Tod auf der Blumeninsel

Arnulf Mosers Buch „Die andere Mainau 1945. Paradies für befreite KZ-Häftlinge“ ist seit seinem Erscheinen 1995 zu einem wirkungs­mächtigen Klassiker der Konstanzer Lokal­geschichtsschreibung geworden. Das Werk liegt jetzt in einer Neuauflage vor, die auch das Umdenken seit der ersten Auflage doku­men­tiert und daran erinnert, wie erst öffentlicher Druck die Mainau-Direktion dazu bewegen konnte, sehr spät eine Gedenkstätte für die auf der Insel verstorbenen französischen KZ-Opfer einzurichten.

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Die Mainau ist als „Blumeninsel im Bodensee“ eine Perle unter den deutschen Ausflugszielen. In Norddeutschland glaubte man vor einigen Jahrzehnten sogar noch, dass dort in einem wundersamen tropischen Mikroklima das ganze Jahr über Bananen gediehen – ein Ort paradiesischer Legendenbildungen also.

Doch die Wirklichkeit hinter den Legenden ist meist wesentlich profaner, und das gilt auch für die Mainau, deren adelige Besitzer, allen voran Lennart Bernadotte, es verstanden haben, auch in politisch und menschlich finstersten Zeiten ihre wirtschaftlichen Interessen zu wahren. Natürlich reimt sich „Blumeninsel“ schlecht auf „Tod“, „Typhus“ und „KZ“, so dass die eine oder andere blaublütige Erinnerungslücke in der Nachkriegszeit nicht verwundert.

Die Geschichte, die der ausgewiesene Regionalhistoriker Arnulf Moser schreibt, ist bedrückend und weist einige unerwartete Wendungen auf. Sie geht etwa so: Die Bernadottes, die die – damals noch nicht ganz so schmucke – Mainau geerbt hatten, zogen sich während des Zweiten Weltkrieges in ihre neutrale schwedische Heimat zurück. Sie hatten Glück: Die Organisation Todt, zuständig für Nazi-Großbauprojekte wie den West- und den Atlantikwall sowie Raketenabschussrampen und U-Boot-Bunker, pachtete ab Juli 1943 die Mainau als Erholungsheim für Rüstungsindustrielle, baute eine Wasserleitung von Egg auf die Insel und brachte die Bauten und das Mobiliar in Schuss. Da wegen des Krieges der Fremdenverkehr sehr schwächelte, war das natürlich ein willkommenes Geschäft für die Besitzer.

Erholung für KZ-Opfer

Doch das Erholungsheim ging nicht in Betrieb, stattdessen wurden ab Oktober 1944 französische Kollaborateure um Jacques Doriot, einen französischen Faschisten, auf der Insel untergebracht, da sie im befreiten Frankreich um ihr Leben fürchteten. Aber auch sie mussten sich bald absetzen, und die reguläre französische Armee übernahm die Insel. Sie brachte dort bis zu 300 ehemalige KZ-Häftlinge unter, die schwerkrank waren. (Gleichzeitig wurden auf der teils von den Einwohnern geräumten Reichenau sowie im ZfP rund 3000 weitere aus dem KZ Befreite, denen es etwas besser ging, zur Quarantäne und Erholung einquartiert, bis man ihre Heimfahrt mit schweizerischen Zügen organisieren konnte.)

Der physische und psychische Zustand der auf der Mainau Untergebrachten war grauenerregend, wie ein Journalist schrieb: „Im Park trifft man fast überall auf Männer mit rasiertem Schädel, fremdartigem Blick, ihre Kleider flattern um ihre schrecklich abgemagerten Glieder. Sie irren umher auf der Suche nach ich weiß nicht was, zweifellos auf der Suche nach sich selbst.“ Unterernährung, Mangelerkrankungen, Hungerödeme, Durchfall und nicht heilende Wunden gaben vielen Opfern der nationalsozialistischen Lager ein greisenhaftes Aussehen. 33 von ihnen starben in den nächsten Wochen auf der Mainau und wurden dort beigesetzt. Lennart Bernadotte sorgte bald für die Umbettung der Toten auf den Konstanzer Hauptfriedhof, und 1947 bis 1949 wurden sie schließlich nach Frankreich überführt.

Jahrzehntelanges Schweigen

Die Insel wurde am 15.09.1945 von den Franzosen geräumt, die Lennart Bernadotte nach seiner Heimkehr für die Verluste an Kunstgegenständen, Teppichen, Mobiliar usw. verantwortlich machte: „… die wenigen Monate genügten. Das Schloss sah schrecklich aus. Ich denke nicht gern an die Okkupationstage zurück, die viel schlimmer waren als die Nazizeit.“ Dieser Einschätzung, die Opfer zu Tätern machte, widerspricht der Historiker Moser.

Die offizielle Mainau schwieg bis zu Lennarts Tod im Jahr 2004 am liebsten über die Geschichte der Insel in den letzten Kriegsjahren. Erst nach einer längeren öffentlichen Debatte, die dem Image des Tourismusbetriebs abträglich zu werden drohte, kamen die Dinge in Bewegung: Auf der Insel wurde 2012 ein Denkmal eingerichtet, drei Konstanzer Historiker erforschten Bernadottes Verbindungen zum Nationalsozialismus, und der französische Offizier Pierre Caudrelier recherchierte die Biografien der auf der Mainau Gestorbenen. Diese Informationen finden sich jetzt ebenfalls in der Neuauflage des Buches, und vor allem die Kurzbiografien der französischen Opfer, die zum Teil im Widerstand gegen die Nazi-Besatzung aktiv waren, machen das Ausmaß der Nazi-Verbrechen vorstellbar.

O. Pugliese (Foto: Privatbesitz)


Arnulf Moser, Die andere Mainau 1945. Paradies für befreite KZ-Häftlinge. Schriftenreihe des Arbeitskreises für Regionalgeschichte Bodensee e.V. Nummer 16, Hartung-Gorre Verlag, Konstanz. 1. erweiterte und überarbeitete Auflage 2020 der 1995 im UVK erschienenen Erstauflage, 172 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-86628-664-1.