Universität: Diversity-Awareness-Woche ab 17. Mai
Rassismen zeigen sich nicht nur offensichtlich in sogenannten „xenophoben“ Straftaten und Beleidigungen, sondern sind in Form von Mikroaggressionen und anderen Diskriminierungen in unserem Alltag ständig präsent. Im Rahmen einer Projektwoche machen die Konstanzer Hochschulen in Kooperation mit der Muslimischen Hochschulgruppe darauf aufmerksam und zeigen in Vorträgen, Workshops, Impulsen und Poetry Slams, wie der Weg in eine wertschätzende Gesellschaft aussehen kann.
Weniger privilegierte Gruppen werden in unserer Gesellschaft systematisch ausgegrenzt und sind dadurch für den angeblich neutralen „weiß-männlich“ gelagerten Blick deutlich weniger sichtbar. Diese Unsichtbarkeit speist Unwissen und Unverständnis gegenüber als „anders“ markierten Gruppen. Und schon sind wir in einer Abwärtsspirale, in der privilegierte Alman-Achims sich in den Kommentarspalten und Kolumnen über die „Identitätspolitik“ von Antirassistïnnen und Feministïnnen echauffieren. Gleichzeitig haben Leute mit „ausländischen Namen“ oder „südländischem Aussehen“ auf dem deutschen Wohnungsmarkt komplett verloren und werden permanent darauf hingewiesen, wie gut sie doch Deutsch sprächen, oder gefragt, wo sie denn „wirklich“ herkämen.
Von (Un-)Sichtbarkeit und privilegiengestützter Meinungshoheit
Die Polizei in unseren Landen ist weder in der Lage, ihr eigenes systemisches Rassismusproblem anzugehen, weil sie lieber den Korpsgeist bewahren will, noch kann sie minderprivilegierte Minderheiten angemessen vor Straftaten schützen. Und gleichzeitig lässt der Zoll im Konstanzer Stadtgarten keinen irgendwie als nahöstlich lesbaren Lockenkopf unter Dreißig ohne „verdachtsunabhängige Personenkontrolle“ von dannen ziehen. Hat das alles miteinander kausal zu tun? Nö. Aber all das ist Teil des gleichen gesellschaftlichen, systemischen Problems.
Und wo sich Weiße in den Kommentarspalten darüber beschweren, wie diskriminierend Bezeichnungen wie „Alman“ und „deutsche Kartoffel“ seien, wird der Bedarf nach Aufklärung so drängend wie nie. Denn auch Unis und Hochschulen haben hier noch Nachholbedarf. Wenn Studentïnnen in Matheklausurfragen die Anzahl von Terrorradikalen in einer Moschee herausfinden sollen, wenn Nichtweiße und Kinder ohne akademisches Elternhaus hier immer noch gnadenlos unterrepräsentiert sind, dann tut Aufklärung und Diversifizierung wirklich Not. Denn Hochschulen sind eben auch ein Hort von Wissen und gesellschaftlicher Weiterentwicklung. Sie dürfen in gesamtgesellschaftlichen Belangen niemals stehen bleiben.
Vielfalt muss man auch erst einmal wahrnehmen
Deswegen jetzt diese Themenwoche. Natürlich sind die Arten der Veranstaltungen qua inhaltlichem Anspruch divers. Es gibt reichlich Input um grundsätzliche gesellschaftliche Missstände, wenn Mohamed Amjahid im Rahmen seines aktuellen (übrigens völlig phantastischen) Buchs „Der weiße Fleck“ über antirassistisches Denken und (Süß-)Kartoffeln spricht. Ins Detail geht’s in den weiteren Veranstaltungen natürlich auch: Von der Repräsentation von „dem“ Islam in den Medien, der Wahrnehmung asiatisch gelesener Menschen in Deutschland (also irgendwas zwischen Mathenerd und Coronaschleuder) oder warum Feminismus und Islam sich keineswegs ausschließen müssen; es ist einiges geboten.
Jaana Espenlaub spricht darüber, warum es Studierende an den Unis so schwer haben, wenn sie halt nicht aus generationenschwangeren Akademikerïnnenhaushalten kommen, wenn sie also „Arbeiterkinder“ sind. Karim Fereidooni, Prof an der Uni Bochum, erarbeitet in seinem Vortrag die notwendige Sensibilisierung für Diversität und was eigentlich dieses „Normal“ sein soll, von dem immer alle reden. Denn was heißt schon „normal“? Feministischer Islam? Oder Studis mit Autismus?
Die diversen Veranstaltungen zwischen dem 17. und 22. Mai sollen dieses breite Spektrum sichtbarer, erfahrbarer machen. Vorträge zeigen Theorien, persönliche Erfahrungen und Systeme auf, Workshops geben Raum zur Diskussion und schaffen damit gleichermaßen ein Bewusstsein für soziale Vielfalt, aber auch für Diskriminierung in der Gesellschaft. Denn das Sichtbarmachen von Vielfalt und Diskriminierungen ist der erste Schritt zu einer besseren Welt. Wir können nicht alles sehen. Aber wir können so vielen verschiedenen Leuten wie möglich zuhören, damit wir nicht nur unsere eigene Blase als den Nabel der Welt betrachten.
Die Vorträge werden alle online gehalten. Manche mit Teilnehmerïnnengrenze und Anmeldung, manche ohne. Alle Veranstaltungen und Infos auf einen Blick gibt’s hier.
MM/jh (Bild: Universität Konstanz)
In diesem Zusammenhang empfehle ich u.a. die Lektüre von:
https://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/alle-preistraeger-seit-1950/2020-2029/amartya-sen
Amartya Sen: Gewalt und Identität, C.H. Beck, 2020
https://www.beck-shop.de/sen-identitaet-gewalt/product/31658267
Amartya Sen: Die Identitätsfalle, C.H. Beck, 2007
https://www.deutschlandfunkkultur.de/verteidigung-des-individuums-und-seiner-wahlfreiheit.950.de.html?dram:article_id=134837
Alfred Grosser: Le Mensch, Dietz, 2017
https://dietz-verlag.de/isbn/9783801204990/Le-Mensch-Die-Ethik-der-Identitaeten-Alfred-Grosser
Die Begriffe „Rasse“, „rassistisch“, „Rassist“ „Rassismus“ sind grundlegend falsch, mit falschen Bildern und Konnotationen verbunden, führen in die Irre, sind verschleiernd und fördern geradezu Ausgrenzung, Abgrenzung und Diskriminierung von und durch Individuen und Gruppen, da sie vom eigentlichen Grundproblem ablenken! Auf Basis dieser falschen Begriffe sollte überhaupt nicht mehr diskutiert werden! Sind es in den aktuellen und vergangenen Kriegen und („Bürger“)Kriegen etwa „Rassen“, die sich gegenseitig abschlachten/abgeschlachtet haben?
Zuletzt hat sich die Union wieder mal geweigert, dieses Unwort und diesen, für sie wohl politisch nützlichen, „Allzweck-Allround-Schablonen-Terminus“ noch in dieser Legislaturperiode aus der Verfassung zu streichen, was z.B. in Frankreich schon längst geschehen ist. Meine Vermutung: Durch Festhalten am Unwort „Rasse“ im Grundgesetz kann man alle tausend anderen „nieder-/und unterschwelligen“ Diskriminierungsformen und Ausgrenzungsmethoden als weniger relevant abtun und verharmlosen! Wenn ALLE Menschen vor dem Gesetz und dem Recht gleich sind, dann braucht es keine weiteren Unterscheidungen, Merkmale und Klassifizierungen mehr, dann gehören auch Herkunft, Religion, Geschlecht, individuelle Orientierungen aller Art, usw. auf den Prüfstand. Ist es sinnvoll im Grundgesetz nach diesen Attributen und Zuschreibungen zu Unterscheiden bzw. diese „Kategorien“ überhaupt zu bilden?… Bilden diese nicht erst die Diskriminierungs- und Trennungsgrundlagen?… Es gelten die universellen und allgemeinen Freiheits-, Grund- und Menschenrechte und die entsprechenden Pflichten für ALLE Staatsbürger eines Staatsverbandes. Das wäre dann – im wahrsten Sinne des Wortes – eine wirklich humane Verfassung (= Grundverfassung einer Gesellschaft).