Verbände fordern: Gäubahn nicht unterbrechen
In einem offenen Brief fordern der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), der Fahrgastverband PRO BAHN und der ökologische Verkehrsclub VCD die Projektpartner von Stuttgart 21 auf, eine zukunftsfähige Planung für den Flughafenbahnhof umzusetzen und die Gäubahn, die internationale Bahnlinie von Stuttgart nach Zürich und zudem auch eine bedeutende lokale und regionale Verbindung im Südwesten, nicht im Stuttgarter Stadtgebiet zu unterbrechen.
Die drei Verbände befürchten, dass die Gäubahn über mehrere Jahre unterbrochen wird, wenn der Stuttgarter Tiefbahnhof 2025 wie geplant in Betrieb geht, da die von der Politik beschlossene neue Streckenführung über den Flughafen auf absehbare Zeit nicht hergestellt werden kann. Fahrgäste müssten dann in Stuttgart-Vaihingen in die bereits stark ausgelastete S-Bahn umsteigen. Außerdem stehe zu befürchten, dass viele Pendler wieder aufs Auto umsteigen, wenn die Gleisanlagen des Hauptbahnhofs abgebaut werden und die Gäubahn nicht mehr über die Stuttgarter Panoramabahn angeschlossen wird.
[the_ad id=’68671′]
„Bisher war hierfür das Jahr 2030 im Gespräch, doch nun kommt es zu weiteren Verzögerungen, da aufgrund der Corona-Pandemie die Planauslage für den Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.3b ‚Gäubahnführung‘ von Stuttgart 21 abgebrochen wurde,“ erklären die Verbände.
Auch die Planungen am Filderbahnhof überzeugen nicht: Ziel der bisherigen Planungen sei es zwar, eine „Verkehrsdrehscheibe Filder“ am Flughafen einzurichten. Doch funktional erfüllten die Planungen zum Flughafenbahnhof auf den Fildern und die Anbindung an die Gäubahn die Anforderungen an eine Verkehrsdrehscheibe nicht. Die neue Streckenführung der Gäubahn ab der Rohrer Kurve über die S-Bahn-Gleise behindere den Betrieb der S-Bahn sowohl auf der Filderbahn als auch auf der Gäubahn.
Die Lösung mit zwei Bahnhöfen am Flughafen zusammen mit der Mischnutzung einer bislang nur dem S-Bahn-Verkehr vorbehaltenen Bahntrasse sei nicht zukunftsfähig. Rechtlich sei das nur mit einer Ausnahmegenehmigung zulässig und führe bei der Fahrplangestaltung zu Konflikten zwischen Fernverkehr und S-Bahn. All dies sollte Grund sein, die Planungen auf den Fildern auszusetzen, um Fehlinvestitionen zu vermeiden, meinen die Umwelt- und Verkehrsverbände.
Fernbahnhalt an der Schnellfahrstrecke
Die Zeit solle vielmehr genutzt werden, nochmals ernsthaft die verkehrlichen Rahmenbedingungen und Nutzen-Kosten-Betrachtungen für die Planfeststellungsbereiche 1.3a und 1.3b, also im Filderbereich und dem Flughafen, zu überprüfen und Alternativen zu untersuchen.
Die Verbände gehen inzwischen von rund einer Milliarde Euro Baukosten für die dort geplanten Baumaßnahmen aus. In Merklingen hingegen sei der Bahnhof innerhalb von kürzester Zeit noch in die Planungen der Schnellfahrstrecke nach Ulm integriert worden und werde mit rund 50 Millionen Euro Kosten umgesetzt. Eine entsprechende Lösung mit einem Fernbahnhalt an der Schnellfahrstrecke könne somit zu einem Bruchteil der vorgesehenen Kosten auch am Stuttgarter Flughafen verwirklicht werden, die Anbindung der Gäubahn-Fahrgäste könne über den neuen Regionalbahn-Halt Stuttgart-Vaihingen erfolgen.
Wenn aber politisch wirklich eine funktionsfähige Verkehrsdrehscheibe am Flughafen gewollt sei, müsste man den Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr statt an mehreren an nur einem Bahnhof am Flughafen zusammenführen. Hierfür liege vom Gutachter der Stadt Leinfelden-Echterdingen ein ernsthafter Vorschlag auf dem Tisch, stellt der VCD fest: „Dabei würde ein viergleisiger Fern- und Regionalbahnhof für die Züge nach Ulm/Tübingen und zur Gäubahn in einer Ebene unterhalb der S-Bahn angelegt werden – dies würde optimal kurze Umsteigewege ermöglichen.“
Unterbrechung nicht rechtens
Die Gäubahn solle auch nach der Inbetriebnahme des neuen Tiefbahnhofs S21 weiterhin über die Panoramabahn im Stadtbereich von Stuttgart direkt an den Hauptbahnhof angeschlossen bleiben, fordern die Umwelt- und Verkehrsverbände. Dies könne entweder durch die Integration von oberirischen Gleisen in das neue Stadtquartier oder durch einen unterirdischen Ergänzungsbahnhof geschehen.
Der Erhalt der Panoramabahn sei bei der Schlichtung im Jahre 2010 zugesagt worden. Zwischenzeitlich sei nachgewiesen, dass durch ein alternatives Bauverfahren eine baubedingte Unterbrechung der Gäubahn nicht zwingend notwendig sei. „Die Unterbrechung einer Bahnstrecke aus rein städtebaulichen Gründen ist zudem nicht rechtens“, betonen die Unterzeichner. Zur Beibehaltung der Verkehrsbeziehungen Stuttgart-Herrenberg-Horb-Singen-Zürich über die Gäubahn sei eine Führung direkt bis zum Hauptbahnhof erforderlich. Ein sogenannter „Interims-Halt“ am Nordbahnhof sei keine optimale Lösung.
Die Umwelt- und Verkehrsverbände verweisen in ihrem Schreiben auf die in den vergangenen Jahren erfolgten Nachbesserungen rund um das Projekt Stuttgart–Ulm (S21), damit überhaupt ein leistungsfähiges Verkehrskonzept entstehe. So wurde der Regionalhalt Merklingen kurzfristig in die Planungen aufgenommen und befinde sich im Bau. Ebenso sei auch die Zweigleisigkeit der Wendlinger Kurve beschlossen worden. In Stuttgart-Vaihingen sei statt eines Provisoriums ein dauerhafter Regionalbahn-Halt beschlossen worden. Zuletzt sei bekannt geworden, dass der Bund auch den Nordzulauf bei Zuffenhausen ausbauen möchte.
Nun seien der Erhalt der Panoramabahn und die zukunftsfähige Planung eines Flughafenbahnhofs die nächsten sinnvollen Schritte. „Die Projektpartner stehen in der Pflicht, aus einem reinen Stadtentwicklungskonzept für Stuttgart doch noch ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept für das ganze Land zu machen“, meinen die Verbände.
MM/red (Bild: DB-Loks mit Bauzug in Rottweil, via Wikipedia, Kastenzehner / CC BY-SA)
„Stuttgart-21-Planung: Rechenschieber statt High-End-Software?
Interview mit Richter a. D. Dieter Reicherter über eine fragwürdige Lücke in der Begutachtung von Stuttgart 21
Die Stuttgart-21-kritische Gruppe Ingenieure22 recherchiert seit Jahren zu den Planungsdefiziten von Stuttgart 21, besonders zum Brandschutz und den Evakuierungsplänen. Was sie nun entdeckt hat, klingt unglaublich. Nico Nissen und Amelie Pflugfelder sprachen mit dem ehemaligen Richter am Landgericht Stuttgart, Dieter Reicherter, der die Gruppe ehrenamtlich juristisch berät und als erster auf ein möglicherweise erhebliches Manko in der Begutachtung des Projektes stieß.“
…
„Gleichzeitig stellten wir beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA) einen Antrag auf Grundlage der Planfeststellungsbeschlüsse zum Brandschutz in den Tunneln. Aufgrund der Ausarbeitung der Ingenieure wurde festgestellt, dass dieser nicht ausreicht. Ich war am Antrag beteiligt und an folgenden Schriftsätzen. Dabei habe ich einen Schriftsatz des Bahnanwalts Dr. Schütz erhalten, mit dem er Stellung zu unserem Antrag genommen hat. In diesem Schriftsatz von über 40 Seiten bin ich stutzig geworden an zwei Stellen: Es gibt nur Simulationen für Kaltsituationen, aber nicht für den Brandfall. Und der zweite Punkt, der uns völlig neu war, ist, dass in den Simulationen der Kaltsituation Menschen mit eingeschränkter Mobilität überhaupt nicht berücksichtigt sind. Aber das ist ein wichtiger Gesichtspunkt für die Rettung nicht nur im Brandfall, sondern überhaupt. Bis dahin dachten wir, es gäbe Simulationen für Brandfälle, die nur unzureichend sind. Aber es gibt überhaupt keine. Somit hat die Bahn nicht nachgewiesen, dass sie Menschen im Brandfall retten kann. Ich konnte es kaum fassen und habe die einzelnen Stellen noch mehrmals verglichen, aber dann war es völlig klar.
Was fehlt da?
Es fehlt alles. Die Bahn hat ursprünglich behauptet, sie hätte die Evakuierung im Brandfall im Griff und hat sich dabei auf Handrechnungen berufen – ich denke dabei immer an Leute mit Rechenschieber. Später wurde behauptet, es gibt Simulationen. Auch bei den Verhandlungen am Verwaltungsgerichtshof in Mannheim und beim Vortrag der Bahn im Arbeitskreis Brandschutz war immer klar, dass die Simulationen sich auf die Evakuierung im Brandfall beziehen. Im Arbeitskreis sind Regierungspräsidium und Feuerwehr vertreten, die für den Brandschutz verantwortlich sind. Die Bahn hat immer vorgetragen, sie habe Simulationen für den Brandfall, die beweisen, dass die Leute gerettet werden können. Konkret geht es um 1757 Menschen, die maximal im Zug sein können….“
https://trott-war.de/stuttgart-21-planung-rechenschieber-statt-high-end-software/
Es ist mir überhaupt ein Rätsel wie diese Planungen rund um Stuttgart so weit kommen konnten? Wer definiert die Vorgaben?
Eine ganze Region faktisch abzukoppeln als brauchbare Planung zu deklarieren und Landes- und Bundespolitik sowie Bahnvorstand schauen bis heute zu offenbart sehr deutlich den Sachverstand und den Stellenwert der Kundenbedürfnisse in diesem Land.
Mit der Bahn von Zürich oder Singen nach z.B. nach Berlin fahren zu wollen ist heute schon eine Zumutung – mindestens 2 x umsteigen – schon ohne großes Gepäck nicht schön in den Kloaken die sich in Deutschland Bahnhöfe nennen. Wie soll diese Reise dann in Zukunft aussehen? 3x…4x umsteigen?