Telefonie-Sammlung in Gefahr?

seemoz-Schmidt(1)Die Stadt Konstanz bereitet die Feierlichkeiten zum 600jährigen Konzilsjubiläum vor: Fünf Jahre lang soll an das wohl wichtigste historische Ereignis in der Geschichte der Bodenseestadt erinnert werden. Über die Form kann man streiten, über den Anlass kaum. Konstanz ist eben Konzilsstadt. Das weiß jedes Kind. Aber wer weiß schon, dass Konstanz auch eine Tele-Kommunikations-Stadt ist? Zumindest, was die Sammlung Schmidt angeht

Dennoch erschließt sich dem mit der Stadt unvertrauten ersten Blick die Stadt auf eine ganze andere Weise: ihm fällt ein langgestrecktes historistisches Backsteingebäude mit prägnatem Figurenschmuck in die Augen – heute ist dort die Sparkasse Bodensee untergebracht. Gebaut wurde es jedoch im Jahre 1891 im Auftrag der Reichspost. Konstanz hatte zu diesem Zeitpunkt vielleicht ein Zehntel der heutigen Einwohnerzahl. Umso wuchtiger musste der Eindruck gewesen sein, den dieses noch heute die Marktstätte dominierende Bauwerk auf die zeitgenössischen Konstanzerinnen und Konstanzer hatte. Diese sahen den Stein gewordenen Repräsentationsanspruch der Reichspost noch gekrönt von fünf Meter hohen allegorischen Statuen, die die Geschwindigkeit zu Lande und zu Wasser darstellen sollten. Im November 1911 wurden sie Opfer des schweren Erdbebens, das von der Alb her kommend auch Konstanz erschütterte.

Wer dann den Blick wendet, um jenseits des Rheins die Villen der Seestraße zu betrachten, ärgert sich vielleicht über das einzige Hochhaus der Stadt, einen funktionalen, vierzehn Stockwerke hohen Bau, dessen Fenster bei tief stehender Sonne golden leuchten. Dieses Gebäude entstand im Auftrag der Deutschen Bundespost in den 1970er Jahren. Es beherbergte vor allem telekommunikative Einrichtungen und ist landläufig als ‚Telekom-Hochhaus‘ bekannt.

Nicht ein zum ‚Konzilsgebäude‘ deklarierter mittelalterlicher Getreidespeicher dominiert also das Stadtbild – nein, Gebäude der kommunikativen Infrastruktur des modernen Staates fallen dem unvoreingenommenen Auge sofort in den Blick. Die Konzilstadt ist – auch – eine Post-, ja, mehr noch oder genauer, eine Telekommunikationsstadt. Poseidon mit isolatorengekröntem Telegraphendreizack und Genien mit Bell’schen Hörern künden davon über dem Haupteingang des heutigen Sparkassengebäudes. Die riesige Antenne auf dem Dach des Telekomhochhauses erzählt für jedermann und jede Frau sichtbar diese Geschichte weiter bis in die unmittelbare Gegenwart hinein.

Die Geschichte der Telefonie in 1 000 Apparaten und 2 500 Büchern

Die Erinnerung an dieses kulturelle Erbe der Stadt Konstanz pflegt die Sammlung Schmidt, die viele Konstanzerinnen und Konstanzer nicht einmal kennen. In über dreißig Jahren hat der ehemalige stellvertretende Leiter der Telekomniederlassung Konstanz, Hans-Dieter Schmidt, die wohl deutschlandweit bedeutendste fernmeldehistorische Privatsammlung zusammengetragen. Systematisch vollständig stellt sie mit über 1.000 Apparaten und 2.500 Büchern die Geschichte der analogen Telefonie in Deutschland vor. Mehr noch als manch anderes technische Medium ist das Telefon ein Netzwerkmedium, das sich nicht aus seinen Einzelteilen, sondern seinem systematischen Zusammenhang heraus erschließt.

Und so kommt der Besucher aus dem Staunen nicht heraus: Prüfeinrichtungen, Zählvergleichseinrichtungen, Zählerfotografie, Zeit-, Hinweis-, Spezialansage, Werkzeugsätze, Messgeräte, Prüfgeräte, Pflegesets in Lederetuis, Pflegesets in Lederkoffern, öffentliche Münz- und Kartentelefone, private Münz-und Kartentelefone, Fernsprechhäuschen, explosionsgeschützte Spezialtelefone, Spielzeugtelefone, Rufmaschinen, Signalmaschinen, Anrufbeantworter, schnurlose Telefone, Mobiltelefone, ein kompletter Auskunftsplatz mit Bildlesegerät für Mikrofiches, Fernschreibgeräte, zwei Handvermittlungen, eine komplette Ausstattung für fernmündliche Telegrammaufnahme und -übermittlung mit allen Unterlagen, Schmuckblatttelegrammformulare, Morseschreiber, Börsendrucker, Hellfaxgeräte, Telefaxmaschinen, Fernmeldekabel in Anschauungsmodellen mit zugehöriger Arbeitsfeld- und Werkzeugausstattung, eine fast erschöpfende Zahl von Schaltkästen, eine Blankdrahtfreileitung, Lehrbücher, Fachbücher, Schaltungsunterlagen, Betriebsunterlagen, technische Beschreibungen, Benutzungsanleitungen, Servicehandbücher, Ausbildungsliteratur, Spezialperiodika, Jubiläumsschriften, Telefonbücher, telefonhistorische Monographien, Biographien, diverse Lexika, Fernmelderechtwerke, Bauvorschriften, Verordnungen, Organisationsvorschriften, Arbeitsunterlagen, Arbeitshefte, Kinderbücher, das Fernmeldewesen in Literatur, Kunst, Satire, Holz-, Stahlstiche und Fotografien, alle deutschen Fernmeldebriefmarken des 20. Jahrhunderts, Telefonkarten, Schilder, Post- und Ansichtskarten, Telegramme, Telefonrechnungen, Hüte und Kappen, Krawatten, Kittel.

Puh

Schmidt hat Telefonie als Handlungszusammenhang gesammelt. Das unterscheidet diese Sammlung selbst noch von den allergrößten. Deshalb kam auch der Requisiteur des Hollywood-Films Operation Walküre, der das Stauffenberg-Attentat mit Tom Cruise in der Hauptrolle nachstellte, nach Konstanz. Nur Hans-Dieter Schmidt konnte ihm erklären, welche Fernschreiber man in den 1940er Jahren benutzte und, was viel wichtiger war, wie man mit ihnen hantierte.

seemoz-SchmidtUnd die Expertiste von Hans-Dieter Schmidt (s. Foto) half auch der Grabungsleiterin Caroline Bleckmann vor dem Konzilsgebäude aus den Nöten. Sie stieß auf ein tonschalenbedecktes Kabel und vermutete Weltkriegsmaterial, das man nicht ungeschützt anrühren sollte, bis Herr Schmidt sie darüber aufklärte, dass es sich um das 1934 verlegte Seekabel handelte. Als Dank für seine Bemühungen erhielt er ein Stück dieses Kabels mit Tondeckeln für seine Sammlung.

Hans-Dieter Schmidt hat eine Sammlung zusammengetragen, die einen wichtigen und sonst nirgends sichtbaren Teil der Konstanzer Kulturgeschichte bewahrt. Die Stadt Konstanz ist nun gefordert, sich zu diesem Teil ihrer Geschichte zu bekennen und nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten helfen, ihn zu bewahren.

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Autor: Albert Kümmel-Schnur

Informationen zur Sammlung und zum aktuellen Stand des Projektes:
Hans-Dieter Schmidt: Schmidt-Telefon@t-online.de
Albert Kümmel-Schnur: Albert.Kuemmel@gmx.de