…und warum ist Franz Knapp noch Ehrenbürger?

Wieder einmal erweist sich, wie sinnvoll es ist, ein Buch erst zu lesen, bevor man darüber spricht oder schreibt. Für „Selbstbehauptung durch Selbstgleichschaltung“ und einige Rezensenten gilt das ausdrücklich. Denn die Habilitationsschrift des Konstanzer Stadtarchivars Jürgen Klöckler über „die Konstanzer Stadtverwaltung im Nationalsozialismus“ enthält reichlichen kommunalpolitischen Zündstoff: So ist zum Beispiel zu fragen, warum ein Opportunist wie Franz Knapp noch als Ehrenbürger bejubelt wird

Die „Knapp-Passage“ gleich neben dem Konstanzer Rathaus sowie das seit Jahrzehnten dort angebrachte Schild sind in vielfältiger Hinsicht ärgerlich: Zum einen stimmen die historischen Angaben nicht – mitnichten war Franz Knapp (s. Foto) durchgehend von 1946 bis 1957 im Oberbürgermeisteramt, mit dem Sozialdemokraten Fritz Arnold müsste zumindest ein OB genannt werden, der von Januar bis September 1946 im Amt war, was seemoz übrigens schon 2007 anmahnte, die Stadtverwaltung trotz anderslautender Beteuerungen aber bislang nicht korrigierte – zum anderen ist Knapp nach Klöcklers Recherchen wahrlich nicht der untadelige Staatsdiener, geradlinige Mensch und Oberbürgermeister, den es zu hofieren, gar zu ehren gilt.

Die allzeit treuen badischen Beamten…

Anders als Bruno Helmle, dem jüngst die Ehrenbürgerwürde aberkannt wurde, können Franz Knapp keine persönlichen Bereicherungen nachgewiesen werden, doch seine schuldhafte Verstrickung in das nationalsozialistische Machtgefüge hat Klöckler an vielen Stellen seines neuesten Buches nachgewiesen. Der „allzeit treue badische Beamte“ hat die Diskriminierung und Deportation der Juden in Konstanz von Anfang an befeuert, hat aktiv und freiwillig NSDAP-Politik durchgesetzt („und arbeitete dem Führer entgegen“) und hat nach 1945 wohl wider besseren Wissens vielen Gesinnungsfreunden sogenannte Persilscheine „ohne Ende“ ausgestellt, als es um die Entnazifizierung ging.

Franz Knapp war die „graue Eminenz“ in der Konstanzer Stadtverwaltung zwischen 1933 und 1945. Nur mit ihm wurden die Arisierungen gutgeheißen, nur mit ihm in seiner Funktion als Rechtsrat der Stadt die Übergriffe der Gestapo toleriert, nur mit ihm und seiner Zustimmung oppositioneller Widerstand unterdrückt.

Franz Knapp war das Oberhaupt der Konstanzer Beamtenschaft, die, so Klöckler, „durch eigenes Zutun oder durch Unterlassung Verantwortung auf sich geladen (hat), die sie nach 1945 zu verdrängen oder zu beschweigen oder aber aktiv abzustreiten bemüht war. Die weitverbreitete, kaum ausrottbare Illusion einer bloß vollziehenden, apolitischen Verwaltung sollte nach den für die Konstanzer Stadtverwaltung im Nationalsozialismus gewonnenen Ergebnisse wie eine Seifenblase zerplatzen“.

…arbeiten nach 1945 unbeschadet, unbehelligt in ihren Ämtern weiter

Als Jürgen Klöckler sein Buch als 43. Band der vom Stadtarchiv herausgegebenen Reihe „Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen“ im November im Rosgartenmuseum vorstellte, erntete er ungleich weniger Echo in der Öffentlichkeit als im Jahr zuvor mit der Präsentation seiner Forschungen über Bruno Helmle, die letztlich zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürde führten. Das mag daran liegen, dass Knapp keine Bereicherungen oder gar kriminelle Handlungen selbst im damaligen Rechtsverständnis anzukreiden sind – vor allem aber daran, dass Franz Knapp und fast alle seine Beamten-Kollegen nach 1945 unbeschadet, unbehelligt in der Konstanzer Stadtverwaltung weiter arbeiten konnten.

Doch es gibt Gegenbeispiele. So berichtet Klöckler von Ludwig Büchler, einem technischen Angestellten im Tiefbauamt, der sich auch unter Druck, auch unter dem Druck des Rechtsrats Knapp, weigerte, seine jüdische Frau zu verlassen. Trotz öffentlicher Medienschelte, trotz arglistig inszenierter Strafverfahren, trotz angegriffener Gesundheit blieb Büchler standhaft, rettete seiner Frau, die bis zum Kriegsende leidlich unangefochten in Konstanz lebte, das Leben, verblieb selber im Staatsdienst und wurde nach 1945 sogar zum Leiter des Tiefbauamtes befördert; er verstarb 1982.

Franz Knapp und die persönliche Verantwortung

Anders Franz Knapp. Zusammen mit Bürgermeister Leopold Mager (ein Flüsterwitz machte die Runde, wenn es um Versorgungsschwierigkeiten ging – die „Lage sei mager und knapp“. Und noch in jüngster Zeit diente der Spruch als Titel einer Ausstellung) machte er bruchlos Karriere im NS-Unrechtsstaat. Als Rechtsrat war er in Konstanz verantwortlich für die „Abwicklung der Judenfrage“ – eine persönliche Verantwortung an der kommunalen Unrechtspolitik aber „lehnte er zeitlebens ab“. Ende 1946 wurde er als 66jähriger zum Oberbürgermeister gewählt, 1952 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz, 1955 verlieh ihm die Universität Freiburg die Ehrendoktorwürde, im Jahre seines Ausscheidens, 1957, wurde er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Nach langen Jahren im Ruhestand verstarb der „Philosoph auf dem Bürgermeisterstuhl“ 92jährig im Juni 1973 in Konstanz.

Und alle, die ihn wählten, alle, die ihn ehrten, wussten um seine Vergangenheit. Kannten seine Erlasse, wussten um seine „Mitverantwortung für eine radikalisierte Kommunalpolitik während des Dritten Reiches“, erinnerten sich seiner Mittäterschaft bei der „Abwicklung der Judenfrage“, wussten um seine „Kontinuität über alle Verfassungs- und Systembrüche hinweg“.

Wenn schon viele Verantwortliche eine neuerliche Debatte um eine Ehrenbürgerschaft scheuen – die teilweise peinlichen Argumente während der Diskussion um Bruno Helmle und seine Ehrungen sind noch in wacher Erinnerung – sollten die Erkenntnisse von Jürgen Klöckler aus seinem Buch „Selbstbehauptung durch Selbstgleichschaltung“ doch ausreichen, um zumindest über eine Umbenennung der „Knapp-Passage“ nachzudenken – von dem unkorrekten Hinweisschild ganz zu schweigen. Es ist schlicht peinlich, aber auch geschichtsfremd, einem Opportunisten auf dem OB-Stuhl ein auch noch so bescheidenes Kränzlein zu flechten.

Autor: hpk