Ukraine-Krieg: Deeskalation jetzt!
Angesichts wachsenden Drucks auf Bundeskanzler Olaf Scholz, der Forderung nach Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine nachzukommen, hat sich ein Kreis von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Kultur und anderen Bereichen der Zivilgesellschaft in einem Offenen Brief an den Kanzler gewandt. Darin fordern sie, die Waffenlieferungen an die ukrainischen Truppen einzustellen und die Regierung in Kiew zu ermutigen, den militärischen Widerstand – gegen die Zusicherung von Verhandlungen über einen Waffenstillstand und eine politische Lösung – zu beenden. Hier der Text in Gänze.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
wir sind Menschen unterschiedlicher Herkunft, politischer Einstellungen und Positionen gegenüber der Politik der NATO, Russlands und der Bundesregierung. Wir alle verurteilen zutiefst diesen durch nichts zu rechtfertigenden Krieg Russlands in der Ukraine. Uns eint, dass wir gemeinsam vor einer unbeherrschbaren Ausweitung des Krieges mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Welt warnen und uns gegen eine Verlängerung des Krieges und Blutvergießens mit Waffenlieferungen einsetzen.
Mit der Lieferung von Waffen haben sich Deutschland und weitere NATO-Staaten de facto zur Kriegspartei gemacht. Und somit ist die Ukraine auch zum Schlachtfeld für den sich seit Jahren zuspitzenden Konflikt zwischen der NATO und Russland über die Sicherheitsordnung in Europa geworden.
Dieser brutale Krieg mitten in Europa wird auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ausgetragen. Der nun entfesselte Wirtschaftskrieg gefährdet gleichzeitig die Versorgung der Menschen in Russland und vieler armer Länder weltweit.
Berichte über Kriegsverbrechen häufen sich. Auch wenn sie unter den herrschenden Bedingungen schwer zu verifizieren sind, so ist davon auszugehen, dass in diesem Krieg, wie in anderen zuvor, Gräueltaten begangen werden und die Brutalität mit seiner Dauer zunimmt. Ein Grund mehr, ihn rasch zu beenden.
Der Krieg birgt die reale Gefahr einer Ausweitung und nicht mehr zu kontrollierenden militärischen Eskalation ‒ ähnlich der im Ersten Weltkrieg. Es werden Rote Linien gezogen, die dann von Akteuren und Hasardeuren auf beiden Seiten übertreten werden, und die Spirale ist wieder eine Stufe weiter. Wenn Verantwortung tragende Menschen wie Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, diese Entwicklung nicht stoppen, steht am Ende wieder der ganz große Krieg. Nur diesmal mit Atomwaffen, weitreichender Verwüstung und dem Ende der menschlichen Zivilisation. Die Vermeidung von immer mehr Opfern, Zerstörungen und einer weiteren gefährlichen Eskalation muss daher absoluten Vorrang haben.
Trotz zwischenzeitlicher Erfolgsmeldungen der ukrainischen Armee: Sie ist der russischen weit unterlegen und hat kaum eine Chance, diesen Krieg zu gewinnen. Der Preis eines längeren militärischen Widerstands wird ‒ unabhängig von einem möglichen Erfolg ‒ noch mehr zerstörte Städte und Dörfer und noch größere Opfer unter der ukrainischen Bevölkerung sein. Waffenlieferungen und militärische Unterstützung durch die NATO verlängern den Krieg und rücken eine diplomatische Lösung in weite Ferne.
Es ist richtig, die Forderung „Die Waffen nieder!“ in erste Linie an die russische Seite zu stellen. Doch müssen gleichzeitig weitere Schritte unternommen werden, das Blutvergießen und die Vertreibung der Menschen so schnell wie möglich zu beenden.
So bitter das Zurückweichen vor völkerrechtswidriger Gewalt auch ist, es ist die einzig realistische und humane Alternative zu einem langen zermürbenden Krieg. Der erste und wichtigste Schritt dazu wäre ein Stopp aller Waffenlieferungen in die Ukraine, verbunden mit einem auszuhandelnden sofortigen Waffenstillstand.
Wir fordern daher die Bundesregierung, die EU- und NATO-Staaten auf, die Waffenlieferungen an die ukrainischen Truppen einzustellen und die Regierung in Kiew zu ermutigen, den militärischen Widerstand ‒ gegen die Zusicherung von Verhandlungen über einen Waffenstillstand und eine politische Lösung ‒ zu beenden. Die bereits von Präsident Selenskyi ins Gespräch gebrachten Angebote an Moskau ‒ mögliche Neutralität, Einigung über die Anerkennung der Krim und Referenden über den zukünftigen Status der Donbass-Republiken ‒ bieten dazu eine reelle Chance.
Verhandlungen über den raschen Rückzug der russischen Truppen und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine sollten durch eigene Vorschläge der NATO-Staaten bezüglich berechtigter Sicherheitsinteressen Russlands und seinen Nachbarstaaten unterstützt werden.
Um jetzt weitere massive Zerstörungen der Städte so schnell wie möglich zu stoppen und Waffenstillstandsverhandlungen zu beschleunigen, sollte die Bundesregierung anregen, dass sich die derzeit belagerten, am meisten gefährdeten und bisher weitgehend unzerstörten Städte, wie Kiew, Charkiw und Odessa zu „unverteidigten Städten“ gemäß dem I. Zusatzprotokoll des Genfer Abkommen von 1949 erklären. Durch das bereits in der Haager Landkriegsordnung definierte Konzept konnten im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Städte ihre Verwüstung verhindern.
Die vorherrschende Kriegslogik muss durch eine mutige Friedenslogik ersetzt und eine neue europäische und globale Friedensarchitektur unter Einschluss Russlands und Chinas geschaffen werden. Unser Land darf hier nicht am Rand stehen, sondern muss eine aktive Rolle einnehmen.
Hochachtungsvoll,
PD Dr. Johannes M. Becker, Politologe, ehem. Geschäftsführer des Zentrums für
Konfliktforschung in Marburg
Daniela Dahn, Journalistin, Schriftstellerin und Publizistin, Pen-Mitglied
Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, Internationale Liga für Menschenrechte
Jürgen Grässlin, Bundessprecher DFG-VK und Aktion Aufschrei ‒ Stoppt den Waffenhandel!
Joachim Guilliard, Publizist
Dr. Luc Jochimsen, Journalistin, Fernsehredakteurin, MdB 2005-2013
Christoph Krämer, Chirurg, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges IPPNW (deutsche Sektion)
Prof. Dr. Karin Kulow, Politikwissenschaftlerin
Dr. Helmut Lohrer, Arzt, International Councilor, IPPNW (deutsche Sektion)
Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler
Dr. Hans Misselwitz, Grundwertekommission der SPD
Ruth Misselwitz, evangelische Theologin, ehem. Vorsitzende von Aktion Sühnezeichen
Friedensdienste
Prof. Dr. Norman Paech, Völkerrechtler, ehem. Mitglied des Deutschen Bundestages
Prof. Dr. Werner Ruf, Politikwissenschaftler und Soziologe
Prof. Dr. Gert Sommer, Psychologe, ehem. Direktoriummitglied des Zentrums für
Konfliktforschung in Marburg
Hans Christoph Graf von Sponeck, ehem. Beigeordneter Generalsekretär der UNO
Dr. Antje Vollmer, ehem. Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Konstantin Wecker, Musiker, Komponist und Autor
Medienmitteilung
@Helmut Reinhardt
Danke für das Vorwort. Das hat mir bei dem bezugnehmenden Beitrag gefehlt.
@Peer Mennecke Montag, 25. April 2022 um 17:12
Wir diskutieren hier über den von Russland ausgelösten Krieg und bekommen dabei neben verständlicher Empörung und Anteil nehmenden Emotionen vielleicht auch noch einige Einsichten, welche Konflikte ihm zugrunde liegen, wie deeskaliert und dieses mörderische Desaster möglichst bald beendigt werden kann, und dazu sollte jeder Beitrag willkommen sein… – «What about Krieg» bei Google eingegeben, erscheint das umfangreiche und erschreckend konkrete https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg und beginnt mit:
«Als Krieg wird ein organisierter und unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragener Konflikt bezeichnet,[1][2] an dem planmäßig vorgehende Kollektive beteiligt sind. Ziel der beteiligten Kollektive ist es, ihre Interessen durchzusetzen. Der Konflikt soll durch Kampf und Erreichen einer Überlegenheit gelöst das werden…»
Da der Ukrainekrieg gegenwärtig, grenzüberschreitend Transnistrien einbeziehend, zu eskalieren droht, einer sich immer mehr verselbständigenden Kriegslogik folgend, ein anregender wohlüberlegter Beitrag von B. Ramelow dazu:
«Was haben Transnistrien, das Kosovo, Katalonien und die Krim gemeinsam? Versuch einer Annäherung an ein ebenso komplexes wie drängendes Problem und warum ich gegen jedwede Form einseitiger bzw. gewaltsamer Grenzverschiebungen bin…»
https://www.bodo-ramelow.de/nc/tagebuch/article/2022/04/24/behutsamer-zwischenruf-in-eine-laute-zeit/
Sehr geehrter Herr Jochim,
auch ich bin für Verhandlungen; und es wäre schön, wenn auch Putin bereit für Verhandlungen wäre.
Und ich sehe keinen Gegensatz zwischen Waffenlieferungen und militärischen Widerstand gegen einen Angreifer auf der einen Seite, und der Bereitschaft zu Verhandlungen auf der anderen Seite.
Im Gegenteil: Ich bin davon überzeugt, dass es nur zu Verhandlungen kommen wird, wenn der Angreifer (Putin) auf maßgeblichen Widerstand trifft. Nur dann wird er evtl. bereit sein, die militärische Aggression einzustellen und an den Verhandlungstisch zu kommen. Warum sollte er auch verhandeln, wenn er mit dem Krieg das bekommt, was er will?
Wenn ich mit meiner Annahme Recht haben sollte, wäre es nahezu „unmoralisch“ KEINE Waffen zu liefern, denn dann würde es für den Angreifer keinen Grund geben zu verhandeln. Auf die moralische Qualität des Angreifers zu setzen, dass er aufgrund höherer Einsicht und aus Menschlichkeit von sich aus den Krieg einstellt und an den Verhandlungstisch kommt, halte ich für vergebens; zumal es in Russland keine mächtige politische Opposition gibt, die die Putin-Regierung innenpolitische unter Druck setzen könnte. Und eins noch: Es sei daran erinnert, dass zunächst – also bereits nach dem russischen Einmarsch auf der Krim – Sanktionen verhängt wurde (sicher zu wenige), bevor der Westen Waffen geliefert hat. Und diese Sanktionen haben nicht viel gebracht.
Sehr geehrter Herr Jochim,
was Sie fordern wäre schön und wünschenswert ist aber eine Utopie und vollkommen illusorisch. Nach aktuellem Stand verhandelt Putin nicht. Er und seine Clique verfolgen stur und konsequent ihren Eroberungsplan um Russland zu einem mächtigen Weltreich aufzubauen, etwa nach dem Vorbild der früheren Sowjetunion. Das kann Putin nur mit der Fortführung von Eroberungskriegen erreichen. Eine theoretische Alternative wäre, dass das ukrainische Volk sich ergibt und die weiße Fahne hisst. Und so müssten es dann alle anderen Staaten machen, die von Putin bedroht werden. – Damit wäre es dann auch mit unserer Freiheit, Demokratie etc. endgültig vorbei – das sollte das deutsche Volk endlich begreifen und aus seinem Dornröschenschlaf aufwachen.
Zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine sehe ich keine Alternative – Putin darf diesen Krieg militärisch nicht gewinnen. Deshalb ist das durchschaubare Verhalten unseres Bundeskanzlers in dieser Sache äußerst peinlich und schadet dazu dem deutschen Ansehen in der Welt. Vor allem vor dem Hintergrund der moralischen Umweltkeule, die speziell Deutschland schwingt, sollten wir bestrebt sein, als eine starke und verlässliche Volksgemeinschaft aufzutreten, sonst werden wir beim Thema „Klimaschutz“ niemals von Anderen ernst genommen.
Wenn ein Staatsoberhaupt die Waffen gegen gegen ein anderes Land erhebt, müssen sich alle dagegen erheben und ihn daran hindern.
Es ist allerhöchste Zeit, dass entsprechend der Volksgröße eines jeden Landes, vertrauenswürdige Persönlichkeiten gewählt werden, um in einer Weltversammlung das gemeinsame Abrüsten mit einem verbindlichen Vertrag zu beschließen….
Lieber Herr Dr. Peter Krause,
ich bleibe dabei. Die Fortsetzung dieses Krieges durch weitere Waffenlieferungen statt ernsthafte Verhandlungen mit sofortigem Waffenstillstand ist das perfekte Selbstmordprogramm der Menschheit:
Wir verheizen das Paradies Erde vor unseren Kindern durch Konsumrausch und Krieg! Der Sieg ist das Ziel! Über wen und was?
Bitte lesen Sie diesen Beitrag eines Arztes der IPPNW über einen Vortrag des renommierten US-Politologen John Maersheimer:
Weil die US-Regierung darauf beharrt, die Ukraine in die Nato aufzunehmen und Russland in die Knie zu zwingen? US-Experten warnen vor den Folgen.
Hier der Artikel:
https://www.heise.de/tp/features/im-Grunde-ein-Krieg-zwischen-den-USA-und-Russland-7064117.html?view=print
und
die Position der Friedensbewegung in der Ukraine:
Against Perpetuation of War: Statement of the Ukrainian Pacifist Movement
> ONLINE MEETING OF THE UKRAINIAN PACIFIST MOVEMENT 17.04.2022
> RECORDED: https://youtu.be/11p5CdEDqwQ
>
> STATEMENT OF THE UKRAINIAN PACIFIST MOVEMENT AGAINST PERPETUATION OF WAR
Krieg führt nicht zum Sieg. Das ist blauäugig und verschwendet Ressourcen und Intelligenz.
@ Helmut Reinhardt
Das ist Whataboutism und in diesem Zusammenhang doch schon sehr zynisch.
Freiheit der Bündniswahl ?
“ USA warnen vor chinesischem Militärstützpunkt auf Salomonen
Die Inselgruppe der Salomonen im Südpazifik hat trotz Widerstands der Nachbarn Australien und Neuseeland eine umstrittene Zusammenarbeit mit China in Sicherheitsfragen besiegelt. Kritik kommt auch aus den USA…Die USA haben nach der Unterzeichnung eines weitreichenden Sicherheitsabkommens zwischen China und den Salomonen vor der Errichtung eines chinesischen Militärstützpunkts in dem strategisch wichtigen Inselstaat gewarnt. Die USA würden in einem solchen Fall „entsprechend reagieren“, erklärte das Weiße Haus…“
https://www.dw.com/de/usa-warnen-vor-chinesischem-militärstützpunkt-auf-salomonen/a-61566150
Es sind diese Doppelstandards, die zu schaffen machen.
https://www.ecchr.eu/thema/doppelstandards/
„The eminent scholar on the worsening threat of nuclear warfare, how to end the war in Ukraine, the self-justifying myths propagated by imperial powers, why the Global South finds American moralizing laughable , and more.“
https://www.currentaffairs.org/2022/04/noam-chomsky-on-how-to-prevent-world-war-iii
Sehr geehrter Herr Jochim,
in der Tat können wir uns die Fortsetzung des Krieges „nicht leisten“. Da stimme ich grundsätzlich zu.
Aber das sieht der für den Krieg verantwortliche Herr Putin allem Anschein anders – oder es interessiert ihn nicht. Sie können doch nicht ernsthaft verlangen, dass sich ein Land gegen einen Angriff, gegen die Ermordung seiner Bürger nicht wehren darf, um Klimaschutzziele nicht zu gefährden! Glauben Sie ernsthaft daran? Ich nehme an, dass dies die Menschen in der Ukraine anders sehen.
Und: Auch ich sehe dies anders. Ich möchte nicht, dass Putin sein Reich und seine Form der Diktatur Stück für Stück, Land für Land ausdehnt. Ich bin mir sicher, dass dies die Balten, die Polen, die Finnen und die Deutschen – zumindest die meisten – auch nicht wollen. Und ich bin ferner der Überzeugung, dass sich Putin nicht durch den Verweis auf die Klimaschädlichkeit eines Krieges von seinen Expansionsplänen abhalten lassen wird. Putin hat allem Anschein auch kein interesse an Demokratie, am Recht auf Meinungsfreiheit und ebensowenig an Umwelt- und Klimaschutz. Ihn scheint es auch leidlich egal zu sein, ob Sie oder ich daran irgendein Interesse daran haben.
Aus all dem ergibt sich die Frage: Was nun?
Wir – und ich meine „wir“ – könnten uns natürlich aus Klimaschutzgründen dem Diktator ergeben. Aber ob dies wirklich dem Umwelt- und Klimaschutz dienlich sein wird, wage ich doch zu bezweifeln – von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten ganz zu schweigen.
Alle bisherigen Kommentare zu diesem wegweisenden weisen Offenen Brief sehen nicht, dass wir uns im 21. Jahrhundert schlicht und einfach eine Fortsetzung dieses Krieges mit allen Folgen von Unvernunft, Unversöhnlichkeit, ewiger Feindschaft und unermesslichem Leid angesichts der bereits im Gange befindlichen Klimakatastrophe nicht leisten können. Oder doch? 100 Milliarden € für weitere Hochrüstung nur der Bundeswehr. Das ist in meinen vernünftigen Augen angesichts des aktuellen IPCC-Berichts, erschienen pünktlich zum Kriegsbeginn, Mithilfe zum globalen Selbstmord, und wir schauen zu und applaudieren. Übrigens wurde in diesem Klima-Bericht auch zum ersten Mal die Klimaschädlichkeit von Rüstungsindustrie, Manövern und Krieg beschrieben, Stop fossil und atomar! Die Zukunft ist erneuerbar und der einzige Weg zu Frieden, Gerechtigkeit und Völkerverständigung und gesundes Brot für alle.
Bei allem Respekt, aber mir erscheint dieses Mantra der „Friedensarchitekten“ doch eher als Affirmation der Unterzeichner zu nutzen. Denn in dem Haus, das sie da bauen, will das ukrainische Volk einfach nicht wohnen.
Noch ein Vergleich: Soll man auch für die Befriedung der kolumbianischen Drogenbarone oder der italienischen Mafiapaten einen Sitzkreis einrichten, statt sie wegen illegaler und menschenverachtender Verbrechen vor Gericht zu bringen? Ist das dann auch Friedenslogik?
„Frieden schaffen ohne Waffen“ stand vor über 40 Jahren auf einem Aufkleber meines Autos. Heute bin ich schlauer. Und habe keine Angst vor Irren, aufgrund deren Handelns ich vielleicht mal im Kalten sitze.
Wenig gehörte erfahrene Stimmen:
„Wait, what is this?
A high end career soldier talking like me? Even quoting our field as a basis of his position? Dear #peacebypeacefulmeans people, looks like we’re not doing too bad after all. German language is needed to get his point. Not bad at all.“
https://twitter.com/JohanGaltung/status/1517580684642107395
„Johan Galtung (* 24. Oktober 1930 in Oslo) ist ein norwegischer Mathematiker, Soziologe und Politologe. Er gilt als Gründungsvater der Friedens- und Konfliktforschung. Das Institut für Friedensforschung (PRIO), das erste Friedensforschungsinstitut Europas, wurde 1959 von ihm gegründet. 1964 rief er das Journal of Peace Research ins Leben. Im Jahr 1969 wurde Galtung von der norwegischen Regierung zum weltweit ersten Professor für Friedens- und Konfliktforschung ernannt. Er erhielt zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen und Ehrungen, darunter 1987 den alternativen Nobelpreis Right Livelihood Award.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Johan_Galtung
Bei diesem offenen Brief fallen mir einige Dinge auf, die die Sache doch sehr fragwürdig machen:
1. Es wird – richtigerweise – beklagt, daß die ukrainische Bevölkerung die Leidtragenden in diesem Krieg sind, und man gibt vor dieses Leid verhindern zu wollen, aber es scheint überhaupt keine Rolle zu spielen, was die ukrainische Bevölkerung selbst will.
2. Die Bundesregierung wird aufgefordert, Militärhilfe für die Ukraine einzustellen, aber es fehlt eine Aufforderung, die Zahlungen an Russland für Energie- und Rohstofflieferungen einzustellen. In die Richtung von Russland bleibt es bei zahnlosen Forderungen.
3. Es wird von der Ukraine gefordert, de facto zu kapitulieren, um dann in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten. Das ergibt keinerlei Sinn, denn dann gibt es nichts mehr zu verhandeln, und keinen Grund mehr für den Aggressor, irgendwelche Kompromisse zu machen. Es würde de facto auf einen Freibrief für den Aggressor hinaus laufen, die Nachkriegsordnung nach seinem Gusto, und zu Lasten nicht nur der Ukraine, sondern ganz Europa, zu regeln.
4. Es wird kein Gedanke daran verschwendet, welche Situation denn nach der Einstellung der Kampfhandlungen erreicht werden soll. Für die betroffene Bevölkerung in der Ukraine geht es ja ganz offensichtlich nicht nur um einen Frieden als Abwesenheit von Krieg, sondern ganz wesentlich darum, wie ihr Leben dann aussehen soll. Ein Leben als Besiegte und Unterdrückte in einer totalitären Diktatur ist für die meisten eine Horrorvorstellung, der sie den Verteidigungskampf, notfalls mit militärischen Mitteln, jederzeit vorziehen würden.
5. Es wird ignoriert, welche Vorstellungen der russischen Seite über die Ukraine, und die Ziele russischer Politik, schon seit längerer Zeit offen diskutiert werden. Da gibt es genug Äußerungen sowohl von Putin selbst, wie auch aus dem politischen und medialen Umfeld, die klar machen, womit wir es hier zu tun haben. Schon im vergangenen Sommer gab es einen Artikel von Putin in der internationalen Presse, der aufschlußreich hätte sein können, besonders drastisch ist das aber seit dem Beginn des Großangriffs sichtbar geworden. Wer da nicht die Parallelen zur totalitären Ideologie des Dritten Reiches bemerkt, muß blind sein. Will man hier wirklich denselben Fehler machen wie Chamberlain 1938?
Ich bezweifle nicht die guten Absichten der Unterzeichner dieses offenen Briefes, aber der Weg zur Hölle ist gepflastert mit solchen guten Absichten. Es reicht nicht, gute Absichten zu haben, man muß sich auch der Realität stellen, und da versagen die Unterzeichner kläglich, wenn sie sich die wichtigen Fragen, zugunsten einer humanitären scheinbar weißen Weste, zu stellen weigern.
Ist es Naivität? Ist es „Utopismus“? Was ist die tiefere Grundlage, die die Unterzeichner dieses Briefes antreibt?
Ich gehe mal davon aus, dass es zumindest auch Mitleid ist, dass die Unterzeichner dazu bringt, sich für eine Beendigung des Krieges einzusetzen – Mitleid mit den Menschen, die in diesem Krieg Leid erfahren. Das wäre aller Ehren Wert. An andere Motive möchte ich lieber nicht denken und diese auch nicht unterstellen.
Aber die von den Unterzeichnern geforderten Maßnahmen werden nicht dazu beitragen, diesen Krieg zu beenden. Wie man auf den Gedanken kommen kann, Putin und seine Schergen würden sich von völkerrechtlichen Normen davon abhalten lassen, ihre Ziele und Interessen militärisch durchzusetzen, ist mir nicht nachvollziehbar. Die russische Politik der letzten Jahre deuten eher auf das Gegenteil hin.
Die Forderung, die Bundesregierung solle „die Regierung in Kiew (…) ermutigen, den militärischen Widerstand ‒ gegen die Zusicherung von Verhandlungen über einen Waffenstillstand und eine politische Lösung ‒ zu beenden“ ist verstörend. Der hier postulierten „Friedenslogik“, die davon auszugehen scheint, dass man sich einem stärkeren Gegner ergeben sollte, um größeres Leid und mehr Opfer zu vermeiden, kann ich nicht folgen. Soll dies bedeuten, dass man sich gegen Unrecht und Gewalt nicht wehren soll, weil jeder Widerstand zu mehr Leid und Opfer führen könnte? Nach dem Motto: Widerstand ist zwecklos?
Zum Glück sind die Unterzeichner dieses offenen Briefes nicht in der Position, in der sie maßgebliche Entscheidungen treffen können. Ich hoffe, dass sich die politisch Verantwortlichen von diesem Brief nicht beeinflussen lassen. Leider bin ich mir in diesem Punkt nicht so sicher.
Während ich dies schreiben, höre ich in den Nachrichten, dass russische Streitkräfte Odessa mt Raketen beschossen haben.
Hinterhofgangster mit historisch problematischer Körpergröße mit Empathie oder Argumenten zu überzeugen, wird in etwa so erfolgreich sein, wie gescheiterte Landschaftsmaler mit Problemscheitel mit ebendiesen Mitteln zu stoppen. Sollte man aus der Geschichte gelernt haben.