System change, not climate change
Seit Wochen treibt die Sorge um das Klima jeden Freitag viele tausend Jugendliche auf die Straßen. Diesmal war weltweit zum konzertierten Schulstreik aufgerufen worden. Allein in Deutschland folgten über 300.000 Menschen in mehr als 200 Städten dem Appell, knapp 2000 davon in Konstanz. Erstmals fanden auch Aktionen in Radolfzell und Singen statt. Dabei kann sich die SchülerInnenbewegung über stark wachsende Unterstützung freuen.
Zumindest die 1000er Marke hatten die OrganisatorInnen der Konstanzer Fridays-for-Future-Demonstration sich zu knacken vorgenommen. Dass es trotz des regengrauen Wetters fast doppelt so viele wurden wie erhofft, sorgte immerhin für sonnige Stimmung. Mit bunten Transparenten zogen die DemonstrantInnen vom Herosé-Park durch die Altstadt in den Stadtgarten. PassantInnen und EinzelhändlerInnen am Rande der Demonstrationsstrecke honorierten den Einsatz der SchülerInnen mit Applaus und Zuspruch. Eine grenzüberschreitende Demonstration scheitert derzeit allerdings noch an den Feinheiten des Schweizer Versammlungsrechts.
Bescheuerte Verkehrspolitik
Auf der Abschlusskundgebung im Stadtgarten konkretisierten die SchülerInnen noch einmal ihre Forderungen. „Bescheuert“ fand Jannis Krüßmann die schnippische Absage des Bundesverkehrsministers, ein allgemeines Tempolimit von 130 Stundenkilometern sei „gegen jeden Menschenverstand“. Dass Raser nicht weiter rasen dürften, sei nur ein ziemlich geringer Preis für mehr Verkehrssicherheit und zumindest etwas weniger CO2-Emissionen.
Andere kritisierten etwa, dass eine Vielzahl von vermeintlich umweltfreundlichen Maßnahmen eigentlich Etikettenschwindel sein. Durch Produktsiegel, die eine vermeintliche Umweltfreundlichkeit suggerierten, instrumentalisierten Unternehmen beim sogenannten „Greenwashing“ nicht selten das Umweltbewusstsein der KonsumentInnen zur Umsatzsteigerung.
„Ihr tut das richtige!“
Unterstützung bekamen die SchülerInnen auch von Eltern und WissenschaftlerInnen. Die Universität Konstanz stehe hinter den Protesten, versicherte Malte Drescher, Prorektor für Lehre an der Uni Konstanz, den Anwesenden. Gemeinsam mit Oliver Dürr, Professor für Informatik an der HTWG, verlas er eine Erklärung der Scientists for Future, die im Vorfeld von über 23.000 WissenschaftlerInnen unterzeichnet worden war. Die Existenz des Klimawandels und seiner Folgen seien durch wissenschaftliche Erkenntnisse gesichert und die derzeitigen Maßnahmen dagegen nicht ausreichend, heißt es darin. Die Forderung der SchülerInnen nach schnellerem und konsequentem Handeln unterstütze man nachdrücklich.
Motivation sei auch eine lebenswerte Zukunft für die eigenen Kinder, erklärte Drescher und betonte, dass die Unterstützung keineswegs bedeute, dass man die Proteste der SchülerInnen vereinnahmen wolle. „Das ist euer Ding, ihr tut das richtige, das nehmen wir euch nicht!“, versicherten Studierende und Eltern ebenso. Bei dem Versuch soll sich Oberbürgermeister Burchardt Gerüchten zufolge schon einen Zahn ausgebissen haben. PolitikerInnen seien laut OrganisatorInnen am Mikrofon derzeit nicht erwünscht. Verständlich, da es sich bei Ihnen ja um die Adressaten des Protests handelt.
Meinen die das ernst?
Im Vorfeld wurden die SchülerInnenproteste vor allem von PolitikerInnen aus dem bürgerlichen Spektrum belächelt oder, wie zuletzt durch Wirtschaftsminister Altmaier, auf den Unterrichtsausfall reduziert. Vielfach wurde zudem unterstellt, dass es sich beim Unterrichtsausfall um das eigentliche Motiv handle. Ein Eindruck, der am vergangenen Freitag nicht einmal ansatzweise aufkam. Im Gegenteil: Der Schulstreik unterstreicht, wie ernst es den Streikenden mit ihrem Anliegen ist. Um weiterhin Druck für eine Wende in der Klimapolitik zu erzeugen, müsse man im Gespräch bleiben, heißt es aus dem Organisationsteam. Das habe durch das Bestreiken des Unterrichts bisher gut funktioniert.
In der LehrerInnenschaft seien die Reaktionen unterschiedlich ausgefallen, nennenswerte Konflikte habe es in Konstanz aber noch nicht gegeben. Auch, weil es sich hier erst um den zweiten Protest während der Schulzeit handelte. Aufhalten lassen wollen sich die AktivistInnen von eventuellen Sanktionen jedoch keineswegs und stattdessen weiterhin hartnäckig für die Klimawende weiterkämpfen. Bereits jetzt haben die Demonstrationen in Konstanz beeindruckende Ausmaße angenommen.
Erste FFF-Protestaktion in Singen
Immerhin rund 200 SchülerInnen hatten sich am Freitagvormittag auf dem Rathausplatz versammelt. Es war die erste Friday-for-Future-Protestaktion für mehr Klimaschutz in Singen. Schade zwar, dass der Dauerregen so manches Plakat in Kürze aufweichte – der Motivation, dem Engagement und der trotz alledem guten Laune der TeilnehmerInnen tat dies aber keinen Abbruch.
Wie zigzehntausend Jugendliche in vielen anderen Städten skandierten die SchülerInnen vor der Kulisse des Rathauses: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, „Hopp, hopp, hopp für den Kohlestopp“ und machten mit lautstarkem Trillerpfeifen-Konzert ihrer Wut über die Untätigkeit der Erwachsenen, insbesondere der PolitikerInnen, angesichts der immer dramatischer werdenden Auswirkungen des Klimawandels Luft.
Organisiert wurde die Protestaktion von Schülern des Friedrich-Wöhler-Gymnasiums. Der Aufruf zur Demo erfolgte recht spontan über die sozialen Netzwerke und verbreitete sich schnell. Mit ihren Reden und kreativen Plakaten bewiesen die Jugendlichen, dass ihnen durchaus klar ist, dass ihre und die Zukunft der ihnen nachfolgenden Generationen jetzt auf dem Spiel steht. Die Warnungen seitens der Wissenschaft und die Ignoranz seitens der Politik und Wirtschaft wurden von RednerInnen angesprochen – sowohl global als auch lokal. „Ein Systemwandel wird gebraucht, kein Klimawandel“.
Mit Blick auf die bevorstehenden Kommunalwahlen ist auch mehr aktiver Klimaschutz vor Ort eine zentrale Forderung der Jugendlichen – die Umstellung des öffentlichen Personennahverkehrs auf Elektromobilität wurde als ein Beispiel angeführt. Und auch einen Seitenhieb auf die aktuelle Zusammensetzung der kommunalen Parlamente gab es: nur 0,6 Prozent der baden-württembergischen GemeinderätInnen seien unter 25 Jahre, aber 70 Prozent über 45 Jahre alt! Wenn solche aus meist ergrauten Häuptern zusammengesetzten Gremien die Zukunft schon nicht repräsentierten, so sollten sie doch wenigstens so verantwortungsvoll handeln, jungen Menschen diese Zukunft nicht zu zerstören.
Und mit dieser ersten, toll organisierten Klima-Protestaktion ist jetzt auch in Singen ein guter Anfang gemacht worden.
Daniel Schröder (Konstanz; Text und Fotos)/Uta Preimesser (Singen; Text und Foto)