Stolpersteine für die Thälmanns
Am 20. Februar werden in Singen sieben weitere Stolpersteine verlegt – darunter drei für Ernst, Rosa und Irma Thälmann. Denn was nur wenige wussten: Die Frau des einst mächtigen KPD-Vorsitzenden, der bereits 1933 verhaftet und 1944 in Buchenwald ermordet wurde, lebte lange Zeit mit ihrer Tochter in der Rielasingerstraße in Singen, beide wurden später in Ravensbrück inhaftiert, beide konnten aber befreit werden.
Obwohl Ernst Thälmann nie zum Besuch nach Singen kommen konnte, verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig, Initiator und bis heute Macher der europaweiten Stolperstein-Initiative, einen Stein auch für ihn in der Rielasingerstarße. „Denn“, so Demnig, „Ernst gehört zu seiner Familie und deshalb gebührt ihm ein Stolperstein am letzten Wohnort der Familie“. Rosa Thälmann übrigens ging mit ihrer Tochter Irma, verheiratete Vester, nach der Befreiung in die DDR, wurde dort Mitglied der Volkskammer und verstarb 1962 in Berlin, Irma, auch sie SED-Funktionärin, starb im Jahre 2000, 81jährig.
Der Programm-Ablauf
Die Verlegung am 20. Februar beginnt ansonsten um 13 Uhr in der Görresstr. 4 mit einem Stolperstein für Julius Bader und endet gegen 14.00 Uhr in der Rielasinger Str. 180 mit der Verlegung von Steinen für Ernst und Rosa Thälmann und Irma Vester.
13 Uhr: Offizielle Übergabe der Stolpersteine an die Stadt Singen und der Görrestrasse 4
13.30 Uhr: Stolpersteinverlegung Am Posthalterwälde 55
13.45 Uhr: Scheffelstrasse 15
14.00 Uhr: Rielasingerstrasse 180 für Ernst, Rosa und Irma Thälmann
Gegen 15 Uhr: Imbiss im Siedlerheim
Eventuell abends: Abendessen gegen 18.30 im La Pasta (Sternen) Schwarzwaldstrasse in Singen mit den Gästen. Die Enkeltochter der Thälmanns, Vertreter der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte sowie der Gedenkstätte Ziegenhals kommen nach Singen.
Anlässlich der Verlegung zeigt die Singener Stolperstein-Initiative am 21. Februar ab 19.30 Uhr im Ratssaal den ausgezeichneten Film „Die Frauen von Ravensbrück“ mit anschließendem Gespräch mit der Regisseurin und Autorin Loretta Walz.
MM/hpk
Auszug aus dem Buch von Käte Weick: Widerstand und Verfolgung in Singen und Umgebung,
Herausgeber: VVN Baden-Württemberg ca. 1982.
Rosa und Irma Thälmann
In den Kriegsjahren fanden zwei Frauen in Singen Unterschlupf, die seit den ersten Tagen der Naziherrschaft unter der Kontrolle leben mussten:
Es waren Rosa und Irma Thälmann, Frau und Tochter des seit dem 3. März 1933 verhafteten Vorsitzenden der KPD, Ernst Thälmann. Rosa Thälmann teilte mit ihrer damals 14jährigen Tochter das Los vieler Arbeiterfrauen, die, ohne einen Pfennig Unterstützung zu erhalten, auf die Solidarität ihrer Genossen angewiesen waren. Die Familie des eingekerkerten Kommunistenführers hatte zusätzlich zu wirtschaftlicher Not und ständigen Schikanen noch eine besondere Aufgabe zu bewerkstelligen: Nur über sie, die, wenn auch nur durch zähes Ringen, Besuchererlaubnis erhielten, konnte der Kontakt zwischen Ernst Thälmann und seiner Partei aufrechterhalten werden.
Rosa Thälmann berichtete: „Und doch gelang es in den langen Jahren der Gefängnishaft den Faschisten niemals, die Kontakte Ernst Thälmanns zur Partei zu unterbinden. Bei meinen Gefängnisbesuchen schmuggelte ich nach und nach kleinere schriftliche Mitteilungen, die man gut verstecken konnte, aus dem Gefängnis. Das geschah sogar im Beisein des überwachenden Oberregierungsrates. Briefe Teddys kamen auf diese Weise an die richtige Adresse, ohne dass der Oberregierungsrat etwas merkte.“
Auch die Briefe, die Ernst Thälmann an Frau und Tochter schreiben durfte, enthielten versteckte Mitteilungen an die Partei und wurden von ihr ausgewertet. In Abständen von vier bis sechs Wochen kamen Kuriere der Auslandsleitung der KPD zu Rosa Thälmann, bereiteten die Besuche vor und brachten Informationen. Auch die Tochter wurde in diese Arbeit miteinbezogen. Bei einem Besuch im Gerichtsgefängnis Hannover konnte sie Fotos machen, eines davon wurde gerettet: Es ist die letzte Aufnahme von Ernst Thälmann.
Die Familie Thälmann wohnte damals in Hamburg. Nach den schweren Bombenangriffen zogen Rosa und Irma Thälmann nach Singen. Es waren familiäre, freundschaftliche und politische Gründe, die für die Stadt am Hohentwiel sprachen. Bereits in der Weimarer Republik gab es eine enge Freundschaft zwischen der Familie Ernst Thälmanns und der Familie Max Maddalenas, der mit Ernst Thälmann im ZK der KPD aufs engste zusammenarbeitete und zeitweilig in Hamburg tätig war.
Die Kinder verbrachten ihre Schulferien gemeinsam in Singen, im Haus von Frau Vester, der Schwägerin von Max Maddalena. Die Kontakte zwischen den Frauen wurden noch enger, als ihre Männer verhaftet worden waren. Irma heiratete ihren Jugendfreund Heinrich Vester, den Neffen Maddalenas.
Auf diese Weise wurde das Haus der Familie Vester zum Unterschlupf für Rosa und Irma Thälmann. Und beide fanden in Singen auch Hilfe: Lebensmittel wurden ihnen zugesteckt, um ihre schwierige Lage wenigstens etwas zu erleichtern und um ihnen zu ermöglichen, auch Ernst Thälmann hin und wieder ein Lebensmittelpaket zukommen zu lassen. In dieser Zeit, etwa von 1942 bis April 1944, unterstützte auch eine illegale antifaschistische Organisation, die „Speyer Kameradschaft“, Frau und Tochter Ernst Thälmanns. Dies war um so notwendiger, als 1942 auch Heinrich Vester verhaftet wurde und wegen „Wehrkraftzersetzung“ ins Gefängnis kam.
An die „Speyer Kameradschaft“ erinnert sich Georg Blohorn aus Erzählungen seines Vaters Georg Blohorn sen.: „Die Solidaritätsaktion ging von Speyer aus. Mein Vater stammte aus Speyer und war dort bis 1923 ehrenamtlicher Gewerkschaftssekretär. Aus jener Zeit stammt die Freundschaft zwischen meinem Vater und Jakob Schultheiss. Als man in Speyer erfuhr, dass Rosa und Irmgard Thälmann in Singen wohnten, nahm Jakob Schultheiss Verbindung zu meinem Vater auf. Er wurde der Vertrauensmann der Solidarität zu Thälmanns, und er war es auch, der jeweils das Geld zu Rosa Thälmann brachte. Es war im Frühjahr 1944, da wollte Jakob Schultheiss das Geld persönlich übergeben, wahrscheinlich um auch einmal ein Gespräch mit Rosa zu führen. Mein Vater hat davon abgeraten, weil er eine Gefahr darin sah, wenn ein fremder Mann in das Haus kommen würde, da immer beobachtet wurde- ganz besonders in der Zeit um Thälmanns Geburtstag, der am 16. April war. Schultheiss hat sich aber nicht abraten lassen und ist zu Rosa Thälmann gefahren. Er wurde verhaftet. Durch seine Verhaftung kam das Ganze ins Rollen, und auch mein Vater wurde am 17. April 1944 als fast 60jähriger verhaftet, er kam in das Gefängnis Berlin-Moabit, wo er zusammen mit Georg Schultheiss und noch anderen inhaftiert war.
Am 16. April 1944, dem Geburtstag Ernst Thälmanns, wurde auch Irma Thälmann in Singen verhaftet. Sie erinnert sich: „Vor dem 16. April 1944 hatten Mutter und ich Vorbereitungen für Vaters Geburtstag getroffen. Wir hatten Kuchen gebacken und dazu die Lebensmittel verwendet, die wir von Freunden und Genossen für Vater bekommen hatten. Am 16. April fuhr Mutter mit dem ersten Zug nach Bautzen. Kaum hatte sie die Wohnung verlassen, war großer Krach vor der Tür. Ich erschrak zunächst, wusste aber sofort Bescheid. Im gleichen Moment wurde mit Kolben an die Tür geschlagen. Es ertönte der Ruf: „Aufmachen, Geheime Staatspolizei!“ Zwanzig Mann stürmten in unsere Wohnung, das Haus war umstellt. Die Gestapoleute hausten wie die Räuber, jedes Buch wurde durchblättert und auf die Erde geworfen. Die Wäsche und die Kleider wurde aus den Schränken herausgerissen. Mit ihren Schaftstiefeln traten die Faschisten darauf herum. Nach kurzer Zeit sah man nur noch ein wüstes Durcheinander. Ich habe keine Miene verzogen, sondern mich ruhig verhalten und so getan, als würde mich das Ganze nicht kümmern. In meinem Inneren zitterte ich, denn alles, was ich in den letzten Jahren von Vater aus der Haft geschmuggelt hatte, war hier: die Anklageschrift, die Briefe und einige Fotos, die ich in der Zelle von ihm gemacht hatte.
Ich hatte mich daraufgesetzt. Nach vier Stunden erklärten die Gestapobeamten: „Sie sind verhaftet! Kommen Sie mit!“ Da stand ich das erste Mal von meinem Platz auf, und alle zwanzig Mann folgten mir. Nun waren die Briefe des Vaters gerettet! Ich wusste, dass meine Mutter nach ihrer Rückkehr sofort das Material in Sicherheit bringen würde. So ist es auch geschehen.
Rosa Thälmann wurde am 8. Mai 1944 verhaftet. Mutter und Tochter kamen beide in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Auf dem Transportschein war der Vermerk „Rückkehr unerwünscht“. Beide wurden durch die Solidarität der illegalen Widerstandsorganisation im Lager gerettet. Ernst Thälmann wurde am 18. August 1944 im Konzentrationslager Buchenwald auf Befehl Hitlers ermordet.