Turnvater Jahn soll aus dem Straßenbild verschwinden
Als einzige Schweizer Stadt ehrt St.Gallen den Wegbereiter des Volksturnens und Erfinder von Pauschenpferd, Reck und Sprossenwand mit einem Straßennamen. Friedrich Ludwig Jahn war aber auch Vorturner für den Nazigeist in Deutschland. Auch in Konstanz wird erneut über die Umbenennung von Straßennamen diskutiert. Auch in Konstanz gibt es eine Jahnstraße. Auch hier die Frage: Wie lange noch?
Seine Straße im beliebten Stadtrandwohnquartier St. Georgen wird gesäumt von Familiengärten und drei Jugendstilhäusern mit zwölf Wohnungen. Möglicherweise erfährt die kurze idyllische Sackgasse sehr bald eine große Aufwertung. Auf der angrenzenden Feldschützenwiese sind nämlich 150 Wohnungen geplant. Dass der „Pionier der deutschen Turnbewegung“, wie ihn die Straßentafel vorstellt, die Neubebauung nicht überlebt, will Bausekretär Alfred Kömme nicht ausschließen.
Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) war nicht nur Apologet volksweiter Körperertüchtigung, sondern auch ein Hohepriester der Deutschtümelei. Neben Anleitungen für das in Vereinen und Verbänden zur Wehrertüchtigung zu organisierende Massenturnen veröffentlichte der Euphorie-Teutone 1810 unter dem Eindruck der Besetzung großer Teile Deutschlands durch napoleonische Soldaten seine Hauptschrift „Deutsches Volksthum“. Und wenn man sich da einliest, haut’s einen glatt vom Pauschenpferd. Afrikaner bezeichnet Jahn als «Neger ohne völkischen Bezug», Franzosen als «welsches Missgezücht» und «Zigeuner und Schacherjuden» als «Luderzeug». Er war zudem überzeugt, dass die «Juden Deutschlands Unglück» sind.
Der erste Nazi
Was der Turnvater nur andachte, hat Adolf Hitler dann Jahrzehnte später in die schreckliche Tat umgesetzt. Am Deutschen Turnertag 1933 brüllte der «Führer» ins Bewusstsein der Volkssportgilde: „Es war das Verdienst des Vaters der deutschen Turnkunst, in einer Zeit unklarer staatlicher Auffassungen die Bedeutung der körperlichen Tüchtigkeit erkannt zu haben. Die praktische Verwirklichung, die Ludwig Jahn diesem Gedanken gab, führte zu einer auch heute vielleicht nicht in ihren Ausmaßen vollkommen gewürdigten, wahrhaft umwälzenden Entwicklung.“ Bei anderer Gelegenheit machte Hitler den Turnvater gar zum „ersten Nationalsozialisten“.
Die braune Bewegung übernahm auch einige von Jahns Wortschöpfungen. So strich der glatzköpfige Preuße mit dem weißen Rauschebart beispielsweise den Allerweltsbegriff «Nation» als «welsch und antideutsch» aus dem Wortschatz und schuf zum Ersatz, im Sinne «wahren Deutschtums» das schlichte Adjektiv «völkisch». Ein wichtiges Wort im «Dritten Reich». Aber nicht nur beim Einführen neuer Wörter, auch beim Austilgen solcher, die sich «undeutsch» aneinanderreihten, war der Gründervater der Turnerbünde ein Vorbild für die Nazis. Er ließ durch studentische Burschenschaften unbotmäßige Bücher auf der Wartburg im thüringischen Eisenach bei kultischen Veranstaltungen ins Feuer werfen.
„Wenn er heute lebte, wäre er wahrscheinlich Nationalsozialist“, schrieb 1928 die deutsche Arbeiter-Turnzeitung über Jahn. Trotzdem hatte ihn die DDR zum „Vorkämpfer für Einheit und Freiheit“ stilisiert. Die vereinheitlichende Choreografie einer turnenden Masse scheint alle vom nationalen Wert des Turnvaters überzeugt zu haben: das wilhelminische Kaiserreich, die Weimarer Republik, den NS-Staat, die DDR und die BRD.
Turnen verbindet und stiftet über das Vereinswesen im nationalen Sinn auch Identität. Turnvater Jahn war diesbezüglich lange multifunktional zu gebrauchen. Seine Idee der organisierten Massenkörperertüchtigung und damit einhergehender nationalgeistiger Aufrüstung hat Staatsgrenzen überschritten und politisch in die unterschiedlichsten Richtungen gewirkt.
„Ideologie ohne Bedeutung“
„Das anfangs des 19. Jahrhunderts aus national-völkischen Motiven unter Friedrich Ludwig Jahn in Preußen entstandene Turnen fand seinen Weg auch in die Schweiz“, schreibt der Schweizerische Turnverband (STV) zu seiner Entstehungsgeschichte. „Insbesondere von Studenten des Zofingervereins wurde das Turnen in ihren Verbindungen praktiziert. Durch die im Gebiet des Deutschen Bundes erlassene Turnsperre von 1820 emigrierten etliche Turner in die Schweiz, welche an Mittelschulen eine Anstellung fanden und so das Turnwesen verbreiteten.“
Jahn stehe zwar am Anfang der Turnbewegung in der Schweiz, sagt STV-Mediensprecherin Renate Ried. Seine Ideologie habe heute aber absolut keine Bedeutung mehr. Jahns historischer Stellenwert sei rein technischer Art, weil er an der Entwicklung verschiedener Turngeräte beteiligt gewesen sei. Nicht nur Jahn, auch einheimische Turnväter hätten in der Schweiz die Turnbewegung vorangebracht, sagt der Leiter der historischen Dienste des Sportmuseums in Basel, Mike Gosteli. Das Turnen sei hierzulande in seinen Anfängen nicht ausschließlich deutsch geprägt gewesen.
Mag sein, dass helvetische Turnväter allmählich den Übervater aus Deutschland in die Anonymität verdrängt haben. Jedenfalls hat unsere Recherche die Straßenbenennungskommission der Stadt St. Gallen tüchtig aufgeschreckt. „Was hinter Turnvater Jahn steckt, war uns nicht bekannt“, sagt Präsident Theo Buff. „Nachdem wir uns kundig gemacht haben, müssen wir sagen, dass dieser Straßenname nicht mehr tragbar ist und verschwinden muss.» Die Kommission kann dem Stadtrat Empfehlungen unterbreiten, die Entscheidung liegt aber allein bei der Exekutive. Turnvater Jahn existiert seit 1909 als St. Galler Straßenname. Wie er zu dieser Ehre gekommen ist, kann heute nicht mehr rekonstruiert werden.
Die Durchsetzung von Political Correctness im St. Galler Straßenverzeichnis kann dauern. Die Umbenennung der Krügerstrasse, die seit 1904 den Namen des Wegbereiters der Apartheid in Südafrika, Ohm Krüger, trug, nahm zwanzig Jahre in Anspruch. 2009 wurde daraus schließlich die Dürrenmattstrasse.
Auch in Deutschland, wo Turnvater Jahn noch zahlreichen Schulen, Plätzen und Straßen seinen Namen verleiht, wächst das Unbehagen. In Hamburg wurde 2001 das Jahn-Gymnasium umbenannt, nachdem ein auswärtiger Neonazi partout wegen der ideologischen Nähe zum Turnvater sein Abitur dort machen wollte.
Autor: Harry Rosenbaum, WOZ
Zum Thema passt folgende Veranstaltung: „Otto Raggenbass – ein selbst ernannter Held?“
Vortrag in der der Reihe über Personennamen auf Konstanzer Straßenschildern am Dienstag, 12. Oktober, 19 Uhr, im Zunftsaal des Rosgartenmuseums. In Konstanz gibt es die Otto-Raggenbass-Straße. Bereits kurz nach dem Krieg wurde der Kreuzlinger Bezirksstatthalter von der Stadt für seinen Einsatz bei der kampflosen Übergabe der Stadt Konstanz an die Franzosen geehrt. Nach seinem Tod widmete ihm Konstanz eine Straße. Heute sieht man Raggenbass kritischer. Er soll vor allem jüdischen Flüchtlingen während der Nazizeit die Einreise in die Schweiz verweigert haben. Darüber klärt der Historiker Arnulf Moser im Rahmen der Vortragsreihe „Überholte Vorbilder?“ auf.
Lieber Herr Fiebig
nur weil er sich nicht mehr wehren kann. Was soll der Unfug.
Er war Nationalist und somit Nazi, schluß punkt und aus, das sollte keinen Platz mehr haben.
Was bringt und das Festhalten an solchen unnötigen Narren?
Was soll das nun schon wieder? Friedrich Ludwig Jahn ist untrennbar mit der deutschen Geschichte verbunden.
Der Mann ist schon 158 Jahre tot und kann sich nicht zur Wehr setzen. Nicht einmal eine Gegendarstellung in einer der Buntbebilderten kann er verlangen. Sind die Oberen des Seevolkes jetzt völlig übergeschnappt? Immerhin hat er sich mit seinen Sportlern an den Kämpfen gegen Kaiser Napoléon beteiligt, welchem im Gegensatz zu Jahn an den Hängen des Südufers nicht nur mit Straßennamen sondern auch mit einem Museum gehuldigt wird. http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Ludwig_Jahn. Ohne dem Nationalstolz der unterdrückten Völker würde noch heute das napoleonische Kaiserreich in ganz Europa bestehen.
Es gibt an allen Ufern des großen schwäbischen Ententeiches genügend lebende Nationalisten und Faschisten. Mit denen sollten sie sich auseinandersetzen und sie nicht noch in einem Anfall falsch verstandener Demokratie tolerieren oder gar verhätscheln.
Ich erinnere an das Dogma: Eine Demokratie muss auch die NPD aushalten.
Meine Antwort: NEIN, das muss sie nicht.