Über Menschenfeinde und andere Rechtsextreme

Wie steht es um die Rechtsextremismus-Forschung? Ist rechtes Gedankengut nur eine Randerscheinung der Gesellschaft? Antwort auf diese und viele weitere Fragen gab der Vortrag „Normalität und alltäglicher Rassismus – menschenverachtende Einstellungen und rechtes Weltbild“ an der Universität Konstanz.

Der Vortrag fand im Rahmen der Reihe „Leben im Imperativ oder was wir glauben sein zu müssen“ statt (seemoz berichtete). Der Referent Arne Güttinger ist Mitglied des Netzwerks für Demokratie und Courage und bezog sich vor allem auf die sogenannten „Mitte“-Studien, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigen und seit 2002 alle zwei Jahre von der Universität Leipzig heraus gegeben werden. Sein Fazit: „Alle Veröffentlichungen kommen zu dem Schluss, dass menschenfeindliche Einstellungen kein Problem am Rand der Gesellschaft sind, sondern ihrer demokratischen Mitte entspringen.“

Es gebe außerdem „nicht unerhebliche Zustimmungswerte“ in der Bevölkerung für Elemente einer menschenfeindlichen Weltanschauung. Gleichzeitig könne man keine gesellschaftlichen Gruppen erkennen, die besonders dafür anfällig seien. Rechte Einstellungsmuster seien auch weit über den Organisierungsgrad und das Wahlverhalten hinaus verbreitet. „Im Klartext heißt das, dass viel mehr Menschen rechts denken, als sich zum Beispiel bei der NPD engagieren.“, erklärte er. Auch gehe aus den Studien eindeutig hervor, dass ein ausschließliches Reagieren, etwa ein öffentlicher Aufschrei in den Medien, auf gewalttätige Vorfälle mit rechtsmotiviertem Hintergrund langfristig nicht ausreiche. Auch das Ignorieren rechtsextremer oder menschenfeindlicher Aktivitäten führe zu deren Normalisierung und mache deren Aussagen nur salonfähig.

Für die Entstehung rechtsgerichteter, antidemokratischer und inhumaner Positionen gebe es zahlreiche Erklärungsansätze. Doch könne nur ein Zusammenspiel verschiedener Konzepte (etwa die politische Kultur einer Gesellschaft, soziale Desintegration, ökonomische Verhältnisse) eine umfassende Erklärung leisten. Der Begriff Rechtsextremismus etwa sei problematisch. „Es gibt aus sozialwissenschaftlicher Sicht weder eine Definition noch eine anerkannte Theorie. Mangels Alternativen ist er dennoch geläufig.“

Rassismus, was ist das?

Verbindendes Kennzeichen dieses Einstellungsmusters seien Ungleichwertvorstellungen. „Ein geschlossenes rechtes Weltbild setzt sich aus folgenden Elementen zusammen: Der Affinität zu diktatorischen Systemen, Nationalismus, Verharmlosung des NS, Antisemitismus, Rassismus sowie dem Sozialdarwinismus.“, erklärt Güttinger.

Rassismus sei eine konstruierte, vermeintlich natürliche Höherwertigkeit der eigenen Gruppe, sowie die Minderwertigkeit anderer Gruppen. „Gesellschaftliche Gruppen werden so „rassifiziert“. Doch diese angebliche Unterscheidbarkeit der menschlichen „Rassen“ ist bekanntermaßen widerlegt“. Doch die Beispiele seien zahlreich: Angefangen bei alltäglichen Rassismen in der Sprache über den rassistischen Wahlkampf politischer Parteien bis hin zur Hetze in sozialen Medien. „All‘ diese Faktoren können zu rassistischen Aktionen, wie den Ausschreitungen in Heidenau, führen.“ Man könne ebenfalls seit einigen Jahren feststellen, dass Rassismus sich in hohem Maße auf den Islam verschiebe. Neu sei dabei die „Kulturalisierung“, es werde dabei weniger von Rassen, als von Kulturkreisen gesprochen. „Der Islam wird dabei als vermeintlich einheitlicher, monolithischer Block betrachtet, was er natürlich nicht ist. Er ist genauso differenziert zu betrachten wie der christliche Glaube oder andere Gemeinschaften.“

Der Begriff Antisemitismus sei ebenfalls charakterisiert durch eine Zuschreibung von Minderwertigkeit, gleichzeitig gebe es aber die Annahme einer bedrohlichen Überlegenheit und einer Illegitimität des Staates Israel. Die Gleichsetzung von Auschwitz mit heutigen Ereignissen, beispielsweise mit der israelitischen Politik in Gaza, werde als sekundärer Antisemitismus bezeichnet. „Das gibt es nicht trotz Auschwitz, sondern gerade wegen Auschwitz.“

Nationalismus sei das ideologische Bild eines einheitlichen Nationen-Interesses, das nach außen hin vertreten und durchgesetzt wird – eine Abwertung anderer Nationen. Er verweist auf die Griechenland-Krise und den Umgang mit dieser Debatte. Auch die Kampagne „Du bist Deutschland“ sei ein Beispiel für die Konstruktion einer nationalen Identität. Pronazismus sei der Begriff für die Verharmlosung, Relativierung, Rechtfertigung, sowie Affirmation des Nationalsozialismus. Das gehe einher mit der Leugnung historischer Tatsachen. Die Aussage „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“ vertreten über neune Prozent der Bürger in der Bundesrepublik.

„In Grafeneck sind die Mörder von Auschwitz ausgebildet worden“

Als Sozialdarwinismus bezeichne man die Feindseligkeit gegenüber Menschen, die Normalitätsvorstellungen nicht erfüllen oder unter dem Gesichtspunkt mangelnder Nützlichkeit für die Gesellschaft abgewertet werden. Ein Ergebnis erschrecke ihn dabei jedes Mal aufs Neue: „Auch letztes Jahr haben noch fast neun Prozent aller Befragten gesagt „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“. Diese Aussage steht der Menschenwürde, die, sowohl im Grundgesetz als auch in der internationalen Erklärung der Menschrechte verankert ist, völlig entgegen.“ Er erinnert an die Euthanasie-Programme der Nazis in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. „In Grafeneck sind die Mörder von Auschwitz ausgebildet worden.“

Der Autoritarismus sei Verständnis von Gesellschaft, in dem es keine unterschiedlichen politischen Forderungen und Einstellungen ihrer Mitglieder geben könne. Es gehe darum, mit starker Hand ein vermeintlich gemeinsames Interesse nach innen durchzusetzen. Er verweist unter anderem auf die sog. „National befreiten Zonen“ in Deutschland: „Es gibt diese Orte in Deutschland, auch in Baden-Württemberg gibt es die Orte, in denen Neonazis bestimmen, was auf der Straße passiert und wer sich dort ohne Gefahr bewegen kann.“ So glauben auch mehr als 15 Prozent, dass, was Deutschland jetzt brauche, eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt vertritt, sei.

930 Übergriffe allein 2015

Er geht auch kurz auf die Studie für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit von der Universität Bielefeld ein, die anders als die Mitte-Studien auch Sexismus und Homophobie als Kategorien mit aufnehmen. Dort wird auch ersichtlich, dass die Islamfeindlichkeit ebenso wie Abwertung von Sinti und Roma sowie von Asylbewerbern sehr hohe Zustimmungswerte bekommt, die im Vergleich zu früheren Erhebungen deutlich angestiegen sind. Arne Güttinger bringt ein Beispiel: „Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden.“ Diese Aussage verzeichne einen Anstieg auf 76% Zustimmung. „Das finde ich wirklich einen Hammer.“, kommentiert er, „Und wir sehen, dass diese Einstellungen handfeste Konsequenzen haben.“ So gab es im Jahr 2015 bis November bundesweit bereits 930 Angriffe auf geflüchtete Personen und deren Unterkünfte. Seit 1990 wurden 180 rechtsextreme Morde verübt.

Das Extremismus-Modell von „Links-Mitte-Rechts“ lehnt er ab. „Es ist ein eindimensionales Model, dass der gesamtgesellschaftlichen Problematik nicht gerecht wird. Die Zusammenhänge sind viel komplexer. Zivilen Ungehorsam, zum Beispiel auf einer Demo gegen rechts, gleichzusetzen mit rassistischen Morden, ist falsch. Die Gegnerschaft zu Neonazis, das Eintreten für eine humane und menschenfreundliche Gesellschaft gerät dadurch unter Generalverdacht.“

Gegen Ende lenkt Arne Güttinger das Augenmerk auf die Gruppe befragter Personen ohne eindeutige Meinung. Sie stellt in den Studien die Mehrheit dar. „Können die vielleicht mobilisiert werden von Initiativen besorgter Bürger oder kann man sie vielleicht auch mobilisieren, um Menschen, die Schutz suchen, zu unterstützen und menschenverachtenden Einstellungen etwas entgegenzusetzen?“, fragt er ganz konkret. Das sei auch der Grund, weshalb er solche Vorträge und Bildungsveranstaltungen sehr wichtig finde. Denn auch die Möglichkeit, Solidarität und Zivilcourage zu zeigen, hänge von der politischen und gesellschaftlichen Stimmung einer Gesellschaft ab. „Es liegt an jedem einzelnen, in dieser Debatte eine Position klarzumachen und auch zu vertreten.“

Die Diskussion wurde durch zahlreiche Beiträge aus dem Publikum bereichert. Es wurde über die Selbstwahrnehmung von Gruppen wie Pegida gesprochen: „Die sagen: Wir sind das Volk. Wir sind die Mitte. Sollte man die Konstruktion der Mitte nicht auch genau deswegen hinterfragen?“ Arne Güttinger: „Das muss auf jeden Fall angestrebt werden, ist allerdings schwer.“ Andere Beiträge fragten nach der Rolle des Staates bei Aufklärung und Prävention: „Inwieweit sind denn Behörden schuld daran? Wie sieht es mit der Aufklärung von Straftaten gegen Geflüchtete aus?“ Laut Arne Güttinger liege es unter anderem daran, dass in Behörden kaum People of Color angestellt seien. Dadurch gebe es dort eine mangelnde Sensibilität für bestimmte Vorgänge. Provokant merkte er an: „Behörden wie das BKA oder der Verfassungsschutz wurden ja auch nicht von Antifaschistinnen gegründet, sondern von NS-Kriegsverbrechern.“

Problematische Allianzen zwischen Links und Rechts, sogenannte Querfront Verbindungen, kamen ebenfalls zur Sprache. Der generelle Umgang mit rechtem Gedankengut bei Diskussionen in der Öffentlichkeit und den Medien erwies sich in der Diskussion als ein schwieriges Thema; eine öffentliche Diskussion sei insofern problematisch, da man Rechten damit ein Forum biete. Es wurde allerdings auch angemerkt, dass man nicht unterschätzen dürfe, dass Gruppen wie die AfD und Pegida Menschen repräsentieren, die sich politisch nicht vertreten fühlen. Arne Güttinger stimmte zu: „Dieses Problem finde sich auch in den Studien wieder. Doch etwa im Fall der AfD wissen diejenigen, die seit der Spaltung der Partei immer noch Mitglied sind, dass sie mit Neurechten arbeiten.“ Dieses Gefühl, im Stich gelassen zu werden, finde sich auch in den sogenannten „strukturschwachen“ Regionen, wie zum Beispiel den neuen Bundesländern. Wenn die NPD dort als einzige konkrete Hilfe leistet, etwa bei Behördengängen, dann sei das mehr als problematisch.

Eine sehr interessante Internetseite kam zur Sprache, die hier nicht vorenthalten werden soll: Unter http://www.dok-maar.de/ lässt sich eine interaktive Karte aufrufen, die Anschläge, Proteste und sonstige Aktionen gegen Geflüchtete dokumentiert und visualisiert.

Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe „Leben im Imperativ oder wie wir glauben sein zu müssen“ unter: http://www.asta.uni-konstanz.de/aktuelles/news/vortragsreihe-leben-im-imperativ-was-wir-glauben-sein-zu-mussen/.

Rafael Cuenca-Garcia