Viertagewoche: Warum das funktionieren kann
Die Werbefirma „naturblau+++“ aus Orsingen-Nenzingen hat im August letzten Jahres die Viertagewoche eingeführt und gibt ihren Mitarbeitenden seither den Freitag frei. Das ist recht werbewirksam und coronakompatibel, allerdings auch nichts Neues. Dafür bringt die Idee der „Werteagentur“ (Eigenbezeichnung) handfeste Vorteile, die sich einige Betriebe und Unternehmen nicht nur in der Region zum Vorbild nehmen könnten. Denn das turbokapitalistische Höher-Schneller-Weiter ist keineswegs die einzige Art der Unternehmungsführung.
Die Leute von naturblau berichten von einiger Furore, als sie bekanntmachten, dass ab 1. August 2020 jeder Freitag ab sofort frei wäre – und das bei gleichem Gehalt. Denn die Idee der Viertagewoche passt nicht nur zum Image der auf Öko getrimmten Werbe- und Medienagentur. Sie trifft auch sehr zeitgemäß einen Nerv. Denn viele Arbeitnehmer:innen träumen von einem zusätzlichen freien Tag in der Woche. Diese Idee fußt aber nicht nur auf reiner Faulheit – wie man aus Perspektive der More-Is-More-Mentalität im neoliberalen Zeitalter meinen möchte.
Denn die Idee der Viertagewoche ist an sich nicht einmal neu. So war der Autobauer Henry Ford ein vehementer Vertreter dieser Arbeitsform, weil er der Meinung war, die Leute würden den freien Tag für zusätzlichen Konsum – unter anderem dem seiner Autos – nutzen. Das soll nicht die teils übel rassistischen und antisemitischen Denkweisen des Unternehmers schönreden, zeigt aber eben, dass die Idee der Viertagewoche nicht nur ein Hirngespinst motivationsloser Lohnabhängiger ist, sondern auch betriebswirtschaftlichen Kalkulationen entspringen kann. Dennoch treibt die Idee den meisten Vorgesetzten und Betriebsverantwortlichen Sorgenfalten auf die Stirn, denn die Forderungen nach einer verkürzten Arbeitswoche gehen für gewöhnlich nicht mit einem angepassten Lohn einher.
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Trotzdem zeigen Studien, dass Beschäftigte durch die kondensierte Arbeitszeit nicht gestresster sind. Vielmehr wird mit der verbliebenen Arbeitswoche deutlich effizienter umgegangen. Inhaltsleere Meetings werden eingedampft und aufgeblähte Workflows im Rahmen der Umstrukturierung verkürzt. Dabei ist das Vertrauen der Vorgesetzten für die Beschäftigten besonders wichtig. Denn verstärkte Kontrollen von Arbeit und Arbeitszeit werden von ihnen für gewöhnlich nicht nur wenig wertgeschätzt. Sie tragen auch zu einer schlechteren Arbeitsmoral bei.[1]
Dieses Phänomen gilt nicht nur für Hippie-Startups, sondern auch für etablierte Großkonzerne: sogar Unilever und Microsoft hantieren mit der Idee herum. Und auch hier entspringt die Idee nicht der bedingungslosen Nächstenliebe. Die 32-Stunden-Woche geht für gewöhnlich mit einer höheren Zufriedenheit der Beschäftigten (und damit „besserer“ Arbeitsmoral“), aber auch mit deren verbesserter physischer und psychischer Gesundheit einher. Und die resultiert in weniger Krankheitstagen, was wiederum den Unternehmen zum Vorteil gereicht.
Auch naturblau berichtet von gesteigerter Effizienz, weniger ausgeprägter Aufschieberitis und deutlicherer Motivation zum Arbeiten nach dem „langen Wochenende“. Betriebe würden dadurch attraktiver und die Fluktuation an Beschäftigen geringer.
Denn die in manchen Betrieben geforderte „permanente Präsenz“ in Form von ständiger Erreichbarkeit, Büroarbeit abends und am Wochenende macht Unternehmen unattraktiv und schlaucht ihre Beschäftigten – bis an den Punkt, an dem sie ihre Arbeit nicht mehr ordentlich machen können. Und dieser Verschleiß an Personal ist nicht nur unmenschlich. Er ist auch betriebswirtschaftlich außerordentlich ineffizient. Mal abgesehen davon, dass die Mentalität von wegen „wir leben, um zu arbeiten“ an und für sich gar nicht mal so gesund ist. Für keine:n der Beteiligten.
Es wird Zeit, über die Arbeitswoche, die in den 1960ern als ideologische Konstante festgefräst wurde, noch einmal neu nachzudenken. Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen in ihrem täglichen Tun Sinnhaftigkeit und Mehrwert suchen und finden wollen, ist es eigentlich unabdingbar, die 40-Stunden-Woche auf den Prüfstand zu stellen. Natürlich macht die Idee in dieser Form nicht für jedes Unternehmen Sinn. Viele Berufe bauen auf die persönliche Anwesenheit von Beschäftigten.
Auch bei naturblau schreien die Verantwortlichen nicht nach der dogmatischen 1:1-Umsetzung ihres Konzepts. Dazu sind die Arbeitsbranchen dann wohl doch zu verschieden, oh Wunder. Die Agentur möchte aber einen Dialog anzetteln, noch einmal neu über Arbeitszeiten und die Notwendigkeit von permanenter Präsenz und dem Absitzen der Arbeitszeit im Büro zu diskutieren. Denn die steigenden psychischen Belastungen und Krankheiten von Arbeitenden und die vom neoliberalen Wirtschaften arg gebeutelte Erde hätte es bitter nötig.
MM/jh (Bild pexels/Mat Brown)
[1] https://www.derstandard.de/story/2000125616439/vier-tage-arbeit-drei-tage-frei-ist-die-zeit-reif [3.6.2021]
@Bernd Köbke……………………und tschüss.
Aus Ihren profunden Äußerungen schließe ich, daß ich Sie keine Minute vermissen werde. Das unterscheidet Sie von ernstzunehmenden politischen Kontrahenten.
Den politischen Äusserungen der hier schreibenden Linken ist nichts mehr hinzuzufügen.
Der Untergang vom Arbeiter und Bauernstaat (ex DDR) hat gezeigt dass dieses Wunschdenken nicht funktioniert.
……………………und tschüss.
Herr Köbke,
Sie erquicken die Leserschaft mit politischer Ökonomie, die gemäß unserer marktorientierten „Demokratie“ nur eine Richtung kennt. Eben so demokratisch von oben nach unten.
Die Bemühungen der Gewerkschaften, den Produktivitätszuwachs zumindest teilweise ihren Mitgliedern zurückzuführen, sind gescheitert. Weil die Tariflöhne eben diesen Produktivitätszuwachs nie in ausreichendem Maße spiegeln.
Eine der wenigen Möglichkeiten, das zu korrigieren, ist die Arbeitszeitverkürzung. Dieses Teufelszeug diente laut Lambsdorff lediglich zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Japan, nicht in DE. Sieht man sich die Entwicklung der beiden Länder an seit Otto Grafs Statement, kann mensch gerne ein Fragezeichen dahintersetzen.
Wie auch immer, Ihr Denken gibt dem Handeln der Birne aus Oggersheim eindrucksvoll recht. Springer, Mohn, Burda haben seit der Privatisierung der Medien volle Arbeit geleistet.
Fakten der Arbeitswelt räumen den Platz zugunsten von Dschungelcamp, Sackhüpfen und „Schlag den Raab“. (Copyright by Volker Pispers.)
Ein insbrünstiges Halleluja dem Kapitalismus. Die Floskel von der „sozialen“ Marktwirtschaft sei gerne den Neusprech-Spezialisten der INSM überlassen.
Soziale Marktwirtschaft heißt auch, dass man Produktivitätssteigerungen der gesamten Lieferkette und im besten Fall dem gesamten Volk anstatt – wie jetzt – nur den Kapitaleignern. 🙂
PS: 1960 gab es weder das Band im Supermarkt im großen Stil noch die Powertools auf dem Bau. Allein in den letzten 10 Jahren ist durch Fleet Management im Bau die Ausfallzeit dieser Werkzeuge zurückgegangen, die Kosten durch Power-by-the-Hour gesunken. Ist es bei den Arbeiten angekommen? Ne.
@ Herr Peters
Danke das Sie mich darauf hinweisen.
Ich bin gespannt auf die Nachweise der Produktionssteigerung bei den Bauhandwerkern aussehen soll wenn Sie nur noch bis Donnerstag die Arbeit (Baustelle) fertig haben sollen weil der Freitag ja frei ist.
Oder die Kassierer / innen im Supermarkt das Band um 20% schneller laufen lassen.
Hier gibt es sicher genügend Beispiele wie es nicht Funktioniert aber zugegebenermassen auch genügen Beispiele dass es funktionieren kann wie im produzierenden Gewerbe (Automotive).
Aber einfach so für alle ?
Aha, ich verstehe. Okay, in Ihrer Argumentation stecken mehrere Annahmen, die als Fakt betrachtet werden, statt überprüft zu werden.
Zum einen die Auswirkung von mehr Freizeit auf die Produktivität pro Stunde, zum anderen aber der Einfluss des technischen Fortschritts auf die Produktivität.
Zu ersterem gibt es viele Studien, wenn Sie möchten, kann ich Ihnen ein paar suchen. Aber nur, wenn Sie diese auch interessieren, sonst spare ich mir die Arbeit. 🙂
Zu zweiterem: Die finden Sie auch selbst. Schauen Sie sich den technischen Fortschritt, bemessen am Brutto-Welt-Produkt pro Kopf seit 1945 an. Sie werden sehen, dass dieses weit mehr als 20% (5-Tage-Woche zu 4-Tage-Woche) gestiegen ist, der Lohn-pro-Kopf hier aber nicht mithalten konnte.
Wohin geht der Produktivitätsgewinn? Sie dürfen zweimal raten, aber Sie kennen die Antwort sicherlich schon.
Es geht nicht um Softwareentwickler vs. EDEKA-Kassierer. Es geht um arbeitende Bevölkerung vs. das Top-1%.
@ Mario Peters
Ganz Einfach
Eine Erhöhung der Lohnbelastung können sich kleine und mittlere Unternehmen gar nicht leisten. Lassen Sie sich einfach einmal vorrechnen, was oder wie hoch der tatsächliche Bruttolohn ist. Die wenigsten wissen das. Bei einem Stundenlohn von z. B. 10 EUR kostet der Mitarbeiter das Unternehmen inkl. Sozialbeiträge mind. 16 EUR.
Wenn er dann 20% weniger Leistung (Arbeitsstunden/Woche) erbringt, muss die Differenz doch irgendwo herkommen. Diese Gewinnkalkulation ist im heutigen Wettbewerb nicht möglich. Die Differenz soll wohl wieder von der Allgemeinheit aufgebracht werden? Wie? durch Erhöhung von MwSt/CO2-Abgabe/Einkommensteuer? Das sind im Grunde dann doch wieder die Arbeitnehmer? Die sind doch am Ende der Ernährungskette und deren Einkommen ist mehr als transparent im Gegensatz zu den Konzernen (ohne Wertung).
Ergo 20% weniger Arbeiten führt zwangsläufig zu geringerem Einkommen. Alles andere ist nach meiner Ansicht nicht möglich. Lasse mich aber gerne belehren oder aufklären, falls es eine Lösung gibt. Es soll auch noch andere Berufe geben als Softwareentwickler bei Microsoft oder Google, bei denen der Pausenraum eine Wohlfühloase ist.
Bernd, dein erster Absatz ist enorm verwirrend. Was ist dein Punkt?
Nur noch 32 Std Arbeiten entgegen 40 Std bei vollem Lohnausgleich?
Das würden sicher alle Arbeitnehmer gerne annehmen.
Ich würde aber folgende Überlegung nicht ausser acht lassen
Bei Freizeit wird auch mehr Geld ausgegeben!
Wer soll das Zahlen ?
das entspricht immerhin 20% mehr Lohn
Es wir auch keine zusätzlichen Stellen geben.
Im übrigen hat ein Normalo in den USA auch heute noch ein 6 Tage Woche und z. B. in der Gastwirtschaft (Koch) zusätzlich 2 Jobs damit die Miete für das Haus und die Leasingrate für das Auto bezahlt werden kann. Von den übrigen Sozialleistungen (obligatorische Krankenversicherung) ganz zu Schweigen
oder Ferien z. b. in einem angesehenen Internationalen Konzern immerhin 10 Tage Ferien im Jahr nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit. Kündigungsschutz Fehlanzeige
Sollte das das Ziel sein?
Henry Ford hat die 5-Tage-Woche propagiert – davor waren es 6 Tage oder 7 Tage je nach Betrieb. Nicht die 4-Tage-Woche.