Tanz der Vampire im Konzil
Das Konstanzer Stadtmarketing hatte bei freiem Eintritt zum „Unternehmerfrühstück“ ins Konzil gebeten. Knapp 400 Gäste ließen sich vom geladenen Referenten und „Top-Speaker“ Jörg Löhr erklären, was heutzutage unter einer erfolgreichen Unternehmensführung zu verstehen sei, was man tun müsse, um eine anerkannte Führungspersönlichkeit zu werden und wie man antriebslose und demotivierte Untergebene wieder in die Spur bringen könne.
Ein großer Teil der Konstanzer Verwaltungsspitze war anwesend und man darf vermuten, dass Oberbürgermeister Uli Burchardt, dem der Körperkontakt zu Unternehmern und Wirtschaftsverbänden enorm wichtig ist, die Veranstaltung vorneweg zu einer Art Pflichttermin erhoben hat. Denn wer schlurft schon freiwillig und deutlich sichtbar schlaftrunken um 7.30 Uhr zu einem Massenfrühstück? An den angebotenen Weißwürsten mit Händlmaiersenf und rosarot schimmernden Lachsbrötchen allein kann es nicht gelegen haben. Vielmehr war der überwiegende Teil der BesucherInnen neugierig, welche Botschaften Jörg Löhr, laut Veranstalter „Europas gefragtester Motivationscoach“, mit im Gepäck haben würde. Stadtmarketing-Chef Eric Thiel (Foto) konnte bei Löhrs Begrüßung vor Begeisterung kaum mehr an sich halten: „Wir haben den Besten der Besten geholt“.
Arm hochheben, Nachbarn angucken
Der ehemalige Handballspieler präsentierte sich so, wie es zu erwarten war, allerdings schienen die Ansprüche seiner ZuhörerInnen nicht die allerhöchsten zu sein. Auch ein Mario Barth hätte hier locker gepunktet. So konnte Löhr banale und weitestgehend sinnfreie Erkenntnisse über Unternehmensführung – „menschliche Entscheidungen haben immer was mit Emotionen zu tun“, „Erfolg geht von innen nach außen“, „Sie müssen Ihr Team mitnehmen“ – geschickt garnieren mit lockeren Witzchen, für die ihm das Publikum teils enthusiastisch dankte. Schon nach fünf Minuten hatte Löhr den Saal im Sack und alle folgten brav seinen Anweisungen: Arm hochheben, Nachbarn angucken, mal nach links und mal nach rechts, warum auch immer. Auch einer Aufforderung, Purzelbäume zu schlagen und dazu laut Ohm zu brüllen, wäre wohl eine Mehrheit willig nachgekommen.
Löhrs Gebrauchsanweisungen für erfolgreiche Unternehmensführung basieren auf einem Menschenbild, das man besser nicht mit sich rumschleppt. Motivierte MitarbeiterInnen, für ihn die „Reißer“, seien mit 23 Prozent leider in der absoluten Minderheit. Der Rest bestünde aus „Mitmachern“, „Zaungästen“ oder „schon weg“. Also weg damit? Führungspersönlichkeiten sollten wissen, dass „nur gute Leute zu gebrauchen sind“. Die nicht ausgesprochene Konsequenz aus dem Handbuch der Gnadenlosigkeit kann eigentlich nur heißen: Wer nicht zu „gebrauchen“ ist, den kann man als parasitären Kostenfaktor auch getrost entsorgen.
Schlichtgestalt Beckenbauer
Gut beraten sei laut Löhr auch derjenige, der in der Lage wäre, „limitierende Überzeugungen“ zu wechseln, denn diese seien „Handbremsen“ und hinderlich für ein blühendes Unternehmen. Da passte es, dass der Top Speaker, durchaus folgerichtig, als positives Beispiel für ständige Veränderungen – die deutsche Schlichtgestalt Franz Beckenbauer erwähnte. Ohne ihn, dem „Mann mit Sogwirkung“, gäbe es, so Löhr im Brustton der Überzeugung, keine Allianz-Arena in München und auch die Fußballweltmeisterschaft 2006 hätte ohne Beckenbauer nicht in Deutschland stattgefunden. Nun wäre eigentlich der Zeitpunkt für die restlichen bayrischen Weißwürste gekommen, umgehend vor Scham zu erröten.
Bunsenbrenner im Auge
Einen ganz besonderen Erfolgstipp für Unternehmer und Führungskräfte hatte der Erfolgscoach noch. „In Ihren Augen muss ein Bunsenbrenner leuchten, denn wenn Sie nicht brennen vor Begeisterung und Freude, kann nichts Außergewöhnliches passieren“. Bei derart leuchtenden Augen hilft, glaubt man erfahrenen Neurologen, nur noch ein Psychiater, Vampirismusexperte oder gar ein Exorzist.
Nach gut einer Stunde war der Hokuspokus vorbei und ein strahlender Eric Thiel zog aus dem Vortrag sein ganz persönliches Fazit. Die Stadt Konstanz müsse, um ihre Attraktivität zu erhalten und sogar zu steigern, einfach „noch mehr Einnahmen erwirtschaften“. Sehr zufrieden kündigte er außerdem an, er freue sich schon auf das nächste Unternehmerfrühstück am 18. November, das aber wolle man dann mit etwa 25 Euro pro Kopf „bepreisen“. Klartext: Frühstück nebst gut dotiertem Geschwurbel gibt’s dann nicht mehr für lau. Irgendwie müssen die von städtischer Seite organisierten Anleitungen für eine effiziente Unternehmensgestaltung vor Ort ja finanziert werden.
Thiel stimmt bei seinen bisherigen Aktivitäten in das Hohelied derer ein, die glauben, die Stadt sei das geeignete Spielfeld für ungezügeltes Wachstum und grenzenlose Kommerzialisierung, bei der das Altstadtbild lediglich noch als putzige Kulisse herzuhalten habe. Es ist ja noch nicht allzu lange her, da wurde der Konstanzer Bevölkerung wärmstens empfohlen, ihre Einkäufe bis spätestens Donnerstag zu erledigen und die Stadt dann bis Sonntag den Schnäppchenjägern zu überlassen. So kann man Stadtmarketing auch deuten, vor allem dann, wenn einem die Bedürfnisse der Einheimischen ziemlich schnuppe sind.
Anderntags ließ Südkurier-Mitarbeiterin Aurelia Scherrer, seit Jahren schreibende Allzweckwaffe des Konstanzer Einzelhandels und anderer selbstloser Initiativen, die sich aufopferungsvoll um das Wohl der Bürgerschaft kümmern, in ihrem Text wissen, Bestsellerautor Jörg Löhr habe unter den Anwesenden für einen „Motivationsschub“ gesorgt, denn der „Austausch von Geschäftsleuten unterschiedlichster Branchen“ sei im Konzil „regelrecht zelebriert“ worden. Bei Sätzen wie diesen hätte Frau Scherrer ebenfalls erröten können, aber sie ist ja bekanntermaßen keine Weißwurst.
H. Reile
Was ist das bloß für eine Welt, in der man trotz aller negativen Erfahrungen aus der noch gar nicht so lange zurückliegenden Vergangenheit (Jürgen Höller lässt grüßen!) noch immer auf Wanderprediger – Pardon: „Top-Speaker“ – vom Schlage eines Jörg Löhr abfährt? Auf Leute, deren Botschaften inhaltlich dermaßen „Asbach Uralt“ sind, dass man sich verwundert fragt, woran die Besucher solcher Veranstaltungen – Pardon: „Events“ – sich bislang unternehmerisch orientiert haben, wenn sie zuhauf zu den säkularen Massenspeisungen durch Motivationsgurus und Erfolgsentertainer pilgern. Ich schätze mal, dass da nebst dem Bedürfnis, sich seiner Zugehörigkeit zur lokalen Geschäftselite zu versichern, nicht zuletzt ein gehöriges Maß an Orientierungslosigkeit dahinter steckt. Man könnte sich seinen Kompass zwar auf seriöse Art und Weise justieren lassen (Zur Erinnerung: Wir haben eine Universität mit zahlreichen Fachleuten vor Ort!), aber das wäre wahrscheinlich zu trocken und zu billig. Was ist schon ein Universitätsprofessor gegen einen Top-Speaker!? Was ist schon ein nüchterner Wissenschaftler gegen einen Zampano, der dank (s)eines gesegneten Mundwerks alte Weisheiten derart attraktiv aufzumöbeln imstande ist, dass sie wie die neuesten Forschungsergebnisse aus Harvard daherkommen? Und der nicht zuletzt die allen Blendern eigene Suggestivkraft besitzt, seine Kundschaft in eine Art Schwebezustand zu versetzen. Dergestalt, dass man ob des auf der Bühne abgebrannten rhetorischen Feuerwerks und des zudem schon lange nicht mehr so nett erlebten Smalltalks mit Gleichgesinnten euphorisiert von dannen schwebt, sich für ein paar Stunden wie ein Adler (Höller) fühlt, um nach kurzer Zeit dann doch wieder als Huhn auf dem harten Boden der Orientierungslosigkeit zu landen. Waren das noch Zeiten, als Politiker wie Ludwig Erhard und Wirtschaftsbosse wie ein Max Grundig die Orientierung vorgaben und für eine gesellschaftliche Werteordnung standen, in der es keiner Glitzer-Couches bedurfte, um Unternehmern die Balance zwischen legitimem Gewinnstreben und sozialer Verantwortung beizubringen. Insofern kann man das seit Jürgen Höllers Absturz eigentlich totgesagte Wiederaufleben von Veranstaltungen dieser Art eigentlich nur damit erklären, dass den Ratsuchenden der Übergang von der einst christlich geprägten Unternehmermoral zur humanistisch geprägten Unternehmerethik äußerst schwer zu fallen scheint. Dass für diesen unbedingt notwendigen Wandel jedoch Heilsbringer in Showstar-Manier die falsche Besetzung sind, müsste allerdings jedem klar sein, der zwischen Sein und Schein unterscheiden kann.
Möglicherweise musste ein Konstanzer Betrieb die Stullen fürs Frühstück schmieren. Damit wurde ein Arbeitsplatz gesichert, es wird Gewerbesteuer gezahlt und Konstanz‘ Stadtsäckel ist vor dem Ruin gerettet. Das ist doch allemal ein Gewinn für uns Bürger!
Sinngemäß dieser Tage irgendwo gelesen:
Es gibt immer weniger Leute, die arbeiten, aber immer mehr Leute, die Anderen (für viel Geld) erzählen, wie sie arbeiten sollen.
„Top-Speaker“ Löhr reibt sich die Hände und kassiert.
Ist was Hilfreiches für die Konstanzer dabei rumgekommen?
Wer ein „Ja“ begründen kann, möge sich bitte äußern.