Verhüllen, um zu enthüllen
Unterbrechung im Uni-Alltag: Weit über 50 Personen bedecken sich mit Bettlaken, um auf das Leid der Flüchtlinge weltweit aufmerksam zu machen. Dazu Informationsstände verschiedener Gruppen, die sich für die Belange von Flüchtlingen in Konstanz und Umgebung einsetzen. Tatort: Foyer der Uni Konstanz, Mittwoch, 1. Juli.
11.30 Uhr, der zweite Vorlesungsblock ist zu Ende. Von draußen strahlt blauer Himmel in die Aula der Universität Konstanz. Es ist voll zu dieser Uhrzeit – geschäftige, kommunikative Stimmung. Studenten laufen in Gruppen umher und quatschen. Manch einer, der noch nicht ganz wach zu sein scheint und vorsorglich mit Kopfhörern die Uni durchschreitet, hat diese nun aus den Ohren gesteckt und fragt sich, was um ihn herum plötzlich geschieht. Ab 11.35 Uhr fangen Menschen an, sich flach auf den Boden zu legen, um sich anschließend mit Laken zu bedecken.
Es dauert nicht lange, da ist die gesamte Aula der Universität Konstanz mit zugedeckten Menschen gepflastert. In dieser Pose verharren nun etwa 50 Personen, 10 Minuten lang. Im Hintergrund läuft ein Song von den Ärzten. „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, es ist nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Um 11.45 Uhr ist dieser Ausbruch aus dem universitären Alltag vorbei. Die inzwischen zahlreich versammelten Zuschauer klatschen und auch die etwa 50 Teilnehmer der Aktion spenden sich Beifall.
Leichen erfahrbar machen
Der ein oder andere Flachgelegte hat wohl via Facebook von der Aktion gehört, die mit dem Namen „Flashmob und Aktion für Flüchtlinge“ betitelt ist. Offensichtlich ein Erfolg, möchte diese Aktion doch das Augenmerk auf die weltweit 50 Millionen Menschen lenken, die sich derzeit auf der Flucht befinden. Die bei der Flucht ums Leben gekommenen Flüchtlinge sollten durch diese Aktion erfahrbar gemacht werden. Das kommt bei den Studenten an und erzeugt Aufmerksamkeit, die Resonanz ist durchweg positiv.
Die Uni als Ort für gesellschaftliche Themen
Viele widmen sich den Infoständen, die in der Aula aufgebaut sind und mit Transparenten und Infomaterial für ihre überwiegend ehrenamtliche Arbeit werben. Vertreten sind Amnesty International, Aktion Abschiebestopp, Café Mondial, ebenso die 2013 gegründete Konstanzer Gruppe Save me. Sie bemüht sich um eine Willkommenskultur und versucht, die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen in Konstanz zu verbessern. Auch die Caritas ist vertreten und die Initiative „Be-welcome“, welche derzeit eine Infobroschüre für Asylsuchende plant, die in fünf Sprachen verfügbar sein wird.
Positive Resonanz von Studenten
Eine Studentin findet die Aktion wichtig und gut. Sie findet aber, dass da noch einiges mehr getan werden muss. „Man braucht da mehr Hilfe. Diese Menschen brauchen einen Job, um in der Gesellschaft mithelfen zu können, auch um Anschluss zu finden und die Sprache zu lernen“. Die Beweggründe dieser Menschen kann sie verstehen „Wenn ich Flüchtling wär‘, ich wär‘ froh, ich hätte zunächst nur irgendwo ’n Dach überm Kopf und Essen und wäre in Sicherheit. Klar, gehst du dann in ein Land, wo du bessere Möglichkeiten hast als Zuhause, wo Krieg herrscht.“ Solche Aktionen solle man aber auch mal der Stadt machen, findet sie. „Wir Studenten sind viel eher damit aktiv befasst, und verstehen, was da eigentlich passiert. Aber andere Gruppen schimpfen darüber, weil sie die Hintergründe gar nicht genau verstehen.“
Ein Student fragt, was das denn gewesen sei und findet dann „Ja, das ist schon eine gute Sache.“ Auch er meint, dass das mehr in der Öffentlichkeit stattfinden solle. „So eine Kunstperformance kann durch die gewonnene Aufmerksamkeit und das Interesse ein Bewusstsein bei den Leuten schaffen, dass es da überhaupt ein Problem gibt.“ Den meisten Leuten, bemerkt er, sei das Ausmaß dieser Thematik überhaupt nicht klar. „Die Leben in ihrer kleinen Welt, und da kann vielleicht Kunst irgendwie so einen kleinen Anstoß geben.“
Deutlicher ist da schon Hannah Weiland. Die Studentin hatte die Idee zu dieser Aktion, organisierte sie und sagt: „Ziel war, die über Leichen gehende Politik Europas zu kritisieren, Solidarität mit Geflüchteten zu zeigen und das Sterben vor unsere Haustür zu bringen. In unserem Land, aber vor allem in ganz Europa, läuft grad einiges schief. Ich wollte zeigen, dass der braune Mob eben nicht die Mehrheit hat und den ‚Kritikern‘ vielleicht mal sagen: Hey, unter den Leichentüchern im Fernsehen liegen echte Menschen.“
RCG (Text)/Nico (Fotos)
Die Aktion an der Uni war übrigens keinesfalls eine Kopie vom Zentrum für politische Schönheit aus Berlin, allein schon weil es länger schon diskutiert und geplant wurde, als deren Aktion öffentlich bekannt wurde.
Viel eher war die Aktion von Amnesty International, welche Leichensäcke in England am Brighton Beach auslegten unter dem Motto „Don’t let them drown“, Vorbild. Und natürlich hat diese Aktion auch gar nicht den Anspruch, irgendwelche Probleme zu lösen, das kann sie natürlich nicht.
Und „sollte in der Lage sein“ sollten eigentlich viele. Unser Innenminister de Mazeire sollte auch in der Lage sein zu erfassen, dass seine Pläne Flüchtlingsboote zu versenken nicht nur Menschenleben gefähren, sondern auch mit dem Völkerrecht nicht in Einklang stehen und schlicht undurchführbar sind – Trotzdem werden diese Überlegungen ernsthaft ständig von Politikern in höchsten Ämtern angestellt. „Sollte“ ist schlicht eine äußerst dehnbare Kategorie.
Jeder Student sollte eigentlich in der Lage sein, die bestehende Flüchtlingsproblematik in eigener Regie „erfahrbar“ zu machen und tüchtig zu handeln, wenn es sich ergibt. Die „Giessberg-Kopie“ der entsprechenden „Berliner Szene“ – man spricht in der Hauptstadt von „Kunst“ – kann anregen. Mehr nicht. Das „Thema“ ist derart komplex, dass auch eine „Kunstperformance“ nur eine kleine Momentaufnahme der tatsächlichen Sachlage beinhalten kann. Das ist (leider) die (traurige) Wirklichkeit.