Verkehr in Konstanz: Wie es weitergehen könnte

Der Technische und Umweltausschuss (TUA) des Konstanzer Gemeinderates wird am Mittwoch in einer öffentlichen Sondersitzung künftige Verkehrsstrategien in und um Konstanz debattieren. Dabei steht die autofreie Innenstadt ebenso auf dem Programm wie eine „ÖPNV-Offensive Agglo-S-Bahn“, bessere Busverbindungen, der Parkraum, ein digitales Verkehrsmanagement und die Umwandlung der Schützenstraße in eine Fahrradstraße. Wie also könnte die Verkehrswende in Konstanz konkret aussehen?

Woher der Wind bei der Veränderungslust der Stadtverwaltung weht, kann nur vermutet werden: Einsicht in den bedrohlichen Zustand unseres Planeten ist ebenso ein mögliches Motiv wie der große Rückhalt von Fridays for Future in der Bevölkerung so kurz vor der OB-Neuwahl im September. Wie auch immer: Was plant die Stadtspitze, die seit mehr als einem Jahr geradezu vom Klimavirus infiziert zu sein scheint?

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„Klimawandel ist Stadtwandel“

In den Sitzungsunterlagen gibt sich die Verwaltung äußerst wandlungsbereit: „Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwieweit und wie schnell die Mobilitätswende der Stadt Konstanz den erforderlichen Stadtwandel ermöglichen kann. Dies ist keine ausschließlich kalkulatorisch zu beantwortende Frage im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse, sondern eine Generationenfrage.“ Das klingt verdächtig, denn wenn in der Lokalpolitik in Generationen gedacht wird, ist damit nur zu oft gemeint, es jetzt erst mal gemächlich anzugehen, damit auch künftigen Generationen noch etwas zu tun bleibt.

Auf diese Frage jedenfalls gibt es in den 238 Seiten Sitzungsunterlagen zahlreiche Antworten, die miteinander nicht immer im Einklang stehen, so dass den GemeinderätInnen viel Platz für eigene Vorstellungen geboten wird. „Für die linksrheinische Entwicklung bleibt es Ziel, den öffentlichen Raum weiter zu qualifizieren und die Aufenthaltsqualität zu steigern unter der Voraussetzung, dass das Stadtzentrum für alle Bevölkerungsgruppen mit allen Verkehrsmitteln gut erreichbar  bleibt.“ Alle Verkehrsmittel? Wer das Verkehrsmittel Auto nicht weitgehend aus dem gesamten linksrheinischen Konstanz verbannt (wie es dann im Abschnitt zum Parkraummanagement versprochen wird), wird es schwer haben, die dortige Aufenthaltsqualität nachhaltig zu steigern, von der Lebensqualität der lärm- und abgasgeplagten Anwohner großer Straßen ganz zu schweigen. Aber immerhin hat sich herumgesprochen, dass eine „steigende Lebensqualität das Kaufverhalten verändern und somit die Einnahmen im Wirtschaftssektor erhöhen“ kann. In das Hungergewinsel von Handel und sonstiger Wirtschaft mag heute kaum mehr jemand einstimmen.

Preisstaffeln als Lenkungsmaßnahme

Dass Wirtschaftsinteressen dennoch letztlich vor Lebensqualität kommen, macht diese Passage klar: „In der Bodanstraße wird sich mit Umsetzung des C-Konzepts der MIV um etwa 20-30% reduzieren. Eine weitere Verkehrsreduktion dort wäre zwar wünschenswert, aber die ungünstige städtebauliche Lage des Einkaufszentrums Lago bzw. seines Parkhauses mit 930 Stellplätzen schließt dies aus: Die Stellplätze sind baurechtlich verpflichtend an dieser Stelle.“ Immerhin, es ist hier ganz offen von einer ungünstigen städtebaulichen Lage des Lago die Rede. Das Parken von Autos in der Innenstadt ist überhaupt ein großes Problem, deshalb erwähnt die Verwaltung die Möglichkeit, die Preise für Auswärtige wie Einwohner deutlich stärker zu staffeln: Zur Innenstadt hin müsste es deutlich teurer als in den Außenbereichen werden, und zu Stoßzeiten könnte ein Zuschlag erhoben werden.

Neben der finanziellen Abschreckung werden aber auch neue P+R-Anlagen in der Region (auch in der Schweiz) „sowie deren Anbindung auf kurzem Weg an die Innenstädte mit dem ÖPNV“ vorgeschlagen. Man darf gespannt sein, ob Kreuzlingen wirklich willens ist, P+R-Plätze zu schaffen, von denen aus die Kundschaft dann zum Geldausgeben nach Konstanz kutschiert wird – so lange der Franken noch stark ist und die Einkaufsströme ihre Richtung nicht wieder ändern. Ergänzt werden soll dieses Angebot durch den „Aufbau eines Systems von ‚Mobil-Punkten‘ an P+R-Anlagen mit ÖPNV-Haltestellen, Fahrradvermiet- und CarSharing-Stationen und allen erforderlichen Infos“ sowie ein Parkhaus am Haltepunkt Fürstenberg.

Autofreie Innenstadt

Die Verwaltung will ausdrücklich den Weg zur autofreien Innenstadt beschreiten. Neben abschreckenden Parkgebühren sollen ein digitales Verkehrsmanagement sowie leistungsfähigere Grenzübergänge dabei helfen, die Verkehrsströme staufrei zu lenken bzw. auf dezentrale P+R-Plätze umzulenken. Die letzteren beiden Maßnahmen hören sich allerdings eher nach einer Kapitulation vor der Blechlawine als nach deren beherzter Abschreckung und Verkleinerung an. Auch die heiß debattierte autofreie Innenstadt zwischen Seerhein, Rhein, Bodanstraße und Laube sieht auf dem Papier weniger radikal aus, als man sie sich denkt. In diesem Bereich würden vor allem Parkplätze (etwa auf dem Stephansplatz) wegfallen. „Ziel der Stadt sollte es sein, innerhalb des Altstadtrings die oberirischen Besucher- bzw. Kurzzeitstellplätze langfristig zu reduzieren und die Bewohnerstellplätze aus dem öffentlichen Raum zu verlagern.“ Dieses Ziel dürfte außer für die Innenstadt auch fürs Paradies, Stadelhofen und erhebliche Teile Petershausens äußerst erstrebenswert sein – lenkt aber die Autos nur um, statt auf deren Abschaffung hinzuwirken.

Auch die „ÖPNV-Offensive Stadtbusverkehr“ fasst im Wesentlichen noch einmal Maßnahmen zusammen, die bereits bekannt sind: Vernünftige Anzeigetafeln, eine Verdichtung des Taktes, bessere Busse, schönere Haltestellen und ein barrierefreier Ausbau. Man will mehr Menschen in die Busse locken, indem die nächste Bushaltestelle im gesamten Siedlungsgebiet in 5 Minuten Fußweg erreichbar sein und die Reisezeiten um 20 Prozent verkürzt werden sollen (das könnte so manchen AnwohnerInnen der Markgrafenstraße wie Hohn in den Ohren klingen). Außerdem sollen die Umsteigezeiten auf maximal fünf Minuten verkürzt werden, was Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, etwa am Zähringerplatz sportliche Glanztaten abverlangen dürfte.

Das Seilhäsle … schnief

Zusätzlich soll ein grenzüberschreitendes S-Bahn-System entstehen, vielleicht irgendwann sogar einmal mit einem zweiten Gleis zwischen Hauptbahnhof und Petershausen und einem weiteren Halt am Sternenplatz; aber wer mit der Bahn zu tun hat, wird bekanntlich selig, noch bevor sich hienieden auf Erden etwas ändert. „Bei der Evaluation der Verkehrssysteme wurden diverse S-Bahn-Konzepte sowie Varianten von Stadtbahn, Tram und Seilbahn entwickelt und bewertet. Das S-Bahn-System konnte hierbei als Bestvariante abschließen, da es von allen untersuchten Verkehrsmitteln das günstigste Kosten/Nutzen-Verhältnis aufweist. Der Nutzen fällt bei den Systemen Stadtbahn und Tram zwar höher aus. Die massiv höheren Investitionen führen jedoch zu einem deutlich ungünstigeren Kosten/Nutzen-Verhältnis. Bei der Seilbahn bedingen übergeordnete Gründe, dass zielführende Varianten dieses Verkehrssystems nicht realisierbar sind.“ Halt! Übergeordnete Gründe haben dem charmanten ehemaligen Lieblingsprojekt von Uli Burchardt das Lebensseil abgeschnitten? Da kann es doch eigentlich nur einen geben: Ein unerwartetes Aufflackern der Vernunft.

O. Pugliese (Text und Bild)


Was: Öffentliche Sondersitzung des Technischen und Umweltausschusses, die Sitzungsunterlagen finden Sie hierWann: Mittwoch, 08.07.2020, 16:00 Uhr. Wo: Bodenseeforum, Reichenaustraße 21, 78467 Konstanz.