Mitglieder des basisorientierten Konstanzer ver.di-Ortsvereins Medien + Kunst die Idee entwickelten, das 150-jährige Jubiläum des 1870 gegründeten Ortsvereins zu feiern. Monatelang diskutierte die kleine Gruppe über den Sinn und Zweck des Vorhabens, über die Aktionen und Events, und Stefan war mit zahllosen Vorschlägen dabei. Und nicht nur das: Er schlug eine Kooperation mit erfahrenen Stadtführer:innen vor, knüpfte Kontakte zum Kula (für die geplanten Konzerte) und zum Zebra-Kollektiv (für die Filmreihe), entwarf den Titel der Jubiläumsveranstaltungen („Druck.Machen“), las innerhalb eines Tages (und wohl auch einer Nacht) das gesamte Endmanuskript des gleichnamigen Buchs zur Geschichte der Konstanzer durch, plädierte für Veranstaltungen auch in Kreuzlingen (die aber organisatorisch nicht gestemmt werden konnten), hatte Hunderte von Ideen.

Der lange Atem

Natürlich nervte er auch, wenn ihn wieder die verbale Diarrhö befiel, weil ihm noch was ganz Wichtiges eingefallen war, weil er manche Vorhaben nicht ganz gelungen fand, weil die anderen seiner Meinung nach nicht schnell genug reagierten. In solchen Situationen konnte er schlecht zuhören. Andererseits nahm er (auch harsche) Kritik höchst selten persönlich. Das gemeinsame Ziel war ihm wichtiger.

Und so blieb er dabei, mit großer Verlässlichkeit, besonders wenn es um die Umsetzung der Projekte ging. Ohne seine unermüdliche Hilfsbereitschaft, seine Kontakte zur Stadtverwaltung, sein Fachwissen (wann darf man Plakate in der Öffentlichkeit aufhängen, wann müssen sie wieder runter?), ohne seine Posteraktionen, seine Anwesenheit bei der Ausstellungsbetreuung (niemand von der Gruppe hat auch nur annähernd so viele Schichten geschoben wie er) und ohne sein erkenntnisförderndes Beharren darauf, dass beispielsweise bei der Debatte über die Zukunft der Gewerkschaften auch ein Vertreter der anarchosyndikalischen Freien Arbeiter- und Arbeiterinnen Union (FAU) aufs Podium kommt, wäre das vielfältige Projekt so nie zustande gekommen.

Bündnispolitik

Seine materiellen Interessen hat er – trotz seiner überaus prekären Einkommenssituation als Transportkleinstunternehmen – nie in den Vordergrund geschoben. Er wollte nur Luft haben für die zwei Dinge, die ihn wirklich umtrieben: für den Kampf für eine ausbeutungsfreie, antikapitalistische, solidarische und (zuletzt auch) ökologische und klimaneutrale Gesellschaft. Und fürs Schachspielen. Dafür war er unermüdlich unterwegs – genauso wie bis vor knapp einem Jahr sein Genosse und Vorbild Jürgen Geiger, über den er auf seemoz einen berührenden Nachruf verfasste, der immer noch sehr lesenswert ist, weil er auch viel über Stefan erzählt.

Jürgens Tod hat den revolutionären Sozialisten Frommherz in den letzten Monaten auf bemerkenswerte Weise aktiviert. Er beschloss, in der Linken aktiver zu werden (wo er Handlungslücken und Bewegungsbedarf sah), ging Bündnisse mit Mieterbund, SPD, den Grünen und anderen ein, die eigentlich gar nicht auf seiner (politischen) Linie liegen, organisierte Aktionen (wie gegen den Wohnraumnotstand) und Veranstaltungen, besuchte regelmäßig die Plenen des Klimacamps (wo er Debatten und Aktionen anregte) und ließ sich vor einem Jahr in den Vorstand des politischen Bildungsvereins seemoz e.v. wählen.

Viele offene Fragen

Sein überraschendes, viel zu frühes Ableben wirft viele Fragen auf. Schon vor der letzten Wohnraum-Raddemo am vorletzten Samstag verwies er immer wieder auf die nächste Sitzung des Wohnraum-Bündnisses (am 21. Juli um 19 Uhr beim Kulturkiosk an der Petershausener Schranke). Wer bleibt da dran?

Die Gesundheitsvorsorge im Landkreis lag ihm angesichts der geplanten Umstrukturierung des regionalen Kliniksystems ebenso am Herzen. Wer sorgt dafür, dass die Debatte vor allem mit den Beschäftigten weitergeht? Die von ihm mitorganisierte Veranstaltung am vergangenen Mittwoch in Radolfzell musste ohne ihn stattfinden. Sicher wäre er am Donnerstag auch zur Diskussion im Klimacamp aufgetaucht, die er vorgeschlagen hatte und bei der es um die Frage ging, wie antikapitalistisch der Klimaaktivismus sein müsse.

Dann wollte er sich für die nachwuchsarme seemoz-Redaktion an der Uni und der HTWG umhören, ob vielleicht dort jemand Interesse an einem journalistischen Praktikum hätte. Und schließlich hatten wir uns fest vorgenommen, über das 150-Jahr-Jubiläum der Konstanzer Mediengewerkschaft zu reden, Fazit zu ziehen und über neue gewerkschaftliche Initiativen nachzudenken. Ohne ihn wird das schwierig.

Vor allem aber: Wer geht jetzt all das an, was Stefan sich vorgenommen hatte?

Pit Wuhrer
verdi-Ortsverein Medien + Kunst Konstanz; seemoz e.v.


Fotos: Ingrid Augenstein, Pit Wuhrer (Bilder von der Rad-Demo gegen Wohnraumleerstand am 9. Juli 2022)