Vincentius-Vergabe in der Kritik
Der Zuschlag für die Überbauung des Vincentiusareals in der Konstanzer Innenstadt an die Landesbank Baden-Württemberg stößt auf Kritik. Nicht nur, dass der trickreich in der Sommerpause veröffentlichte Deal an den zweitplatzierten Entwurf geht, ruft Kritiker auf den Plan – auch die Sorge, dass dieser Entwurf keineswegs für mehrheitlich bezahlbaren Wohnraum sorgen wird, treibt viele um. Und der BUND bringt zudem städtebauliche und ökologische Aspekte (s. Stellungnahme im Wortlaut) ein.
„Die Bebauung des Vincentiusareals ist Bestandteil des Handlungsprogramms Wohnen. Die zentrale innerstädtische Fläche ist zwar ideal für eine autofreie Wohn- und Gewerbebebauung mit kurzen Wegen, andererseits sind die Grünflächen und Gehölze aber ein wichtiger Erholungsraum für die Bevölkerung, verbessern die Luftqualität und wirken der sommerlichen Überhitzung der Innenstadt in Zeiten des Klimawandels entgegen.
Sieben Millionen mehr
Beim Zuschlag für die LBBW Immobilien Development GmbH als Inverstor spielten mehr pekuniäre als städtebauliche Gründe eine Rolle. Sieben Millionen Euro mehr als Doser und Partner bot die LBBW mit ihrem Entwurf, der deutlich mehr Fläche versiegelt, für das Grundstück.
Beim direkten Vergleich des Siegerentwurfs der Architekten Braun & Müller mit dem Wettbewerbszweiten (s. dazu den Fotovergleich) fällt auf, dass beim Siegerentwurf mehr des vorhandenen Grünbestands erhalten bliebe. Auch die Abstände zu den geschützten Baumgruppen sind größer. Durch die Orientierung entlang der Linie der Schottenstraße entstünden im dortigen Bereich Vorgärten, was zu begrüßen wäre.
Kein Lebensraum für Vögel …
Insgesamt nimmt der Entwurf, der den Zuschlag erhielt, mehr Fläche in Anspruch und es bleibt weniger des Grünbestands erhalten. Das Vincentiusareal beherbergt eine große Vielfalt an wertvollen alten Gehölzen und Vögeln. Diese Vielfalt sollte unbedingt erhalten bleiben. Viele Vögel wie Rotkehlchen, Blaumeisen, Kohlmeisen, Buchfinken, Haussperlinge, Amseln, aber auch seltenere Vogelarten wie Baumläufer, Zaunkönig und Schwanzmeisen finden hier eine Heimat. Deshalb ist es unerlässlich, schonend mit dem vorhandenen Gehölzbestand umzugehen.
Schutzmaßnahmen für Kronen- und Wurzelbereiche müssen unbedingt an den geschützten Baumbeständen an der Gartenstraße und an der Grenze zum Humboldt-Gymnasium getroffen werden. Außerdem sollten die während der Bauphase entfallenden Gehölze auf dem Grundstück nachgepflanzt werden.
… und für Anwohner
Es ist mehr als bedauerlich, dass nicht der städtebaulich verträglichere Entwurf, sondern der wirtschaftlich interessantere zum Zuge kommt. Bereits in der Auslobung der Wettbewerbskriterien standen vor allem wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund. Nur 40 Prozent zählten hier die Qualität und das Wettbewerbsergebnis, 10 % das Vermarktungskonzept, 10 % Weiterentwicklungsfähigkeit und 40 % Wirtschaftlichkeit, vor allem das Kaufpreisangebot.
Die berechtigten Interessen der Anwohner nach Erholungsraum und der Natur nach Lebensraum spielten – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle. Wir würden uns wünschen, dass bereits bei der Auslobung von städtebaulichen Wettbewerben, die städtebauliche Qualität, die Funktion von Grünflächen als Klimaregulator sowie die Interessen der Anwohner nach Erholungsflächen mehr in den Mittelpunkt gerückt würden.
Dr. Antje Boll (Geschäftsführerin BUND Konstanz)“
Ich kann es nicht verstehen, dass wieder einmal die Rendite über die Vernunft siegt. Hätten unsere Vorfahren so gedacht, wäre manches – heute so gepriesene – Bauwerk nie entstanden. Aber Geld und Verdichtung auf Teufel komm raus sind die Zauberworte, die alles andere beherrschen. Schöne neue Welt.
Ja, ja die Heuschrecken – aber das ist der Stadtverwaltung unter Uli B. wurscht. In Konstanz regiert der Gott der Wirtschaftlichkeit – es geht um die 7 Milliönchen, nicht um die 11 Wohnungen mehr. 11 Wohnungen, lachhaft, vor allen in Anbetracht dessen, dass keine einzige den notwendigen Bedarf an günstigem Wohnraum für jene Menschen decken wird, an dem jahrzehntelang wider besseren Wissens vorbeigebaut wurde. Traurig, weil jedes winzige Stückchen Grün, wie Frau Boll ausführlich beschreibt, wichtig ist in einer Innenstadt, die durch rücksichtslose Nachverdichtung und steigenden hausgemachten und auswärtigen Verkehr längst schon überlastet ist. Nein, Herr Kirsten, Innenverdichtung ist nicht mehr und nichts geht über „Luft zum Atmen“. In eine volle Dose stopf ich auch nichts mehr ´rein, da mach´ ich den Deckel drauf. Wenn die potentiellen Mieter in ihren „schicken Innenhöfen“ sitzen, haben die Anwohner gegenüber nichts davon, denn diese starren direkt auf Mauern, ohne die kleinste grüne Grenze. Wie sich die Hitze in Häuserschluchten ohne Baum und Busch auswirkt, kann man in der Reichenauerstraße erleben. Dort ist es die Bebauung der kleinen Torhaus Wiese, die jeden vernünftigen Rahmen sprengt. Beide Entwürfe sind meiner Ansicht nach zudem architektonische Albträume, der Verkauf an Investoren, die rücksichtslosen Bebauungen städtebauliche Verbrechen. Und wieder werden betroffene BürgerInnen ausgeschaltet, haben keinerlei Möglichkeiten, sich einzubringen. Einmal mehr zeigt Herr Burchardt, der sich heute im SK-Interview selbstbewusst, sich selbst überschätzend positiv über die erste Hälfte seiner Amtszeit geäussert hat, dass ihn sein „Gschwätz von gestern“ nicht interessiert. In nichts ist diese Stadt-„Entwicklung“ nachhaltig im Sinne einer ökologischen, ökonomischen, sozialen Balance, sie ist verantwortungslos, rein wirtschaftlich orientiert, ohne Fürsorge für die heutige Bevölkerung und ohne Vorsorge für die kommenden Generationen. Und in nichts entspricht sie den Voraussetzungen für eine „Zukunftsstadt“ gemäß entsprechenden Tagungsvorträgen. Denn zu diesen gehören eine aktive Bürgerbeteiligung und deren mehrheitliche Akzeptanz, ein gemeinsamer Nenner, es zählt der Mensch in einer intakten Umwelt, genügend Frei- und Lebensräume, Wahrung natürlicher Ressouren, Klima- und Naturschutz, Nutzung klimafreundlicher Energien und Technologien usw. Ich habe gut zugehört, Herr Burchardt und sein Baubürgermeister nicht. Auch bei der Besetzung des Hafner geht es nur um den zu erwartenden Profit: „wer jetzt nicht mitmacht, verdient nichts.“ Oder wird enteignet, dies ist die Konstanzer Art der Bürgerbeteiligung. Überhaupt, dieser Wachstumswahn – warum? Wenn ein Schiff zu voll ist, sinkt es. Konstanz hat einen kleinen Stadtkern, natürliche Grenzen, die ein übermäßiges Wachstum von selbst verbieten, dies machte u. a. einst den Charme unserer Stadt aus. Aufgrund der gestiegenen Bevölkerungsdichte platzt Konstanz auch ohne Schweizer Kofferraumkunden und ohne Touristen schon aus allen Nähten. Wie fremd soll uns die eigene Stadt noch werden, wie fremd sollen wir uns noch fühlen?
Die LBBW war schon mal in Konstanz tätig. Sie hat in Baden-Württemberg 20.000 Sozialwohnungen verkauft. Nicht an ein Konsortium von städtischen Wohnungsbauunternehmen, die den sozialen Preis erhalten hätten.
Nein, für ca. 30 Millionen EUR mehr an Unternehmen, bei denen die Mieter soviel Vermieterwechsel erlebt haben, dass von Vermieternomadentum gesprochen werden kann. Auch in Schwärmen auftretende Pflanzenfresser wurden dafür schon als Sinnbild verwendet. Das Sozialpreisniveau ist durch Mieterhöhungen inzwischen auch geschwunden.
Die “Sozialcharta” für die Mieter wurde nicht nur lange geheim gehalten, sondern auch so abgefasst, dass sich kein einziger Mieter deswegen gegen eine Mieterhöhung wehren konnte.
Allein in Konstanz sind dadurch ca. 700 Sozialwohnungen aus dem “Markt” geraten. Ein wesentlicher Beitrag zum außergewöhnlich hohen Mietpreisgefüge in Konstanz.
Deshalb ist es schön zu sehen, dass die LBBW eine erneute Chance im hochpreisigen Konstanz im Vincenciusareal bekommt. Da der hohe Kaufpreis in die Kalkulation der Miethöhe einfließt, beeindruckt auch die Unerschrockenheit der Ankündigung der LBBW, dass dadurch preisgünstige Wohnungen entstehen werden.
Ich kann diese Kritik irgendwie nicht nachvollziehen. Was hier vergessen wird zu erwähnen, ist doch, dass der Entwurf von Jo Franzke 110 Wohnungen vorsieht, der von Braun & Müller aber nur 99 (laut SK). Das sind also 11 Wohnungen mehr und natürlich muss dann der Flächenverbrauch ein wenig höher sein. Und das scheint mir doch vernachlässigbar zu sein – Lediglich diese Vorgärten fallen dann halt raus – aber wer sitzt da schon von den Anwohnern, wenn es einen schicken Innenhof gibt?
Ich finde, jede Wohnung mehr ist absolut sinnvoll in Konstanz. Und wenn man diese 11 Wohnungen dann als Außenentwicklung erschließt, wäre es sicherlich auch nicht recht. Auch sonst erinnere ich mich, dass die Naturschutzverbände immer eine Innenentwicklung fordern – hier wird das im ausgewählten Entwurf effizienter gemacht und dann ist es auch wieder nicht recht?
PS: Aber schön, dass seemoz aus der Sommerpause zurück ist!