Studie an der Uni Konstanz zu nationalistischen Wahlversprechen

Vorwärts 23 Juli 1931 Karikatur

Karikatur aus der SPD-Zeitung „Vorwärts“ zum Volksentscheid, das unter falschen Versprechungen den Faschismus an die Macht bringt.

An der Universität Konstanz hat die Politikwissenschaftlerin Christina Zuber eine Studie zu Wahlkampfstrategien rechter, nationalistischer Parteien veröffentlicht. Anhand eines historischen Präzedenzfalls zeigt sie, dass rechtsnationalistische Parteien nicht nur auf Identitätserzählungen von Volk und Nation setzen. Sie verweben sie zusätzlich mit Sozialforderungen und schüren Ängste vor sozialem Abstieg und Statusverlust.

Der Impetus der Studie ist dabei eindeutig: Entgegen der öffentlichen Debatte, wonach rechtsnationalistische Parteien wie die AfD, die NPD oder ihre Pendants in anderen Ländern sowie deren aller historischen Vorbilder beim Wahlkampf vor allem die Volksidentität ihrer AdressatInnen ansprechen, ist diese volksnationale Identitätspolitik stets auch mit sozialpolitischen Punkten durchmischt. Das war im Kaiserreich so, das hat ʼ33 bis ʼ45 funktioniert und das läuft bei den AfD-Quacksalbereien auch noch.

Die Wahl von 1907 als Präzedenz des rechten Wahlkampfs

Die Professorin im Fachbereich für Innenpolitik und Öffentliche Verwaltung, Christina Zuber, hat nun in Zusammenarbeit mit Philip Howe (Michigan) und Edina Szöcsik (Basel) einen Präzedenzfall untersucht: Im Jahre 1907 sind zum ersten Mal im kaiserlichen Österreich-Ungarn in „einer freien, allgemeinen Männerwahl“ alle Abgeordneten im österreichischen Teil der Monarchie gewählt worden. Diese Wahl wird deswegen von Zuber als historischer Präzedenzfall gewertet, weil hier die Wahlkampfstrategien der einzelnen Parteien „aus dem Nichts“ entwickelt wurden, man also nicht auf Erfahrungen vorheriger Wahlen aufbauen konnte. Vor allem aber konnten die einzelnen Parteien nicht die Strategien der anderen kopieren und bearbeiten. In der Politikwissenschaft gilt diese Wahl deswegen als unverfälschte und unverzerrte Möglichkeit, um zu untersuchen, welchen Niederschlag die einzelnen Wahlprogramme bei ihren potentiellen WählerInnen finden konnten.

Dazu kommt eine außerordentlich gute Quellendokumentation genau dieser Wahl. Das liegt vor allem daran, dass jede noch so kleine Partei in diesem Umfeld ihre eigene Presse hatte, also ihre eigene Parteienzeitung verbreitete. Dazu kommt, dass für die einzelnen Wahlkreise alle Wähler (ja, nur Männer!) genau hinsichtlich Sozialstruktur, Beschäftigung und Status untersucht wurden. So wird heute sehr gut fassbar, wer wo was gewählt hat. Damit können wir heute sehen, welche Wahlversprechen welcher Parteien bei welchem Publikum besonders gut angekommen sind.

Volksidentität, Sozialpolitik und deren Adressaten

Jetzt wird es spannend: 1907 waren vor allem die nationalistischen/rechten Parteien erfolgreich, die massive Identitätspolitik mit sozialpolitischen Forderungen verknüpften. Ausgerechnet die tschechischen Parteien mit den meisten nationalistischen Forderungen hatten auch die meisten sozialpolitischen Angebote an die Wählerschaft adressiert – größtenteils genauso viele wie die Sozialdemokraten, die zur Wahl standen.

Damit kamen sie besonders bei den tschechischen Landarbeitern an, einer Berufsschicht, die im angesichts der fortschreitenden Industrialisierung erheblich von sozialem Abstieg bedroht war. Diese nahmen dabei nicht nur die sozialpolitischen Angebote als solche dankend an, sondern auch die nationalistischen Forderungen à la „Wir müssen euch als Volk beschützen und unser Wohlfahrtsstaat ist nur für euch als unser Volk“. Die Fabrikarbeiter dieser Zeit haben dagegen anders gewählt. Ihr sozialer Status, ihre Arbeitsperspektiven waren weitestgehend gesichert und so hat diese Gruppe vermehrt Parteien gewählt, die nur sozialpolitische Forderungen vertreten und die nationalistischen Wahlkampfinhalte ausgelassen haben.

Wie damals – so heute: Nazis, AfD & Co.

Dieser Präzedenzfall ist freilich keine tiefgreifende Analyse nationalistischer Wahlprogramme. Aber sie zeigt eine interessante Korrelation zwischen nationalistischem Volk-und-Vaterland-Angstschüren und sozialpolitischen Forderungen. Denn diese historische Korrelation sehen wir heute ebenso immer wieder. So schürte die NPD in der Vergangenheit auf Wahlkämpfen Ängste vor kriminellen MigrantInnen, die unseren armen biodeutschen RentnerInnen angeblich den wohlverdienten Ruhestandssold wegnähmen („Geld für die Oma statt für Sinti & Roma“ und derlei).

Statusverlust und sozialen Abstieg des deutschen Volkes prophezeit auch die AfD in jedem Wahlkampf aufs Neue. Wo antideutsche Windräder die teutonische Landschaft verschandeln und den örtlichen Tourismus in den Ruin stürzen, wo der deutsche Diesel von den linksgrünversifften Sozialisten in den Abgrund getrieben wird und so arme arische BerufspendlerInnen allein gelassen werden – ganz zu schweigen von den armen VW-ZeitarbeiterInnen. Immer dann ist die AfD mit einem blauen Wahlplakat und einem blöden Spruch zur Stelle, um Ängste vor irgendwelchen „anderen“ zu schüren und das deutsche Volk wie ein mittelblauer Hermann gegen die bösen Eindringlinge aus dem Süden zu verteidigen.

Das tut sie gerne in Koppelung mit sozialen Forderungen: So hat sich die AfD in der vergangenen Bundestagswahl für einen erheblichen Ausbau des Rentensystems ausgesprochen. Das ist vor allem deswegen auffällig, weil erhebliche Teile der AfD ja einer sehr neoliberalen, turbokapitalistischen Weltanschauung verpflichtet sind, die mit einer sozialpolitischen Ausrichtung ja nicht so ganz zusammenpasst. Und dennoch verkauft sie sich als „Partei des kleinen Mannes“, die die armen kleinen Deutschen gegen die große böse Welt da draußen verteidigen und wieder stark machen muss.

Damit stehen moderne rechte Parteien gerade auf deutschem Grund und Boden in guter Tradition. Noch heute hält sich die Mär von der NSDAP als sozialistische Arbeiterpartei, die das einfache Volk bei der Wahrnehmung ihrer politischen Anrechte als Bewegung „von unten“ unterstützt. Dabei wird allerdings vielfach übersehen, dass die Machtergreifung der NSDAP keine Graswurzelbewegung eines kohärenten Volkswillens darstellt, sondern von bestimmten Eliten und Schlüsselpersonen initiiert und dann von einer breiten Gesamtheit mitgetragen wurde.

Denn Nazis sind niemals SozialistInnen …

Moderne Gesellschaften müssen hier achtgeben. Denn diese sozialpolitischen Forderungen rechter Parteien sind keine Mittel, um gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Sie sind Momente gesellschaftlicher Spaltung und sie sollen die des Sozialstaats würdigen Volksangehörigen vom ausländischen SchmarotzerInnentum separieren. Denn letztere würden die Volksidentität nur zerstören und müssten demnach unbedingt beiseite geschoben werden.

Das ist gefährlich, weil sich gerade Parteien wie die AfD hier einen sozialpolitischen Anstrich geben, der ihnen qua politischer Ausrichtung eigentlich gar nicht innewohnt. Das Eintreten „für den kleinen Mann“ ist nur ein Vehikel zum Stimmenfang – das aber an vielen Stellen dennoch funktioniert und funktioniert hat. Das zeigt dann doch in auffällig klarer Weise einmal die Geschichte als Lehrerin. Und gerade deshalb ist es unabdingbar, dass diese scheinheiligen Forderungen nach volksidentitären Sozialforderungen als das deklassiert werden, was sie sind: rassistische, diskriminierende Hetze.

Die Studie findet sich zusammengefasst auf der Homepage der Uni Konstanz und in ihrer Gänze im Open Access.

MM/Redaktion
Bild: Karikatur aus der SPD-Zeitung „Vorwärts“ zum Volksentscheid, das unter falschen Versprechungen den Faschismus an die Macht bringt. (wikimedia commons, Public domain)