Vierzig Jahre Weltladen Konstanz (1): „Eigentlich wollten wir überflüssig werden“
Am 1. August wird der Weltladen in der Konstanzer Niederburg vierzig Jahre alt – und feiert das Jubiläum am Samstag mit einem Tag der offenen Tür. Wie war das damals, als die Idee eines gerechten Handels aufkam? Warum entstand gerade in jener Zeit das Projekt? Und was hat sich seither geändert? Dazu führte seemoz ein zweiteiliges Gespräch mit den Gründungsmitgliedern Romy Grimm-Schneider (im Bild links) und Tonie Maier. Der zweite Teil erscheint morgen.
seemoz: Wenn ihr vierzig Jahre Weltladen in einem Satz zusammenfassen müsstet – was würdet ihr sagen?
Tonie Maier: Für mich ist das Projekt ein wichtiger Debattierclub. Das ist der Hauptgrund, weshalb ich seit der Gründung dabei geblieben bin.
seemoz: Nur wegen des Diskutierens?
Tonie Maier: Es wird ja über vieles gesprochen – vom Geschäftszweck bis zum politischen Geschehen. Für mich ist das Plenum, das es seit vierzig Jahren gibt, ein Forum, um Fragen zu stellen, anderen zuzuhören …
Romy Grimm-Schneider: Für mich ist der Weltladen ein Versuch, die internationalen Handelsbeziehungen ein klein bisschen gerechter zu machen.
seemoz: Seit wann seid ihr dabei?
Tonie Maier: Seit dem Gründungstag. Ich habe zuvor jahrelang einer jungen Inderin die Ausbildungen finanziert, dabei aber gemerkt, dass der individuelle Ansatz die Welt nicht wirklich gerechter macht und dass ich mehr bewirken will. Ich wollte nicht länger mit ansehen, wie die Erste Welt auf Kosten der Dritten lebt.
Romy Grimm-Schneider: Bei mir war’s eine Lateinamerikareise 1979. Bei der habe ich die großartigen traditionellen Webefertigkeiten von Frauen kennengelernt, die gerade dabei waren, das Weben mangels Nachfrage aufzugeben. Als wir wieder zurück waren, kam mir der Gedanke, dass man diesen Leuten eigentlich vermitteln müsste, wie wertvoll ihre Arbeit ist und dass man sie hier verkaufen müsste. Das Verrückte war, dass unter den fünf, sechs Leuten im Vorbereitungskreis einer war, der als Sozialarbeiter schon mal in Guatemala gearbeitet und persönliche Kontakte zu Frauenkooperativen hatte. Und der hatte schon jede Menge an Decken und Kleidungsstücken gekauft. Die Ware war also schon da, es brauchte nur noch den Laden.
seemoz: Wie viele Leute waren anfangs dabei?
Romy Grimm-Schneider: Im Vorbereitungskreis sechs, bei der Gründung waren wir dann fünfzehn.
seemoz: Anfang der 1980er Jahre war der Optimismus groß. Viele glaubten an eine Veränderbarkeit der Welt, an eine bessere Zukunft.
Tonie Maier: Davon waren wir alle überzeugt. Eine von uns hat damals einen Satz gesagt, den ich nicht vergessen habe: „Wir machen jetzt den Weltladen – und hoffen, dass er mit der Zeit überflüssig wird.“ Dass ein gerechterer Handel Wirklichkeit wird.
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Romy Grimm-Schneider: Wir haben gedacht, dass die Welt demokratischer und gerechter wird. Dass die Diktaturen nach und nach zusammenbrechen, was ja zum Teil auch passiert ist. Dass der Westen sich zurücknimmt und die kolonialen Strukturen beendet werden. Deshalb haben wir uns inhaltlich intensiv mit Zollpolitik beschäftigt. Wir holen aus dem Süden die Rohprodukte und liefern die Fertigwaren dorthin – diese Ausbeutung muss doch nicht sein. Und dann die Sache mit der Ernährung: Wir hatten im Laden ein Kochbuch, das anhand von Kühen gut den Land- und Energieverbrauch der Fleischwirtschaft illustrierte. Als unser Sohn mit der Solidarischen Landwirtschaft anfing, habe ich ihm das Kochbuch herausgeholt und gesagt: „Schau mal, 1981 waren wir auch schon so weit.“
Tonie Maier: Was mich damals beeindruckt hat, war die Arbeit der Initiative „Erklärung von Bern“. Deren Broschüre „Die zehn Hungerlegenden“ hatten wir damals viel diskutiert. Der Hunger ist schließlich gemacht. Die Publikationen der „Erklärung von Bern“ – sie heißt inzwischen „Public Eye“ – lesen wir natürlich heute noch.
Romy Grimm-Schneider: Es gab viele Einzelaktionen, die hoffnungsvoll stimmten. Beispielsweise die Frauen, die damals in der Schweiz vor Migros und Coop standen und forderten: Kauft keine Früchte der Apartheid! Sie haben es wirklich geschafft, dass der Umsatz zurückging. Auch kleine Initiativen können eine Strahlkraft entfalten.
Tonie Maier: Wir hatten natürlich auch den Bäpper im Ladenfenster: Kauft keine Früchte aus Südafrika!
Romy Grimm-Schneider: Und haben eine Weile ein Projekt in Soweto unterstützt, das Kerzen produzierte. Schon damals haben wir uns gründlich mit den Projekten beschäftigt: Wo kommen die Sachen her, können wir die anbieten? Beispielsweise Rotwein aus Algerien: Warum sollen wir Wein aus Algerien verkaufen? Europa hat genug Wein. Aber dann stellten wir fest, wie viele junge arbeitslose Männer Arbeit hätten – und haben das Projekt unterstützt.
seemoz: Hat auch das Klima in der Stadt dazu beigetragen? Es entstanden ja viele Initiativen damals: Den Buchladen Schwarze Geiß gab es schon, das Stadtmagazin Nebelhorn war gerade gegründet worden, das Chérisy-Projekt nahm Konturen an, es gab Hausbesetzungen, die Anti-AKW-Bewegung wuchs …
Tonie Maier: Wir waren gut vernetzt, und man hat sich auch verstanden. Das ist heute nicht mehr per se der Fall.
seemoz: Überall war Aufbruch …
Tonie Maier: Anfang der 1980er richteten sich viele Augen auf Nicaragua. Nach der sandinistischen Revolution gab es Hoffnung für ein anderes Gesellschaftsmodell – einen Sozialismus, der sich vom realen Sozialismus, den wir kannten, unterschied. Einige waren sehr engagiert im Nica-Verein. Ein wichtiger Weg, Nicaragua zu unterstützen, war der Kaffee-Import. „Sandino Dröhnung“ wurde im Weltladen verkauft. Dazu kamen Kontakte mit EntwicklungshelferInnen wie Ulla Allgeier, BrigadistInnen versorgten uns mit Informationen …
seemoz: … und es gab die Kampagne „Waffen für El Salvador“.
Tonie Maier: Das haben wir damals fest diskutiert. Ich erinnere mich noch an den Plenumsabend und wie ich dagesessen bin und gedacht habe: Oh, das will ich eigentlich nicht. Für mich war dann der Weg über den Kaffee einsichtiger. Und dann kam die Idee: Jetzt gucken wir einfach einmal, wo es eine Kooperative gibt in El Salvador, und die unterstützen wir. Damit ist „La Cortadora“ bei uns eingezogen.
seemoz: Was ist das? Eine Kooperative?
Tonie Maier: „La Cortadora“ ist eine Marke, der Kaffee stammt von mehreren Kooperativen. Wir diskutieren ständig darüber, von welcher Kooperative wir importieren. Wenn der Kaffee der einen vom Pilz befallen ist und sie nicht liefern kann, dann muss man eine andere suchen. Wenn es von El Salvador nicht langt, geht man nach Honduras und nimmt von honduranischen Kooperativen den Kaffee dazu. Es gibt immer Debatten. Als beispielsweise vor etwa acht Jahren eine Pilzkrankheit viele Sorten und damit die Existenz der Kooperative gefährdet hat, kam es vor, dass diese auf ihrer Generalversammlung einen Kurswechsel beschloss: Bevor wir krepieren, hauen wir wieder Spritzmittel drauf. Das ging dann nicht mehr mit uns.
seemoz: Was habt ihr gemacht?
Tonie Maier: Kooperativen gesucht, die weiterhin biologisch anbauen. Der Import läuft über die Mitka, die Mittelamerika-Kaffee-Export-Import-Gesellschaft. Sie wurde gegründet, weil viele mit der GEPA unzufrieden waren, weil dort die kirchlichen Institutionen das Sagen haben. Also beziehen wir unseren Kaffee von der Mitka.
seemoz: War der Kaffeeimport von Kooperativen also nachhaltiger als das Geldsammeln für Waffen?
Tonie Maier: Nun ja, es gibt noch Kaffeekooperativen in El Salvador, aber viele sind eingegangen. Das begann schon mit den Regierungen der FMNL, der Nationalen Befreiungsbewegung Farabundo Martí, die von 1980 bis 1992 einen Guerillakrieg gegen die damalige Militärdiktatur führte. Unter der FMNL haben Kooperativen keine große Rolle gespielt. Und unter den folgenden rechten Regierungen gab es gar keine Unterstützung mehr. Immerhin hat die FMNL allen Kaffeebauern, als es ihnen richtig schlecht ging, Kaffeesetzlinge robusterer Sorten geschenkt, dabei aber nicht zwischen konventionellen und kooperativen Betrieben unterschieden.
Romy Grimm-Schneider: Die Genossenschaften sind uns wichtig, weil die auch Altersvorsorge betreiben, eine Krankenversicherung bezahlen und Rücklagen bilden. Da arbeiten die Leute nicht nur von der Hand in den Mund. Und bei den Bananen war ein wichtiges Motiv das Monopol der Giganten wie Chiquita, United Fruit, Del Monte. Die hatten alles in ihrer Hand, vom Land über den Anbau bis hin zu den Lastwagen und den Schiffen. Alles hat denen gehört …
seemoz: … auch die Politik.
Romy Grimm-Schneider: Das ein bisschen aufzubrechen und einen Kontrapunkt zu setzen, war ganz wichtig. Wobei die ersten Bananen, die im Kleinen verschifft wurden, in Europa verfault ankamen. Die Kooperativen hatten schon Handelsbeziehungen zu den USA und haben gedacht: Nach Nordamerika schicken wir die Bananen dann und dann los, also planen wir denselben Zeitraum für den Transport nach Europa ein … Was da an Lehrgeld bezahlt werden musste!
seemoz: Habt ihr direkt importiert?
Tonie Maier: Nein. Der Anstoß kam von den Schweizer Bananenfrauen, die sich mit den Gründern von Banafair, der Importorganisation, zusammengetan haben. Der Johannes war von Anfang an bei der kleinen Gruppe mit dabei.
Romy Grimm-Schneider: Es ist schon enorm, was drei Leute machen können. Das war toll!
Tonie Maier: Und ich konnte endlich wieder Bananen essen!
seemoz: Hat es mit Bananen und Kaffee begonnen?
Tonie Maier: Nein, mit Webwaren aus Guatemala.
seemoz: Und dann folgte schrittweise der Ausbau des Angebots?
Tonie Maier: Tee war wichtig. Der Weltladen Karlsruhe hatte Kontakt zu Tee-Kooperativen in Tansania. In Indien und Sri Lanka haben wir keine Kooperativen gefunden; die Plantagen sind dort in der Hand von einzelnen Patrons.
Romy Grimm-Schneider: Schokolade war der nächste Schritt. Seit neuestem haben wir auch Schokolade, die im Land selber produziert wird: Fairafric und Kallari. Das ist ein Quantensprung, das haben wir uns immer gewünscht. Uns haben Leute aus Ecuador besucht und Dias gezeigt, wie kompliziert es ist, eine Schokoladenproduktion aufzubauen. Wir hatten ja schon vor vierzig Jahren verlangt, die Wertschöpfung muss dort stattfinden, wo die Rohstoffe herkommen. Die Leute, die uns das Projekt vorgestellt haben, sind sehr stolz darauf. Schön dabei ist, dass heute auch junge Leute zwei, drei Schokoladen kaufen und dazu vielleicht einen Tee – als Studentin habe ich früher viel mehr aufs Geld geschaut. Und das ist ein weiterer Unterschied: Es gibt Junge, die nicht so sehr aufs Geld schauen, wenn sie was Sinnvolles unterstützen können.
seemoz: Von daher könnte der Weltladen doch noch eine Weile bestehen.
Tonie Maier: Stimmt. Daran müssen wir weiterarbeiten.
Romy Grimm-Schneider: Initiativen wie die Schokoladenproduktion sind von den Weltläden abhängig. Sie können auf dem normalen Markt nicht existieren.
Interview und Fotos: Pit Wuhrer
PS: Den zweiten Teil dieses Gesprächs finden Sie hier.
Geplant sind zudem Veranstaltungen mit Wolfgang Kessler, früherer Chefredakteur des linkskatholischen Magazins Publik-Forum (am 22. September), und mit dem Südafrika-Spezialisten Henning Melber (Termin noch unbestimmt).