Und noch eine spinnerte Touristen-Attraktion
Als wäre das car-emotion, wo Gäste mit dem Auto ins Hotelzimmer fahren sollen, an spinnerten Ideen der Konstanzer Tourismus-Event-Attraktionen-Erfinder noch nicht genug, will die Stadtverwaltung nun eine wohl über 30 Meter hohe Rotunde ans Seerheinufer stellen, in der man im 360-Grad-Panorama nachgestellte Szenen aus der Konzil-Klamotten-Kiste bestaunen soll. Tolle Idee, findet Jan Bode aus dem Bauamt in seiner Vorlage für den Gemeinderat. Welch ein Blödsinn.
In seiner Vorlage für die Gemeinderatssitzung am nächsten Donnerstag preist Bode die Idee in oberflächlichem Marketing-Sprech: Das Projekt des Künstlers Yadegar Asisi, überall in der Republik riesige Panorama-Rotunden, meist stillgelegte Gasometer, zum Kinobau umzurüsten, in dem man Rundbilder bestaunen kann, reißt Bode zu wahren Jubelstürmen hin. Von „einem Millionenpublikum“ ist die Rede, wenn von der Installation im Berliner Pergamon-Museum berichtet wird, „in Pforzheim wird „ROM 312“ (s. Foto) gezeigt („in 18 Monaten bereits mehr als 250 000 Besucher“), im französischen Rouen wurde im Mai diesen Jahres ein individuelles Panorama „ROUEN 1431“ präsentiert.“
Und, zusätzlicher Vorteil, so Jan Bode, das eigentlich 2018 auslaufende Konzil-Spektakel, das außerhalb des Landkreises sowieso keinen Menschen kümmert, könnte unversehens um zehn weitere Jahre verlängert werden. Famose Aussichten.
Wer zahlt drauf?
Berichterstatter Bode kriegt sich gar nicht mehr ein, wenn er freudig verkündet, diese Attraktion könne Konstanz geradezu gratis einsacken. Ein Pforzheimer Hotelier als Investor möchte das Panoramazelt finanzieren – die Stadt soll nur das Sahnestück-Gelände am Seerhein (s. Lageplan) kostenlos zur Verfügung stellen. Für den Profit sorgen dann die Besucher mit vermutlich gepfefferten Eintrittspreisen – zehn Jahre mindestens soll das architektonische Ungetüm das Ufer beglücken. Bella Vista.
Von den Nachteilen wird in der Vorlage nichts geschrieben: Wie leidet der Rheinblick, wenn ein 30, 40 Meter hoher Bau den Ausblick verschandelt? Wie leiden die Anwohner, wenn neben dem Bodensee-Forum auch noch dieser Rotundenbau zahlreiche Besucher mit ihren Autos anlockt? Und dann die immer alte Frage: Gibt es nicht genug Touristen in dieser Stadt, sollen Besucher ohne Rücksicht auf Verluste geködert werden?
Petershausen braucht Entlastung
Bräuchte der größte, der am schnellsten wachsende Konstanzer Stadtteil, bräuchte Petershausen nicht mehr Grünflächen, nicht mehr Verkehrsentlastung, nicht mehr Entschleunigung, nicht mehr Lebensqualität statt eines Klotzes, der alle Nachbar-Gebäude und selbst die neue Rheinbrücke überragt? Fremdwörter für die Verwaltung und die Event-Enthusiasten – Wachstums-Fanatiker proben ihren Durchmarsch.
Frage nur, ob der Gemeinderat da mitmacht, wenn morgen der Tagesordnungspunkt 2.8. „Errichtung eines temporären 360° Panoramas“ aufgerufen wird? Ob eine Mehrheit den Mammutbau zwischen neuer Rheinbrücke und Bodenseeforum, das in einem Monat erst eröffnet werden und dann neue Besucherströme an den Rhein (ver)führen soll, befürwortet? Ob dem Gigantismus eine weitere Freifläche zum Opfer fällt?
hpk
Ich habe das Asisi-Panorama am Checkpoint Charlie in Berlin besucht. Es macht schon Eindruck, gehört aber vom Konzept sicherlich nicht zu den hochwertigsten Ausstellungen, die man sich vorstellen kann.
Man darf das Panorama durchaus für einen reißerischen Quatsch halten. Aber ausgerechnet die Sicht der Anwohner als Argument anzuführen, ist im wahrsten Sinne des Wortes weit hergeholt. So viele Anwohner gibt es in unmittelbarer Nähe des Brückenkopfs der Schänzlebrücke wirklich nicht, deren Seesicht dadurch verbaut werden könnte.
Konstanz braucht endlich ein Konzept für die Stadtentwicklung, was nicht nur einen schönen Namen hat und mehr ist als eine Alibiveranstaltung.
Wer lebt hier? Was ist eine lebenswerte Stadt, die auch nahe Erholung und Grünflächen „innerhalb ihrer Mauern“ zu bieten hat?!
Wieviel unnötigen Verkehr haben wir gerade durch den immensen Einkaufstourismus und durch die fast jede Woche stattfindenden Kommerzevents? Wollen wir das, brauchen wir das?
Hier werden fast nur die kommerziellen Interessen des Handels berücksichtigt, der vielfach hier in der Stadt keine Steuern zahlt. Nur die vom Einzelhandel geführten Fachgeschäfte, deren Betreiber hier in Konstanz leben, zahlen Gewerbesteuer.
Eine Utopie: Es wäre z.B. durchaus möglich die Innenstadt vom vielen Individualverkehr zu befreien.
Ausser Busse, Taxis, Anlieferer und reale Anlieger würde kein Verkehr mehr zugelassen.
Die dann leerstehenden Parkhäuser könnten von Anwohnern für ihre Fahrzeuge genutzt werden.
Die Besucherströme würden von umliegenden gut angebundenen Parkplätzen mit mittelgroßen Shuttles, auch Rikschas, Rädern … ins Zentrum fahren oder gefahren werden.
Der öffentliche Nahverkehr wäre bezahlbar und in einem barrierefreienBahnhof, der dann auch von Geheingeschränkten, Familien mit Kindern, älteren Personen und mit Gepäck genutzt werden könnte, würden auch mehr Menschen auf die Bahn und Busse zurückgreifen.
Diese Stadt wäre eine wirkliche Attraktion für Besuchende, die Autofreiheit mit weniger Lärm, besserer Luft, fast ohne Feinstaub und vielen „grünen Oasen“ und weniger gestressten Menschen erleben könnten. Ein reales 360 Grad Panorama!
Und die, die immer noch soviel einkaufen s- wollen, die kommen ebenfalls. Auch wenn sie ihr Konsumverhalten verändern müssen. Vielleicht regt eine solche Veränderung der Stadt auch die ewigen Konsumisten zum Nachdenken an?
Leider noch ein weiterer Beweis, dass man sich in Konstanz lieber mit extravaganten Luxusproblemen beschäftigt, als die Sorgen anzupacken, über die man eigentlich recht offensichtlich jeden Tag stolpert. Solche Projekte dienen allein dazu, die Hilflosigkeit der Verwaltung bei wirklich drängenden Fragen zu kaschieren. Nein, Konstanz ist keine Oase, kein Platz der Glückseligen. Höchstens ein Ort voller Scham – doch nicht einmal da weiß ich, ob dieses Gefühl im Rathaus überhaupt existiert…