Tanzt Schwaebsch den Gauland-Weidel-Walzer?
Morgen Abend ab 19.30 Uhr präsentieren sich die Bundestagskandidaten im ehrwürdigen Konstanzer Konzil. Zugesagt haben Martin Schmeding (Grüne), Tobias Volz (SPD), Simon Pschorr (Linke), Tassilo Richter (FDP), Andreas Jung (CDU) und Rechtsaußen Walter Schwaebsch (AfD). Letzterer hat sicher nichts dagegen, wenn man ihn gebührend empfängt, denn der ehemalige Fallschirmjäger und Oberstleutnant d. R. giert nach Aufmerksamkeit.
Es ist wohl nicht zu verhindern, dass die AfD in den neuen Bundestag einzieht. Gerade in den letzten Wochen haben vor allem Gauland und Weidel gezeigt, worum es ihnen wirklich geht. Ganz offen üben sie sich im klaren Nazi-Jargon, missliebige Personen sollen „entsorgt“ werden und den deutschen Wehrmachtssoldaten, mitverantwortlich für millionenfachen Völkermord, werden Kränze geflochten. Zu befürchten ist sogar, dass die AfD zur drittstärksten Kraft im Bundestag wird, dann mit mehr Redezeit rechnen kann und den Vorsitz in wichtigen Ausschüssen einnimmt. Möge es anders kommen …
Aufgescheucht durch die neuesten Umfragen haben alle anderen Parteien versichert, „klare Kante“ gegen die braunen Wiedergänger zu zeigen. Man darf gespannt sein, wie sie das machen und wie lange eine gemeinsame Strategie hält. Die Diskussion im Konzil könnte schon mal verdeutlichen, wie es bei den Kandidaten auf dem Podium vor Ort darum bestellt ist. Positionieren sie sich mit klugen Argumenten alle klar und unmißverständlich gegen die neofaschistischen Hetzer oder belassen sie es bei verschämten und schwammigen Andeutungen?
Walter Schwaebsch wird morgen an der Kandidatenkür teilnehmen. Eine schwer verdauliche, aber schlußendlich richtige Entscheidung, die der Südkurier als Veranstalter getroffen hat. Eine Nichtbeachtung der rechten Socke würde dem AfD-Kandidaten einen Märtyrerstatus bescheren, um den er wahrscheinlich dankbar wäre, weil er ihm eher noch WählerInnen zutreiben würde. Das zahlreich erwartete Publikum allerdings hat allerlei Möglichkeiten, dem Rechtsaußen zu zeigen, was man von den menschenverachtenden und rassistischen Parolen hält, für die seine Partei mehr denn je steht und für die er im Wahlkreis Konstanz wirbt. Neben kritischen Fragen könnten das spontane, bunte und friedliche Aktionen sein.
Man stelle sich nur mal vor, das Cafe Mondial, die Initiative 83 und andere trommeln ihre Leute zusammen und in der ersten Reihe im Konzil sitzen mehrere Dutzend Geflüchtete, die hier bei uns Schutz suchen vor Gewalt und Elend in ihren Heimatländern. Eine Reihe dahinter formiert sich die Gesangsabteilung von „Pulse of Europe“ mit dementsprechendem Liedgut, „Tulpen aus Amsterdam“ wäre allerdings unpassend. Dann eher schon der Refrain des wunderbaren Ärzte-Songs „Schrei nach Liebe“. Andere wiederum haben durchaus die Chance, rasch eingeübte Sprechchöre laut werden zu lassen.
Die Kontrollen am Eingang sind sicher streng, also hat es wenig Sinn, mit einem erkennbaren Transparent anzukommen. Kleiner Tipp: Der mit einem pfiffigen Slogan versehene Stoff sollte also dünn sein. Denn wer kann einem schon verbieten, in herbstlicher Zeit einen Schal zu tragen? Zur munteren Beschallung bieten sich Trillerpfeifen an, die der widerständige Antifaschist und aufgeklärte Weltbürger gerne ganz nah am Körper trägt. Geht da was in unserer Stadt, die sich oft als liberal und weltoffen bezeichnet und bereits 2012 die „Konstanzer Erklärung“ verabschiedet hat, die sich „für eine Kultur der Anerkennung und GEGEN Rassismus“ aussprach?
H. Reile
@ Holger Reile: Es ist schon recht zynisch, von einer Notwendigkeit des Zusammenschlusses zu schreiben, wenn man als einziger Konstanzer Journalist in seiner Postille öffentlich absolut unsolidarisch mit dem „Konstanzer Aktionsbündnis gegen die AfD“ und den im Bündnis aktiv arbeitenden Antifaschisten umspringt. Sicherlich kann man einen Diskurs über Methoden führen. Aber doch nicht so! Das Aktionsbündnis mischt sich wie Nicole Niedermüller untenstehend dargelegt hat, seit Wochen und Monaten sehr aktiv den Wahlkampf ein. Wie sah denn der Beitrag des heroischen Antifaschisten Holger Reiles aus die „gesellschaftspolitische Zeitwende“ aufzuhalten? Doch wohl nur in billigen Vorschlägen an andere im Wissen um die absolute Weisheit … oder hab ich was verpasst?
@reile & niedermueller.
Ihr persönliches Engagement in allen Ehren.
Aber – haben sie denn das Gefühl, dass ihre öffentlich ausgetragenen, persönlichen Anfeindungen die Wirksamkeit der gemeinsamen Mission im Kampf gegen die AfD verstärken ?
M.E. erreichen sie mit diesem Diskurs hier gerade das Gegenteil…..
Frau Niedermüller,
Dass Sie jetzt mit einer reichlich vergilbten Feministinnenkarte wedeln, war abzusehen. Es langweilt und trägt nun wirklich nicht dazu bei, innerhalb der antifaschistischen Bewegung auch (selbst)kritisch über den zukünftigen Umgang mit den braunen Wegelagerern inhaltlich und kontrovers zu diskutieren. Man könnte auch sagen: Da hat mal wieder die selbsternannte zuchtmeisternde Kampfdrohne eines dankenswerterweise nur kleinen Teils der hiesigen Antifa die Backen aufgeblasen. Eigentlich schade, denn wir stehen vor einer gesellschaftspolitischen Zeitenwende, die den Zusammenschluß der demokratisch gesinnten Kräfte mit all ihren Unterschieden nötig macht. Aber danach, Frau Niedermüller, scheint Ihnen der Sinn nicht zu stehen.
@Holger Reile:
Uhhh, da erdreistet sich eine Frau und noch dazu eine Antifaschistin deinen Text kritisieren, das muss ganz schön an der altlinken Mackerehre kratzen.
Nur eins noch zur Klarstellung, dann bin ich hier definitiv raus:
5 Tage vor Ende des Bundestagswahlkampf angekleckert zu kommen, um festzustellen, dass man „etwas gegen die AfD“ hätte machen müssen, spricht halt Bände. Vor allem, wenn daneben ein lautes engagiertes Bündnis rund um den See wirbelt, das seit einem Dreivierteljahr in hoher Taktung kreativen und lauten Protest^auf die Strasse bringt.
@niedermüller: Nur soviel: Ich hatte in der Tat vergessen, mir bei Ihnen den antifaschistischen Ritterschlag abzuholen. Ist doch allgemein bekannt: Wahrhafter Antifaschismus ist nur da drin, wo Niedermüller drauf steht.
@barwitzki: Wenn Sie die bisherigen seemoz-Beiträge zur AfD aufmerksam gelesen haben, werden Sie unschwer folgendes feststellen: Wir hatten immer dafür plädiert, argumentativ gegen den braunen Bodensatz vorzugehen – auch wenn es schwer fällt. Sollte es bei zu erwartenden Ausfällen des AfD-Kandidaten zu fantasievollen Missfallenskundgebungen aus dem Publikum kommen, fände ich das durchaus legitim und ist keinesfalls ein Aufruf zu diskussionsverhindernden Störungen. Und eines noch: Das von Ihnen angesprochene „Konstanzer Aktionsbündnis gegen die AfD“ hat alle Veranstalter von diversen Podiumsdiskussionen aufgefordert, den AfD-Vertreter wieder auszuladen. Gut, dass die Veranstalter nicht einknickten, denn das wäre die wohl fatalste Fehlentscheidung gewesen.
Dem Beitrag von Frau Niedermüller kann ich nur vollumfänglich zustimmen. Bei aller Sympathie zu modernen linken Positionen und aller Ablehnung geschichtsvergessener AfD-Sprüche, so kann ich doch nur über den Artikel die Stirn runzeln. Der Protest gegen die AfD ist absolut legitim, berechtigt und hier in der Gegend (die Beispiele wurden oben genannt) zum Glück sehr stark ausgeprägt.
Aber was soll eine Schal-Trillerpreife-Sprechchor-Aktion? Es ist der letzte Abend an dem einige hundert interessierte Bürger*innen den Positionen, Antworten und Aussagen der sechs Kandidaten lauschen können. Mit Hinblick auf die vielen Dinge, die noch nicht besprochen wurden ein sicherlich wichtiger und sehr ernst zu nehmender Anlass – gerade für die Kandidaten links der Mitte, die es bei allen Prozenten und dem Kampf um Platz Drei doch schwer haben im Kreis.
Einerseits vermittelt der Aufruf zu solchen Störungen doch den Eindruck, die fünf Demokraten auf der Bühne würden nicht mit dem Kandidaten der AfD zurecht kommen. Diverse andere Veranstaltungen haben gezeigt, dass sich die Demokraten sehr gut, schlagfertig und inhaltlich gekonnt gegenüber dem Vertreter des rechten Randes profilieren konnten. Keiner der fünf anderen Kandidaten braucht die Hilfe von Trillerpfeifen oder Sprechchören um den Kandidaten der AfD rhetorisch und inhaltlich auszumanövrieren.
Zum anderen erscheint mir die Außenwirkung einer solchen Aktion nicht abgewägt. Protest in allen Ehren und Rechten – aber ich glaube der ein oder andere Konstanzer wünscht sich eine differenziertere Auseinandersetzung mit den Themen auf einem öffentlichen Podium (!) als Lärm und politisch motivierte Kleidungsstücke. Wird es den beteiligten Gruppen und Personen nicht zum Nachteil gereicht? „Linker Protest stört demokratische Diskussion“ – so oder so ähnlich würde (zurecht) geurteilt. Man kann es auch noch kritischer auslegen: Pschorr, Volz und Schmeding brauchen ihren Claqueure im Publikum um sich darstellen zu können. Etwas schädlicheres kann ich mir aktuell kaum vorstellen.
Zuletzt: Seemoz wird nicht nur von der hellen Seite der Macht gelesen. Und ein Aufruf zur Störung der Podiums von „linksgrünversiffter“ Seite wird sicherlich auch in Foren, Gruppen und den bekannten WhatsApp-Chats der dunklen Seite der Macht rezipiert. Wer könnte es der Jungen Alternative und Konsortien jetzt noch vorwerfen, selber Trillerpfeifen und Schals mitzubringen und jeden Kommentar eines anderen Kandidaten zu übertönen? Am Ende wird man (zurecht) sagen können, der linke Haufen habe zuerst zu diesen Taten aufgerufen.
Ach Gottchen, ein Artikel, der ernsthaft am Vorabend vor der letzten grossen Wahlkampfveranstaltung in Konstanz anregt, man möge doch jetzt einmal gegen die AfD und ihren Direktkandidaten Walter A. Schwaebsch protestieren.
Ich weiss wirklich nicht, ob ich lachen oder weinen oder mir mit der flachen Hand auf die Stirn hauen soll. Zum Glück gibt es in Konstanz und am See einen Haufen Leute, denen nicht erst 5 Tage vor der Bundestagswahl einfällt, dass wir ein Problem mit einem massiven gesellschaftlichem Rechtsrutsch haben, der sich verstärken wird, wenn die AfD in den Bundestag einzieht.
Seit Frühling 2017 ist das Konstanzer Aktionsbündnis gegen die AfD aktiv, dem Gruppen und Initiativen wie das Cafe Mondial, die VVN, dem ASta der Uni und das Forum Azilon angehören.
Während der Autor von „dünnen Schals“ faselt, die in seiner Phantasiewelt heute Abend zum Einsatz kommen könnten, haben wir im Juni eine Aktionskonferenz gegen die AfD im Treffpunkt Peterhausen organisiert, einen Poetry Slam gegen die AfD und rechte Hetze im Contrast auf die Beine gestellt, vor zwei Wochen einen weiteren Vortrag zu Strategien im Umgang mit der AfD angeregt und beinahe jeden Wahlkampfstand in Konstanz, Überlingen, Singen und Radolfzell kritisch begleitet. Dabei sind tausende Flugblätter, die über Inhalte und Themen der AfD sowie ihr Personal am See informieren, unter die Leute gekommen.
Gemeinsam mit Freund_innen von der anderen Seeseite haben wir dem Wahlkampfauftakt der baden-württembergischen AfD in Friedrichshafen Mitte August mit Alice Weidel tüchtig eingeheizt und auch bei Konstanzer Podien mit AfD-Beteiligung protestiert. Wir haben in offenen Briefen alle Veranstalter_innen von Wahlkampfpodien über die AfD und Walter A. Schwaebsch und seine Netze in die rechte Szene am See und im Hegau hingewiesen.
Etliche Medien haben über unsere diversen, vielfältigen und bunten Proteste berichtet und darüber auch klar gemacht, dass es eine Menge Leute in Konstanz und am See gibt, die nicht mit dem Rassismus, Nationalismus und den Forderungen nach gesellschaftlicher Endsolidarisierung, wie sie die AfD vertritt, einverstanden sind und sich dafür nach Leibeskräften engagieren.
Ich frage mich euch von der Seemoz: Ist es einfach eure fehlende Vernetzung mit Akteur_innen aus immerhin über 20 Gruppen und Initiativen in Konstanz, die im Aktionsbündnis zusammengekommen sind, die daran schuld ist, dass ihr die Vielzahl an Aktivitäten nicht zu Kenntnis nehmen ? Ist es Ignoranz? Keine eigenen guten Einfälle zu wirksamen Protestformen, die einem dann in Parallelwelten mit singendem „Pulse of Europe“ Personal abtauchen lässt?
Diejenigen, die in Konstanz und am See gegen die AfD aktiv sein wollen, machen das seit Monaten und brauchen eure albernen „Tipps“ für heute abend ganz bestimmt nicht.