Ver.di-Ortsverein prüft OB-Kandidaten
Ein Oberbürgermeister hat – innerhalb gesetzlich vorgegebener Grenzen – nicht nur beträchtlichen Einfluss auf die Gestaltung des städtischen Lebens. Er ist als Dienstherr auch verantwortlich für die Arbeitsbedingungen einer nicht geringen Zahl von ArbeiterInnen, Angestellten und BeamtInnen. Und auch über den Kreis der ihm unmittelbar Unterstellten hinaus haben Entscheidungen des Rathauschefs direkt oder indirekt Folgen für viele Lohnabhängige. Grund für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die fünf OB-Kandidaten danach zu fragen, ob sie sich für bessere Arbeitsbedingungen beispielsweise im Einzelhandel, dem Gesundheitswesen oder im öffentlichen Dienst einsetzen wollen, und wenn ja wie.
Stellung genommen zu den Wahlprüfsteinen der Gewerkschaft haben neben dem Amtsinhaber Uli Burchardt die Herausforderer Jury Martin, Luigi Pantisano und Andreas Hennemann. Andreas Matt, bekennender Fan der sozialen Marktwirtschaft, hielt es offenbar nicht für nötig, die Fragen zu beantworten.
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Obschon Wahlprüfsteine wie diese die Befragten dazu verleiten mögen, unverbindliche Versprechen zu machen, die später unter Verweis auf Sachzwänge ad acta gelegt werden, liefern sie doch Anhaltspunkte, welchen Stellenwert die OB-Aspiranten dem Gegenstand beimessen – in diesem Fall den sozialen Interessen der Beschäftigten in Bereichen, in denen oft schlecht bezahlt wird und Arbeitshetze zum Alltag gehört. Beispiele:
Mit Blick auf die durch die Pandemie noch schwieriger gewordenen Arbeitsbedingungen von Einzelhandelsbeschäftigten wollten die Konstanzer GewerkschafterInnen etwa wissen, wie die OB-Anwärter zu verkaufsoffenen Sonntagen stehen. Zusammen mit anderen Zumutungen auf Kosten der Beschäftigten werden Stimmen nach deren Ausweitung gegenwärtig lauter. Eine klare Absage an solche Überlegungen erteilt Luigi Pantisano. Erhoffte Umsatzzuwächse seien nicht zu erwarten, weil BürgerInnen ihr Geld nur einmal ausgeben könnten, dagegen „würden wir die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten weiter verschlechtern und ihnen damit alles andere als einen Gefallen tun“.
Ganz im Gegensatz dazu findet Uli Burchardt verkaufsoffene Sonntage „in Grenzen in Ordnung“, weil Städte gegenüber dem Onlinehandel „ihren Mehrwert herausstellen und auch Erlebnisse bieten“ müssten. Die grundsätzlich ablehnende Haltung von ver.di teile er nicht: „Viele Menschen haben daran Freude“. Um eine klare Antwort, ob er mehr Sonntagsöffnungen befürwortet, drückt sich der Amtsinhaber herum, nicht das einzige Mal. Ähnlich wie Burchardt argumentiert Andreas Hennemann, der solchen Aktionen etwas abgewinnen kann, „wenn nicht nur der Konsum im Vordergrund steht“ (was natürlich ein Widerspruch in sich ist), aber immerhin meint, „in Konstanz reicht die bisherige Zahl aus“. Ziemlich verschwommen bleibt dagegen die Position von Jury Martin. Er verweist zwar darauf, die „Idee mit der längeren Ladenöffnungszeit“ käme von den großen Unternehmen, was für kleinere und kleinste Geschäfte zu zusätzlichem Stress führe. Ob er nun aber für oder gegen zusätzliche Sonntagsöffnungen ist, geht aus seinen Ausführungen nicht hervor.
Im Lavieren üben sich einige Kandidaten auch bei ihren Antworten zu einem anderen Wahlprüfstein. Seit dem 1. September laufen im öffentlichen Dienst Tarifverhandlungen. Der gewerkschaftlichen Forderung nach 4,8 Prozent mehr Lohn für die während der Corona-Pandemie als Helden gefeierten Beschäftigten haben die kommunalen und staatlichen TarifverhandlerInnen prompt eine deutliche Absage erteilt. Wie stehen die Kandidaten zu dieser Forderung nach Entgeltsteigerung, wollte ver.di wissen. Andreas Hennemann singt ein Loblied auf „sichere Arbeitsplätze“ im Öffentlichen Dienst und rechtfertigt indirekt die Arbeitgeberposition mit dem Hinweis, man müsse „die Interessen aller Bürger und die berechtigten Interessen der Beschäftigten abwägen“. Lediglich einen Inflationsausgleich will Jury Martin für die oft unterbezahlten Jobs zugestehen, während Amtsinhaber Burchardt wortkarg zu Protokoll gibt, er „finde regelmäßige angemessene Entgeltsteigerungen gerechtfertigt und sinnvoll“.
Rückhaltlose Zustimmung für die Gewerkschaftsforderung signalisiert allein Luigi Pantisano, der die Bedeutung der ÖD-Beschäftigten für die Gesellschaft hervorhebt. Die Dankbarkeit, die ihnen in der Krise vielerorts entgegengebracht wird, dürfe nicht einfach aus Klatschen bestehen, davon lasse sich keine Miete zahlen. „Daher unterstütze ich die Forderungen von ver.di. Ich bin auch der Ansicht, dass diese Lohnsteigerungen von Dauer sein müssen.“
Als einziger Kandidat spricht Pantisano auch bei einem weiteren Thema Klartext: Werkverträge, Subunternehmen und Ähnliches im städtischen Auftrag lehne er ab, weil solche Praktiken „allem voran der Kostensenkung und der Umgehung von Tarifverträgen“ dienten. Am nächsten kommt dem noch die Position von Martin, der solchen Vergaben „sehr skeptisch-ablehnend“ gegenübersteht, während für Hennemann Werkverträge oder Leiharbeit „in sachlich begründeten, begrenzten Fällen angewandt werden“ können. Amtsinhaber Burchardt gibt sich auch hier schmallippig: „Sehr zurückhaltend“ stehe er zu solchen Fremdvergaben, aber: „Manchmal muss das sein, besser wäre es anders“. Detail (nicht nur) am Rande: In seiner Amtszeit hat die Delegierung eigentlich öffentlicher Aufgaben an Private sprunghaft zugenommen.
Alle Wahlprüfsteine und die Antworten der Kandidaten können hier nachgelesen werden.
jüg (Foto: P. Wuhrer)
Herr Gessel, es geht dabei nicht um das „wer“. Der Spruch kam von meiner Großmutter, die als Sozialdemokratin u.a. zu den Gründerinnen der Arbeiterwohlfahrt gehörte. Damals sagte sie, dass jede(r) RentnerIn die sich die Wurscht zum Kartoffelsalat leisten kann, ein glückliches Leben hatte. Das hat viel mit 1.Mai-Feiern und Gewerkschaftsversammlungen zu tun und wurde in den 70er Jahren zu einem anarchistischen Spontispruch. Es gab früher auch mancherorts ein „Handgeld“ von fünf Deutsche Mark (DM), für GewerkschafterInnen die zum 1.Mai erschienen und sich die Wurscht zum Kartoffelsalat und das Glas Bier nicht leisten konnten. Die gesamte Erzählung wird an dieser Stelle aber wohl etwas zu lang.
… bleibt die Frage, wer ist die „Rote Wurscht“ und wer zum Teufel soll der „Kartoffelsalat“ sein?
Ich stelle mir gerade vor, wie es denn ist, wenn der neu gewählte Oberbürgermeister von Konstanz bei städtischen Betriebsversammlungen für seine BeamtInnen und MitarbeiterInnen der Verwaltung und des öffentlichen Dienstes, wie von den Gewerkschaften gefordert, für den berechtigten Lohnzuwachs von 4,8 Prozent, mindestens aber 150 Euro streitet. Etwas später vor den Mikrofonen der Presse als oberster Influencer einer solidarischen Gesellschaft verkündet: „ Der Beifall ist verklungen, wir müssen als reiche Stadt dafür einstehen, dass ArbeiterInnen, Angestellte und BeamtInnen die hohen Mieten in der Stadt auch bezahlen können und in den kommenden Jahren als willkommene DienstleisterInnen in unserer Mitte, in unserer Stadtgemeinschaft, ihren Lebensmittelpunkt behalten können.
Vom Amtsinhaber Burchardt wird niemand jemals so einen wichtigen Schritt erwarten. Bei Luigi Pantisano könnte man zumindest darauf hoffen, stand doch seine Tür für wesentliche Wünsche der KonstanzerInnen nach sozialem, ökologischem und demokratischen Fortschritt (bekannt aus Stuttgart) weit offen. Gerade in wesentlichen Fragen, etwa der Friedenspolitik im Rahmen der „Mayors for Peace“ oder dem von Fridays for Future unterstützten Antrag „Klimapositiv 2030“, wie auch zur Frage beim Fortschritt für bezahlbaren Wohnraum hatte Pantisano für die BürgerInnen stets ein offenes Ohr und eine prima Mail – oder Telefonnummer. Das Wichtigst aber war, er hatte auch immer einen Merkzettel zur Hand, auf dem er vor oder nach einem Gespräch unermüdlich wichtige Anregungen notierte.
Der SPD- Kandidat wird, die Furcht ist berechtigt, ohne Befehl aus der Bundeshauptstadt oder Stuttgart jedes Engagement vermissen lassen und im Chor der devoten sozialdemokratischen Partei das Klagelied der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände mitsummen: „Ein Loch ist im Eimer.“ Mehr Geld bekommt kein(r).
In den jungen Tagen der Republik standen die Sozialdemokraten ehemals oft an der Seite der Gewerkschaften. Heute steht da eigentlich nur noch Die Linke. Die Tage der Sozialdemokratie als Hoffnungsträger für ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen und sozialen Fortschritt sind seit mehreren Legislaturperioden längst Geschichte und wenn am Sonntag neben BeamtInnen und öffentlich Bediensteten die KonstanzerInnen dem Luigi Pantisano das Vertrauen schenken, dann hat das viel damit zu tun, dass viele WählerInnen sich an die alte Weissagung erinnern: „ In einem ArbeiterInnen-, BeamtInnen – und Bauernstaat gehört die Rote Wurscht auch auf den Teller – zum Kartoffelsalat.“